Militärischer Angriff gegen Armenien: ein neuer Religionskrieg?
Bern (ots) -
In der Nacht vom 12. Juli 2020 startete Aserbaidschan einen militärischen Angriff auf das Territorium der Republik Armenien und erlitt dabei schwere Verluste in den eigenen Reihen. Berichten zufolge wurde beim Angriff eine grosse Zahl hochrangiger aserbaidschanischer Offiziere getötet. Die Armee von Baku verlor auch eine grosse Menge an Kriegsmaterial. Drei Tage später kam es zu einem erneuten Einmarsch, bei dem mindestens 10 aserbaidschanische Soldaten fielen. Armenien hat bisher den Verlust von vier Soldaten und einem fünften schwer verwundeten Soldaten zu verzeichnen. In Reaktion auf seine Verluste hat Baku damit gedroht, das armenische Atomkraftwerk in Metsamor nahe der Hauptstadt Jerewan zu bombardieren, was ein Verbrechen gegen die Menschheit darstellt.
Die Armenier der Schweiz verurteilen diesen vorsätzlichen Angriff auf das Staatsgebiet Armeniens aufs Schärfste. Sie werfen den Initiatoren vor, den armenisch-aserbaidschanischen Konflikt in einen Religionskrieg umwandeln zu wollen. Diese Eskalation hat regionale Auswirkungen, insbesondere auf die Türkei, der selbst ernannten Schutzmacht Aserbaidschans. Ankara, das seit Beginn der ersten Angriffe erklärt hat, dass es Aserbaidschan bedingungslos unterstützen würde, hat seine Position seither erneut bekräftigt. Das Verhalten Bakus und Ankaras zeugt von hoher politischer Verantwortungslosigkeit. Die Armenier der Schweiz fordern den Bundesrat auf, diesen Versuch, das ohnehin schon sehr prekäre Gleichgewicht im Südkaukasus und im gesamten Nahen Osten weiter zu destabilisieren, scharf zu verurteilen.
Am Sonntag, dem 12. Juli 2020, begannen aserbaidschanische Streitkräfte mit schweren Artilleriegeschützen (82- und 120-mm-Granaten) militärische Operationen an der Nordostgrenze zu Armenien (Region Tawusch), wobei sie versuchten, die Grenze mit Truppen und Panzern zu überwinden. Der Angriff ging mit dem Eindringen militärischer Drohnen in Armenien einher. Eines dieser unbemannten Flugzeuge, eine in Israel hergestellte Elbit Hermes 900, wurde 9 km von der Grenze entfernt auf armenischem Gebiet abgeschossen. An diesem ersten Tag und an den folgenden Tagen wurde die zivile Infrastruktur in den Städten Berd, Tschinarì und Mowses ins Visier genommen. Bei der Abwehr des Angriffs festigte die Armee der Republik Armenien ihre eigenen Stellungen im Dorf Tschinarì und fügte dem Gegner, der den Tod des in der Region Tavuz (auf aserbaidschanischer Seite) stationierten Oberbefehlshabers des 3. Korps, von einem Oberst, zwei Majoren und von sieben Soldaten zugab, schwere materielle und personelle Verluste zu. Baku gab ebenfalls den Tod eines Zivilisten bekannt. Bei einem erneuten Angriff der Truppen aus Baku am Dienstag, dem 14. Juli, meldeten die armenischen Streitkräfte den Verlust von vier Soldaten, darunter ein Major und ein Hauptmann. Um die armenischen Stellungen ungestraft bombardieren zu können, konzentrierte die aserbaidschanische Armee ihre Artilleriebatterien um das aserbaidschanische Dorf Dondar Ghushchu, 10 km von der Grenze entfernt, womit sie die eigene Zivilbevölkerung als Schild benutzte.
In der Nacht zum Donnerstag, dem 16. Juli, versuchten aserbaidschanische Elite-Truppen einen weiteren Durchbruch in die armenische Region Tawusch, bei dem mindestens 10 Menschen ums Leben kamen. Während des ganzen Tages griffen die Truppen aus Baku fortgesetzt armenische Stellungen in den Dörfern Aygepar und Mowses an, wobei sie Mörser und Haubitzen des Typus D-30 einsetzten. In Jerewan waren keine Opfer zu verzeichnen. Die armenische Seite hat ihre Bereitschaft erklärt, im Falle einer Einstellung der Feindseligkeiten die medizinische Versorgung der vor Ort verbliebenen Opfer und Verwundeten zu ermöglichen, aber Aserbaidschan hat auf dieses Angebot vorerst nicht reagiert.
Drohungen Aserbaidschans gegen das Atomkraftwerk Metsamor
Am Donnerstag, den 16. Juli, drohte der Sprecher des aserbaidschanischen Verteidigungsministeriums, Vagif Dargyakhly, mit "der Möglichkeit eines Anschlags auf das Kernkraftwerk Metsamor, was eine Katastrophe für Armenien auslösen könnte". Im Anschluss an diese Erklärung sagte der Premierminister Armeniens, Nikol Pashinyan, es sei klar geworden, dass Aserbaidschan nicht nur für Armenien, sondern auch für die globale Sicherheit eine Bedrohung darstelle.
Destabilisierende Rolle der Türkei
Ankara schürt das Feuer. Die Türkei begnügt sich nicht damit, Aserbaidschan ihre absolute Unterstützung zu bekunden, sondern ergreift Initiativen, die mehr als beunruhigend für das regionale Aufflammen des Konflikts sind. Gut informierten Quellen zufolge haben die türkischen Besatzungstruppen in Nordsyrien Rekrutierungszentren in Afrin sowie in Raju eröffnet, um Dschihadisten zu rekrutieren und nach Aserbaidschan zu transportieren, die als Söldner neben den aserbaidschanischen Truppen rekrutiert werden sollen. Es versteht sich von selbst, dass eine solche Initiative eine neue Dimension eröffnen würde, indem sie den Besatzungskrieg aus Nordsyrien in den Südkaukasus exportiert und damit Christen und Muslime gegeneinander aufbringt.
Ankara hat die Aggression Aserbaidschans vorbehaltlos unterstützt. So erklärte der türkische Aussenminister Mevlut Cavusoglu am Montag, dem 13. Juli, in einem Interview des Senders TRT Haber: "Die Türkei steht mit allen Mitteln auf der Seite Aserbaidschans". Ähnlich äusserte sich der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar bei seinem letzten Besuch in Beirut Anfang voriger Woche. Die Tatsache, dass er in diesen Tagen die Elite der Armee von Baku, insbesondere den stellvertretenden Verteidigungsminister, den Chef der Luftwaffe, den Chef der Raketen und ballistische Systeme sowie den Stabschef des 4. Armeekorps (letzterer soll zum Nachfolger des soeben gefallenen Generals ernannt werden) nach Ankara gerufen hat, zeigt deutlich, wer in Wirklichkeit die aserbaidschanischen Streitkräfte führt und die Spannungen in der Region schürt.
Die armenische Gemeinschaft in der Schweiz fordert den Bundesrat auf, den Angriff zu verurteilen
Zutiefst besorgt über diese schwerwiegende Eskalation fordern die Armenier der Schweiz den Bundesrat auf, gegen diesen neuerlichen Versuch, einen Krieg auf das Territorium der Republik Armenien zu exportieren, Stellung zu beziehen, indem der Bundesrat diesen unverantwortlichen militärischen Angriff Aserbaidschans sowie die Drohungen Bakus, das Kernkraftwerk Metsamor zu zerstören - ein Akt des Staatsterrorismus in flagranter Verletzung des Völkerrechts - scharf verurteilt.
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