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Abschied von Neutralität und Menschenrechtsschutz? / Rassendiskriminierung: Passive Haltung der Schweiz vor EGMR-Entscheid?

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25.02.2014 – 10:18  Gesellschaft Schweiz-Armenien    [newsroom]

Bern (ots) -

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2013 Perincek c. Suisse (Nr. 27510/08) ist in prozessualer und inhaltlicher Hinsicht äußerst mangelhaft. Die Schweiz hat noch die Möglichkeit, bei der Grossen Kammer des EGMR letztinstanzlich Revision zu beantragen. Dies muss bis am 17. März 2014 geschehen.

Das Urteil aus Straßburg ist nicht nur für Schweizerinnen und Schweizer armenischer Abstammung inakzeptabel, sondern auch für die Schweizer Justiz, die die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern bereits zweimal auf höchster Ebene verurteilt hat.

Die Gesellschaft Schweiz - Armenien (GSA) hat eine Rechtsabklärung erstellen lassen, an der international renommierte Völkerrechtler sowie Schweizer Strafrechtler beteiligt waren. Dieses Dokument wurde der Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizei-Departements (EJPD) und dem Schweizer Vertreter am EGMR zugestellt mit der dringenden Bitte, einen Revisionsantrag des Urteils gründlich zu erwägen.

Eine Weigerung, gegen den EGMR-Entscheid Berufung einzulegen, würde bedeuten, dass die Schweiz:

- sich von den Grundprinzipen des Schutzes der Menschenrechte, in erster Linie der Menschlichen Würde, verabschiedet;

- sich von ihren internationalen Verpflichtungen in der Rassismus-bekämpfung entfernt (s. Bericht der Schweiz vor dem UNO-Ausschuss über die Umsetzung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, CERD);

- eine Schwächung ihres eigenen Rechtes aktiv begünstigt;

- eine eindeutig parteiliche Position einnimmt, die die Prinzipien der Neutralität schwer verletzt. Die Vermittlungsrolle der Schweiz in der Lösung der Konflikte zwischen Armenien und der Türkei einerseits und zwischen Armenien und Aserbeidschan andererseits - was im Jahres-programm des schweizerischen OSZE-Vorsitzenden, Bundespräsident Didier Burkhalter, zur zentralen Aufgabe erhoben wurde - wäre damit völlig unglaubwürdig.

Es würde auch bedeuten, dass die Schweiz die zahlreichen Stellungnahmen von schweizerischen sowie internationalen NGO's für einen Revisionsantrag bei der Großen Kammer des EGMR ignoriert, darunter Stellungnahmen von international anerkannten Experten im Bereich der Genozidforschung und in Menschenrechtsfragen; diese betonen die Faktizität des Genozids an den Armeniern und sprechen sich gegen eine Hierarchisierung von Völkermorden aus, wie sie das Urteil des EGMR faktisch vorgenommen hat. Die Schweiz würde im Verzichtsfall auch die gestern veröffentlichte, ausführlich begründete Stellungnahme der größten und ältesten türkischen Menschenrechts-organisation, des Menschenrechtsvereins der Türkei (IHD), ignorieren, der die rassistischen Auswirkungen des EGMR-Urteils vom 17. Dezember 2013 beschreibt und eine Revision dieses Urteils auch mit Blick auf die Minderheitensituation in der Türkei für unerlässlich hält. IHD hebt unter anderem hervor, dass das EGMR mit seinem Urteil frühere Beschlüsse des Europäischen Parlaments widerspricht.

Die GSA ging bislang davon aus, dass der Entscheid zum Revisionsantrag in der ausschließlichen Kompetenz von Bundesrätin (Ministerin) Simonetta Sommaruga liegt. Der plötzliche Besuch von Staatssekretär Yves Rossier am 27. Januar 2014 in der armenischen Hauptstadt Jerewan lässt nun aber vermuten, dass das Schweizer Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in dieser Angelegenheit mitreden will. Sollte die Schweiz aber auf ihr Recht, Revision zu beantragen, verzichten, wäre dies ein verkehrtes Signal mit unabsehbaren internationalen Folgen: Damit würde gezeigt, dass die Vermittlerrolle der Schweiz in einer Konfliktlösung nicht ernst gemeint ist. Die GSA erinnert daran, dass der Besuch in Bern vom türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu am 10. Oktober 2013, das schweizerische Außenministerium dazu veranlasst hatte, den Beginn einer strategischen Partnerschaft mit Ankara auszurufen.

Bundespräsident Burkhalter hat folglich auch keinen Hehl daraus gemacht, dass dies vor allem mit der Erwartung der Schweiz verknüpft war, 2015 am G20 Gipfel von der Jahresvorsitzenden Türkei eingeladen zu werden. Weiter würde eine passive Haltung zeigen, dass die Schweiz der Verteidigung ihrer eigenen verfassungsmäßigen Grundrechte keine Priorität einräumt. Ferner gäbe der Verzicht jenen populistischen Kräften Aufschwung, die schon immer die Antirassismusstrafnorm und die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus abschaffen wollten. Auf europäischer Ebene würde die Schweiz die Vorrangigkeit des Rechtsguts Meinungsfreiheit vor allen übrigen Rechtsgütern bestätigen und damit zur Verletzung von Menschenrechtsgrundsätzen beitragen.

Wir hoffen, dass sich Bundespräsident Didier Burkhalter, der übrigens erst Ende Januar 2014 in Auschwitz die Leugnung von allen Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit klaren Worten verurteilt hat, sowie die Vorsteherin des EJPD, Bundesrätin Simonetta Sommaruga, ihrer Verantwortung gegenüber der Schweiz und der Welt bewusst sind.

Beilage: Factsheet nationale und internationale Stellungnahmen zugunsten einer Revision des EGMR-Urteils (auf Englisch)

Kontakt:

Andreas Dreisiebner, Copräsident der GSA
andreas777@gmx.net
Tel. +41 79 671 86 19

Sarkis Shahinian, Ehrenpräsident der GSA
pg-shahinian@armenian.ch
Tel. +41 76 399 16 25