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IDHEAP: Alter als wichtigste Konfliktlinie in sozialpolitischen Vorlagen

18.06.2009 – 08:00 

Lausanne (ots) -

Eine neue Untersuchung von sozialpolitischen
Abstimmungsvorlagen bringt mangelnde Generationensolidarität ans 
Licht.
Sozialpolitik scheidet die Geister. Aber welches sind die 
wichtigsten Konfliktlinien wenn es darum geht, dass die Schweizer und
Schweizerinnen über sozialpolitische Vorlagen entscheiden müssen? 
Anders gesagt: welche Faktoren erklären, ob eine Person eine 
sozialpolitische Reform an der Urne annimmt oder ablehnt? In einer 
Studie, die soeben in der Zeitschrift «European Societies» erschienen
ist, analysieren Giuliano Bonoli und Silja Häusermann 22 
eidgenössischen Volksabstimmungen zu sozialpolitischen Themen. Ihre 
Resultate zeigen, dass Einkommensunterschiede einen weniger starken 
Einfluss auf die individuellen Abstimmungsentscheidungen haben als 
das Alter. Insgesamt ist das Alter in 18 von 22 Vorlagen eine 
wichtige Konfliktlinie, während Einkommensunterschiede nur in sieben 
Fällen einen signifikanten Einfluss hatten. Im Widerspruch zur 
Hypothese der Generationensolidarität stimmen die verschiedenen 
Altersgruppen fast durchgehend entsprechend ihrer direkten, 
materiellen Interessen, und sie tendieren dazu, die Interessen und 
Bedürfnisse der anderen Altersgruppen zu ignorieren.
Der Einfluss des Alters als Konfliktlinie kann in verschiedenen 
Bereichen beobachtet werden. Zum Beispiel unterstützen RentnerInnen 
Massnahmen zur Stärkung der AHV viel stärker als Junge. In zwei von 
drei Abstimmungen, in denen über zusätzliche Mittel für die AHV 
entschieden wurde, war die Wahrscheinlichkeit, dass Personen über 65 
Jahre zustimmen 2,5 Mal höher als die Ja-Wahrscheinlichkeit der 
Jungen (18-39 Jahre). Das Alter ist auch ein wichtiger 
Erklärungsfaktor wenn es um eine allfällige Senkung des Rentenalters 
geht. In drei von fünf Vorlagen war die mittlere Altersgruppe (40-64)
am stärksten für die Senkung, während die heftigste Ablehnung von der
Gruppe der RentnerInnen kam. Für diese Ablehnung gibt es eine 
mögliche rationale Erklärung: RentnerInnen wollen den Zugang zu einer
Versicherung beschränken, deren Mittel begrenzt sind. Der Konflikt 
zwischen Altersgruppen kommt ebenfalls klar zum Vorschein wenn es um 
eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes geht, sei es durch eine 
Verschärfung des Arbeitsrechts oder durch eine Senkung der Leistungen
der Arbeitslosenversicherung. In vier von fünf Abstimmungen zu diesem
Thema zwischen 1995 und 2002 spielt Alter eine wichtige erklärende 
Rolle.
Generell sind Personen über 65 Jahre die stärksten Befürworter 
dieser Liberalisierungen, während die Jüngsten (18-39 Jahre) am 
ehesten dagegen sind. Das Einkommen hingegen spielte nur in zwei der 
fünf Vorlagen eine wichtige Rolle. Einkommensunterschiede waren sogar
gänzlich unwichtig in den Abstimmungen zur Mutterschaftsversicherung.
Zwischen 1984 und 2004 fanden nicht weniger als vier Abstimmungen zu 
diesem Thema statt und wiederum stellt sich das Alter als wichtigste 
Konfliktlinie heraus. Die Wahrscheinlichkeit, dass junge 
StimmbürgerInnen (18-39) der Mutterschaftsversicherung zustimmen war 
etwa drei mal höher als jene der über 65-Jährigen. Über die 
verschiedenen Vorlagen (und über die Zeit) hat sich der Einfluss des 
Alters in diesem Bereich jedoch abgeschwächt. Dies lässt vermuten 
dass die jungen StimmbürgerInnen, welche die erste 
Mutterschaftsversicherungsinitiative 1984 angenommen haben auch 
später bei ihrem Ja geblieben sind, was zweifellos zum Erfolg der 
Vorlage im Jahr 2004 beigetragen hat. Wie lässt sich diese wichtige 
Rolle des Alterskonfliktes in sozialpolitischen Vorlagen erklären? 
Die Studie bespricht zwei Hypothesen : Erstens ist es für 
StimmbürgerInnen auf Grund ihres Alters relativ einfach abzuschätzen,
ob sie zu den Gewinnern oder Verlierern einer Vorlage gehören. Vor 
allem für die Mittelklasse ist es schwieriger, diese Abschätzung 
bezüglich des Einkommens zu machen. Zweitens ist es möglich, dass der
Sozialstaat selber zur Reduktion des Klassenkonfliktes beigetragen 
hat, was andere Konfliktlinien stärker zum Vorschein bringt.
Quelle: Bonoli, G. & Häusermann, S. (2009) "Who wants what from 
the welfare state? Socio-structural cleavages in distributional 
politics: Evidence from Swiss referendum votes", European Societies, 
11, 211-232.

Kontakt:

Prof. Giuliano Bonoli
IDHEAP
Route de la Maladière 21
1022 Chavannes-près-Renens
Tel.: +41/21/557'40'90
E-Mail: giuliano.bonoli@idheap.unil.ch

Dr. des Silja Häusermann
Universität Zürich und Max Weber Programme
European University Institute
Via delle Fontanelle 10
I-50014 San Domenico, Florence, Italy.
Tel.: +39/55-4685-692
E-Mail: silja.haeusermann@ipz.uzh.ch