Medienmitteilung

pafl: Weichenstellung für den Internationalen Strafgerichtshof

2010-05-27T11:36:07

Vaduz (ots) -

Vaduz, 27. Mai (pafl) - Im September 2010 wird
Liechtenstein den 20. Jahrestag seiner Mitgliedschaft in der UNO 
begehen. Die Aufnahme als 160. Mitgliedsstaat durch die 
Vollversammlung der Vereinten Nationen am 18. September 1990 stellte 
aus staats- und souveränitätspolitischer Sicht einen bedeutenden 
Schritt dar. In den fast zwanzig Jahren seiner Mitgliedschaft 
entwickelte sich Liechtenstein zu einem respektierten Mitglied der 
UNO-Familie, dessen aktive Rolle weit über die Grenzen zu seinen 
europäischen Partnern geschätzt wird. Der bevorstehende Jahrestag 
soll Anlass sein, die Schwerpunkte der liechtensteinischen 
Aktivitäten in den Vereinten Nationen in einem monatlichen Beitrag 
näher zu beleuchten.
Ab der kommenden Woche diskutieren die 111 Vertragsparteien des 
Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) in der ugandischen Hauptstadt
Kampala über die Zukunft der internationalen Strafjustiz. Im 
Mittelpunkt steht dabei zunächst die Frage, ob das Römer Statut von 
1998 - der Gründungsvertrag des ICC - geändert werden soll. Die 
Konferenz wird aber auch Bilanz über das bisher Erreichte ziehen und 
die Herausforderungen der nächsten Jahre skizzieren. Liechtenstein 
stellt mit Botschafter Christian Wenaweser den Vorsitz der Konferenz 
- zugleich eine Anerkennung des wichtigen Beitrages, den Kleinstaaten
in internationalen Beziehungen leisten können.
Sieben Jahre über "Aggression" verhandelt
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht der Abschluss der 
Verhandlungen zum Verbrechen der Aggression. Diese Verhandlungen 
wurden seit 2003 von der liechtensteinischen Delegation geleitet. Bei
der Annahme des ICC-Statuts im Jahre 1998 war sich die 
Staatengemeinschaft uneinig darüber, ob "Aggression", wie etwa ein 
völkerrechtswidriger Angriffskrieg, als eines der zu verfolgenden 
Hauptverbrechen ins Römer Statut aufzunehmen sei. Die Schwere des 
Verbrechens - das bereits in den Nürnberger Prozessen eine zentrale 
Rolle spielte - stand dabei ausser Frage. Strittig waren jedoch die 
Definition und die Rolle des UNO-Sicherheitsrats bei der 
Entscheidung, ob ein Akt der Aggression begangen worden sei. Vor 
allem die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sind der 
Auffassung, dass der ICC nur mit Zustimmung des Sicherheitsrats im 
Zusammenhang mit einem solchen Verbrechen tätig werden dürfe. Für die
meisten anderen Staaten ist dies mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit
des ICC nicht zu vereinbaren. Die Verhandlungsleitung zu diesem Thema
war für die liechtensteinische Delegation nicht einfach, da die stark
unterschiedlichen Interessen aller UNO-Mitgliedstaaten sowie komplexe
völkerrechtliche Fragen berücksichtigt werden mussten. Die besondere 
Position Liechtensteins als neutraler Kleinstaat ohne eigene Armee 
sowie der jahrelange Einsatz für die internationale 
Strafgerichtsbarkeit waren dabei wichtige Garanten für die 
Glaubwürdigkeit dieses Einsatzes. In zahlreichen Verhandlungsrunden, 
teilweise in Zusammenarbeit mit dem Liechtenstein Institute on 
Self-Determination der Princeton University, wurden grosse 
Fortschritte gemacht, insbesondere zur Definition von "Aggression". 
Ob das Bemühen letztlich von Erfolg gekrönt sein wird, ist aber noch 
offen.
Kaum Änderungen notwendig
Abgesehen vom Verbrechen der Aggression wird Kampala keine 
signifikanten Änderungen am Römer Statut bringen. Insbesondere 
herrscht Einigkeit darüber, dass die Gerichtsbarkeit nicht über 
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen 
(und allenfalls Aggression) hinaus auszudehnen sei. Einzelne 
Initiativen etwa zur Aufnahme von Terrorismus oder Drogenhandel als 
Tatbestände fanden kaum Unterstützung und stehen in Kampala nicht auf
der Tagesordnung.
Zu Änderungen prozeduraler und institutioneller Aspekte besteht 
ebenfalls keine dringende Notwendigkeit. Die vorliegenden Erfahrungen
sind dazu noch nicht ausreichend, denn der ICC hat noch keinen 
Prozess abgeschlossen. Ein Urteil im Fall des kongolesischen 
Milizenführers Lubanga wird für Sommer 2010 erwartet. Erwähnenswert 
ist in diesem Zusammenhang das einzigartige Wahlverfahren für 
ICC-Richter, das 2002 auf liechtensteinischen Vorschlag hin 
angenommen wurde: Es sieht ein ausgeklügeltes System vor, das die 
Wahl einer im Hinblick auf geographische Herkunft und Geschlecht 
ausgewogene Richterbank fördert, ohne jedoch fixe Quoten zu 
verwenden. Das System funktioniert: Derzeit sind die Richterkammern 
zur Hälfte mit Frauen besetzt - ein Rekord im Vergleich zu anderen 
internationalen Gerichtshöfen.
Zukunft der internationalen Strafgerichtsbarkeit
Kampala wird auch der Schauplatz sein für eine Diskussion über die
Zukunft der internationalen Strafjustiz - das wohl revolutionärste 
Projekt der jüngeren Vergangenheit im Bereich des Völkerrechts. Die 
internationalen Tribunale für das ehemalige Jugoslawien, Ruanda, 
Sierra Leone und Kambodscha werden ihre Arbeiten bald abschliessen, 
voraussichtlich mit gemischten Bilanzen. Eine der Hauptüberlegungen 
bei der Schaffung des ICC war gerade auch, dass er als permanenter 
Gerichtshof die Schaffung solcher Ad-hoc-Einrichtungen unnötig machen
würde. Das Römer Statut hat aber weiterhin keine universelle 
Anwendbarkeit: Wohl haben inzwischen 111 Staaten das Römer Statut 
akzeptiert - weit mehr als für diesen Zeitpunkt prognostiziert worden
war, aber gleichzeitig fallen gravierende Geschehnisse der jüngeren 
Vergangenheit wie etwa jene in Sri Lanka und im Gaza-Streifen nicht 
in den Tätigkeitsbereich des ICC.
Die universelle Zuständigkeit des ICC bleibt ein Fernziel - nicht 
unmöglich, aber in jedem Fall lange Jahre entfernt, denn gerade 
einige mächtige Staaten werden dem ICC noch einige Jahre fernbleiben.
Damit werden die Staaten wieder stärker an den Grundsatz der 
"Komplementarität" erinnert, auf welchem der ICC aufbaut: Er soll nur
dort eingreifen, wo nationale Gerichte ihre Kompetenz nicht ausüben 
können oder wollen. Der politische Druck auf Staaten zur Wahrnehmung 
ihrer nationalen Verantwortlichkeit wird damit steigen.

Kontakt:

Amt für Auswärtige Angelegenheiten
Isabel Frommelt / Christine Lingg
T +423 236 60 64 / +423 236 60 65

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