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1. Zürcher Armutsforum der Caritas Zürich - Weniger Familienarmut durch bessere Zusammenarbeit?

01.11.2005 – 16:22 

Zürich (ots) -

54'000 Menschen im Kanton Zürich sind von Armut
betroffen. Tendenz steigend. Am ersten Zürcher Armutsforum der
Caritas Zürich diskutierten 150 Fachleute des Zürcher Sozialwesens,
wie dank verbesserter Zusammenarbeit öffentlicher, privater und
kirchlicher Stellen die Effizienz der Hilfeleistungen erhöht werden
könnte. Guido Biberstein, Direktor der Caritas Zürich, stellte dazu
die Studie "Weniger Familienarmut durch bessere Zusammenarbeit?" vor.
"Dass in einem reichen Kanton wie Zürich jedes 10. Kind in Armut
aufwächst, ist eigentlich nicht zu verstehen," empörte sich Paul
Vollmar, Präsident der Caritas Zürich zu Beginn des ersten Zürcher
Armutsforums. "Obwohl die von Armut betroffenen Familien von einer
Vielzahl staatlicher, privater und kirchlicher Stellen beraten und
unterstützt werden, bleibt die Wirkung offenbar aus", konstatierte
Vollmar weiter.
Carlo Knöpfel, Leiter des Bereichs Grundlagen bei Caritas Schweiz
plädierte in seinem Eingangsreferat dann auch für eine gemeinsame
Strategie, die auf eine nachhaltige Verminderung der Zahl
armutsbetroffener Menschen ausgelegt ist. "Eine solche Strategie gibt
es heute nicht", so Knöpfel. Es fehle ein soziales Netzwerk von
öffentlichen, privaten und krichlichen Stellen, das eine solche
Strategie entwickeln würde.
Mangelhafte Zusammenarbeit
Dass die Zusammenarbeit zwischen staatlichen, privaten und
kirchlichen Stellen oft zu wünschen übrig lässt, erlebt die Caritas
Zürich täglich im Gespräch mit Hilfe Suchenden. Viele Menschen wenden
sich an die Caritas Zürich, weil ihnen die Übersicht über die vielen
Unterstützungsangebote fehlt. Immer wieder beklagen sie sich über
bürokratische Leerläufe.
Am Beispiel der Stadt Zürich, der Kleinstadt Dietikon sowie der
Landgemeinde Pfäffikon untersuchte die Caritas Zürich, wie es
tatsächlich um die Zusammenarbeit der verschiedenen sozialen
Einrichtungen steht. "Unsere Studie bestätigte unsere Vermutung: Die
interinstitutionelle Zusammenarbeit in den drei Gemeinden ist klar
mangelhaft", erklärte Guido Biberstein, Direktor der Caritas Zürich.
"Zwar bestehen Kontakte - vor allem bei der Weitervermittlung von
Hilfe Suchenden - doch können diese nicht als Netzwerke bezeichnet
werden", so Biberstein weiter.
Für die mangelnde Zusammenarbeit nannte Biberstein in seinem
Referat mehrere Gründe. Bei der zunehmenden Anzahl Hilfe Suchenden
und dem gleichzeitigen Spardruck fehle es den zuständigen Stellen an
Kapazität, um ein Netzwerk zu anderen Stellen aufzubauen. Darüber
hinaus verhindere der heutige Umgang mit dem Datenschutz
Informationen über die Hilfesuchenden zwischen den Institutionen
auszutauschen. Ausserdem scheine auch unter Fachleuten nicht immer
klar zu sein, welche Stelle für welche Problemlage zuständig ist. Am
ehesten funktioniere die Zusammenarbeit dort, wo informelle Kontakte
zwischen Mitarbeitenden zweier Stellen bestehen. Schliesslich, so
Biberstein weiter, fehle es an einer zentralen Instanz zur
Koordination von Hilfeleistungen.
"Die Caritas Zürich glaubt fest daran, dass die Armut im Kanton
Zürich effizienter bekämpft werden könnte, wenn die verschiedenen
Stellen besser vernetzt und die Unterstützungsleistungen koordiniert
würden", erklärte Guido Biberstein. Die Studie schlägt deshalb vor,
in einem ersten Schritt das Vertrauen zwischen den öffentlichen,
privaten und kirchlichen Einrichtungen zu fördern und den
Informationsaustausch zu verbessern. In einem zweiten Schritt
plädiert die Caritas Zürich für eine neue Form der Zusammenarbeit die
Biberstein als Case-Management bezeichnet. Gemeint sind die
umfassende Abklärung von Fall zu Fall und die Entwicklung
realistischer und massgeschneiderter Ziele und Massnahmen zu Gunsten
der Betroffenen.
Sozialhilfe per Dauerauftrag
Erste Reaktionen auf die Vorschläge der Caritas Zürich erlaubte
ein Podium das von René Staubli (Tages Anzeiger) moderiert wurde.
Monika Stocker, Vorsteherin des Sozialdepartements der Stadt Zürich
erklärte, dass der Staat zwar die Grundsicherung zur Verfügung
stellen müsse, jedoch nicht in die Lücke springen könne, welche die
privaten und kirchlichen Werke füllen. Angesprochen auf die
zunehmenden Fallzahlen der Sozialhilfe bei knapper werdenden Mitteln
antwortete Stocker, dass das öffentliche Sozialwesen gezwungen sei,
darauf mit effizienterer Fallabwicklung zu reagieren.
"Sozialhilfeleistungen werden bereits per Dauerauftrag überwiesen",
zitierte René Staubli eine Mitarbeiterin des Sozialamtes.
"Effizienter geht es nicht mehr".
Toni Wirz, Leiter des Beratungszentrums des Beobachters trifft auf
Menschen, die orientierungslos sind und hin und her geschoben werden.
Weiter führte Wirz aus, dass die privaten Stellen zwar das
Subsidiaritätsprinzip hoch halten, jedoch immer häufiger Fälle zu
übernehmen hätten, für die eigentlich das öffentliche Sozialwesen
zuständig wäre. "Der Staat schiebt immer mehr Aufgaben an die
Privaten ab", brachte es Wirz auf den Punkt. Die Zusammenarbeit
zwischen Staat und Privaten leide darunter.
Toni Zimmermann, von der ökumenischen Bahnhofseelsorge streicht
hervor, das viele Menschen nicht finanzielle Hilfe sondern Zuneigung,
Nähe, Gespräche und ein offenes Ohr suchten. Stocker bestätigte, dass
gerade diese Unterstützung von privaten und vor allem kirchlichen
Fachstellen besser geleistet werden könne: "Der Staat kann nicht
lieben".
Der Vorschlag der Caritas Zürich, ein zentrales Case Management
einzurichten hielt Markus Schneider, freier Journalist und Kenner des
schweizerischen Sozialwesens entgegen, dass ein solches die Hilfe
Suchenden in neue Abhängigkeit führen würde und die Betroffenen  kaum
mehr Chancen hätten, ihre Situation selbst in die Hand zu nehmen.
Zusammenfassend schien bei den Podiumsteilnehmenden der Wille zu
einer besseren Zusammenarbeit zwar vorhanden zu sein. Der Forderung
eines übergreifenden Case Managements mit zentraler Datenverwaltung
gegenüber blieb die Mehrheit jedoch skeptisch eingestellt. Besonders
wenn hinter der Forderungen der Effizienzsteigerung im Sozialwesen
vor allem Sparziele vermutet würden.
Am Nachmittag diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des
ersten Zürcher Armutsforums im Rahmen verschiedener Themenseminare
konkrete Massnahmen zur besseren Zusammenarbeit. Die Ergebnisse der
Seminare werden ab Mitte November auf der Website der Caritas Zürich
veröffentlicht (www.caritas-zuerich.ch).
Die Zusammenfassung der Caritas-Studie kann ab sofort unter
www.caritas-zuerich.ch herunter geladen werden. Die vollständige
Studie ist ab Januar 2006 bei Caritas Zürich erhältlich.
Das Zürcher Armutsforum fand dieses Jahr zum ersten Mal statt. Es
soll künftig eine jährlich wiederkehrende Plattform für
Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Träger sozialer
Leistungen im Kanton Zürich werden. Eingeladen sind alle
Führungskräfte staatlicher, privater und kirchlicher Institutionen,
Fachpersonen aus dem Armutsbereich, Sozialwissenschafter sowie
Verantwortliche aus der Politik. Als regionales Hilfswerk möchte
Caritas Zürich damit die Gelegenheit schaffen, mit vereinten Kräften
der wachsenden Armut im Kanton Zürich zu begegnen.

Kontakt:

Stefan Stolle
Leiter Kommunikation
Mobile: +41/78/612'12'61
Tel.: +41/44/366'68'60
Fax: +41/44'366'68'66
E-Mail: s.stolle@caritas-zuerich.ch
Internet: www.caritas-zuerich.ch