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Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD)

EVD: Wie innovativ ist die Schweiz?

Bern (ots)

Es gilt das gesprochene Wort !
Rede von Bundesrat Joseph Deiss
anlässlich des 6. Schweizer Ferientags der „Schweiz Tourismus“
Am 6. Mai 2003 im Kongresshaus Zürich
Sehr geehrte Damen und Herren
„Bei uns schneit der liebe Gott. Wir brauchen keine 
Beschneiungsanlagen“, sagte vor nicht allzu langer Zeit ein Berner 
Oberländer. Die ausnehmend günstige Wetterentwicklung gab ihm im 
vergangenen Winter recht. Die Seilbahnwirtschaft freut sich über den 
Rekordwinter. Sie profitierte von der lokalen Freizeitwirtschaft. 
Die Schweizer haben wieder entdeckt, dass ein strahlender Skitag in 
einer verschneiten Gegend ähnlich exotisch wie ein Aufenthalt in den 
Tropen sein kann.
Bedeutung der langfristigen Optik
Der Beherbergungswirtschaft als touristischer Leitindustrie geht es 
weniger gut. Nach einem kurzen Wiederaufschwung um die 
Jahrtausendwende ist diese Branche wieder in Nöten. Bedenklich ist 
vor allem die Erosion der Nachfrage aus dem Ausland.
Die Globalisierung hinterlässt im exponentiell wachsenden 
internationalen Tourismus erstmals Spuren. Die Konjunktur in den 
wichtigsten europäischen und überseeischen Herkunftsländern ist 
flau. Krisenherde und gesundheitliche Risiken erhöhen die Flugangst 
und verringern die Reiselust. Die Fluggesellschaften sprechen vom 
schlechtesten Winterquartal aller Zeiten.
Die Schweizer Tourismuswirtschaft hat auf die wirtschaftlichen 
Schwierigkeiten und die externen Schocks besonnen und reagiert. Sie 
hat gelernt, mit den kurzfristigen Schwankungen der Nachfrage fertig 
zu werden. Die Unternehmen ergreifen gezielte Massnahmen zur 
Nachfragebelebung und passen ihre Kapazitäten an. Sie überprüfen die 
Strukturen, um das Geschäftsrisiko zu verringern. Sie wollen 
nachhaltig wachsen.
Der Schweizer Tourismustag verfällt nicht in Aktionismus. Er befasst 
sich mit der Langfristperspektive. Er setzt sich mit Innovation 
auseinander. Sie ist der Motor der Wirtschaft und bestimmt den 
Wachstumstrend.
Innovationsfähigkeit von Standorten
Es macht Sinn, hier in Zürich über Innovation zu sprechen. Die Stadt 
ist aufgrund weitsichtiger Investitionen in die 
Verkehrsinfrastrukturen die am besten erreichbare europäische Stadt. 
Sie nutzt geschickt den Standortvorteil der niedrigen Schweizer 
Mehrwertsteuer, um an Bahnhofstrasse preisgünstige Luxusgüter an 
eine internationale Kundschaft anbieten zu können. Die Zürcher 
Eventkultur hat Weltruf. Die Gastronomie setzt jenseits des „Gault 
Millau“ neue Massstäbe.
Früher machte Zürich mit dem Slogan „Little Big City“ im Ausland auf 
sich aufmerksam. Inzwischen ist das zürcherische Selbstbewusstsein 
gestiegen. Die neue Positionierung „Zürich, Downtown Switzerland“ 
hat in der übrigen Schweiz für Gespräch gesorgt. Bern ist zwar noch 
immer Bundesstadt. Zürich ist die Hauptstadt der Wirtschaft. Sie ist 
auch die grösste Tourismusmetropole der Schweiz.
„Greater Zürich“ erwirtschaftet rund vier Milliarden Franken aus dem 
Tourismus ein. Der Anteil der lokalen touristischen Wertschöpfung 
beträgt beachtliche 7% und liegt damit deutliche 3% über dem 
gesamtschweizerischen Mittel. Jährlich übernachten fast drei 
Millionen Besucher.
Erfindungen mit unvorsehbaren Folgen
Vor dreissig Jahren konnte niemand die rasante wirtschaftliche 
Entwicklung und Veränderung von Zürich voraussehen. Die 
Inkubationszeit von Innovationen ist lang. Es ist nicht 
vorhersehbar, wohin Erfindungen führen. Utopische Denker wie Jules 
Vernes sind rar. Er konnte sich vor allen anderen Vorstellungen über 
das moderne Reisen machen.
Beim ersten erfinderischen Durchbruch steht meist noch in den 
Sternen, welchen Nutzen eine Volkwirtschaft daraus ziehen kann. Das 
Flugzeug der Gebrüder Wright war ein kurioses Fluggerät aus Holz und 
Stoff, welches mit Drähten zusammengehalten wurde. Es flog nur 
wenige Meter über dem Boden und lediglich ein paar Fussballfelder 
weit. Niemand ahnte damals, dass diese Erfindung die Welt verändern 
würde.
Heute überwindet die moderne Luftfahrt grosse Distanzen knapp unter 
der Schallgrenze. Der Produktivitätsfortschritt hat die realen 
Flugpreise nach unten gedrückt. Die Luftfahrt trug wesentlich zur 
Integration der Weltwirtschaft bei . Sie erschloss im Tourismus eine 
Vielzahl neuer Märkte.
Mit ihrer Globalisierungsstrategie hat die Luftfahrt auch die 
Voraussetzung zu einer vor wenigen Jahren noch ungeahnten weltweiten 
Konkurrenz von immer mehr Destinationen geführt. Der Schweizer 
Tourismus tut sich damit schwer.
Innovation als dritter Produktionsfaktor
Berühmt ist die Anekdote jenes Politikers, der den Erfinder der 
elektromagnetischen Induktion fragte, wozu man seine Erfindung 
brauchen könne. Er antwortete: „Ich weiss es nicht, aber eines ist 
gewiss, eines Tages wird die Anwendung besteuert.“ Die Entwicklung 
scheint ihm Recht zu geben. Bereits beschäftigt sich bei der OECD 
eine Arbeitsgruppe mit der Besteuerung des „E-Commerce“.
Den Erfinder von altem Schrott und Korn gibt es nicht mehr. 
Innovationen sind nicht mehr das Werk von Genies und Einzelgängern. 
Die Wirtschaft will nicht mehr von Zufallsereignissen abhängen. Sie 
plant den Innovationsprozess. Die Investitionen in die Innovation 
sind neben Kapital und Arbeit zum dritten Produktionsfaktor 
geworden. Der Staat schafft Anreize für die Innovationsförderung. Er 
unterstützt die Forschung und verstärkt innovative Vorhaben.
Das Internet ist die wichtigste Basisinnovation des noch jungen 21. 
Jahrhunderts. Es wurde 1972 am CERN in Genf erfunden, welches 
eigentlich nicht zu diesem Zweck geschaffen wurde. Die Forscher 
suchten damals gezielt einen Weg, um Informationen rascher 
auszutauschen. Die Post oder der Kurier beanspruchten zu viel 
Forschungszeit. Zu Beginn war die elektronische Kommunikation 
fehleranfällig, aufwendig und kompliziert. Die Kommerzialisierung 
setzte erst ab Mitte der 1990er Jahre ein.
Die schrittweise Weiterentwicklung dieser Basisinnovation führte zu 
einer Vielzahl von Anwendungsinnovationen. Sie schuf neuen 
Kundennutzen und steigerte die Produktivität der Wirtschaft. Der 
Tourismus gehörte zu den ersten Anwendern. Ein Drittel der 
schweizerischen Bevölkerung bucht heute die Ferien über Internet. 
Ein KMU-Betrieb im Greyerzerland kann ohne grosse Kosten Bilder 
seines Hotels in Tokio zeigen und eine Reservation entgegennehmen. 
Ein solcher Marktauftritt war noch vor 10 Jahren undenkbar.
Ausgeprägte Wachstumsschwäche
Innovation ist nicht nur Sache der Wirtschaft. Die 
Innovationsfähigkeit hängt auch davon ab, ob sich eine Gesellschaft 
laufend in Frage stellt und rasch auf Veränderungen reagieren kann. 
Verbreitetes Besitzstanddenken und Interessenkämpfe dämpfen in 
wohlhabenden Ländern oft den Willen, sich neuen Entwicklungen zu 
stellen und notwendige Reformen vorzunehmen. Es entsteht ein 
gesellschaftliches „Malaise“.
Früher sprach man vom „Le mal français“. In der Schweiz wird die 
Frage diskutiert, ob unser Land das Wachstum verschlafen hat. Solche 
Zweifel gibt es für den Tourismus nicht. Er leidet seit langem unter 
einer ausgeprägten Wachstumsschwäche. Es ist der Schweizer 
Tourismuswirtschaft nicht gelungen, auf dem wachsenden Weltmarkt in 
grösserem Umfang zusätzliche Dienstleistungen zu verkaufen und damit 
Geld zu verdienen.
Zwar wird die Schweiz in Gästebefragungen regelmässig als 
Destination bezeichnet, welche gerne besucht würde. Trotzdem nahm 
die Logiernächtezahl in nur einem Jahrzehnt um 15% ab. Der 
touristische Export ging im gleichen Zeitraum um eine Milliarde 
Franken zurück. Der Anteil des Tourismus am Bruttoinlandprodukt sank 
um rund ein Prozent. Diese Entwicklung ist für ein Tourismusland wie 
die Schweiz verhängnisvoll. In zahlreichen Landesteilen gibt es kaum 
andere Entwicklungsalternativen.
Der Krebsgang des Schweizer Tourismus hat aufgrund neuester 
Erkenntnisse mit der preislichen Wettbewerbsfähigkeit des Angebotes 
zu tun. Unserem Tourismus macht offensichtlich die Einführung des 
Euro mehr zu schaffen als bisher angenommen wurde. Der wichtige 
deutsche Markt ist mit einem Schlag auf Währungsschwankungen 
sensibel geworden. Anders ist die unterschiedliche Entwicklung der 
Übernachtungen in der Schweiz und Österreich nicht zu erklären.
Noch stärker als die Wechselkurse fallen für den Schweizer Tourismus 
die grossen Preisunterschiede im Vergleich zu unseren Konkurrenten 
ins Gewicht. Sie sind weitestgehend hausgemacht. Das Kostenniveau 
ist zu hoch. Deshalb setze ich mich mit meinem Programm „Die 10 
Säulen des Wachstums“ für die Stärkung der Markt- und 
Wettbewerbsmechanismen ein. Nur so können Preissenkungen realisiert 
werden.
Orientierung am Kundennutzen
Mit günstigen Rahmenbedingungen ist es allerdings nicht getan. Die 
Tourismuswirtschaft hat sich zu überlegen, mit welchen Strategien 
sie Besucher anziehen und zurückgewinnen kann. Sie muss darüber 
nachdenken, wie und zu welchem Preis sie den Gästen einmalige und 
unvergessliches Erlebnisse anbieten kann. Dazu sind grundsätzliche 
Überlegungen zu den Besonderheiten des touristischen 
Innovationsprozesses anzustellen.
Der kleingewerblichen Tourismuswirtschaft wird oft 
Beharrungsvermögen vorgeworfen. Sie sei nicht innovativ, weil sie zu 
stark auf die Bedürfnisse der Stammkunden eingehe. Die Frage kann 
auch umgekehrt werden.
Wollen die von uns stark umworbenen Stammkunden überhaupt laufend 
neue Produkte? Soll der Tourismus so wie die Automobilindustrie 
funktionieren, welche jedes Jahr neue Modelle herausbringt? Oder gar 
wie die Textilindustrie, welche ihre Kollektionen in noch kürzeren 
Abständen präsentiert ?
Der Bund hat die „Schweiz Tourismus“ beauftragt, zusammen mit der 
Tourismuswirtschaft strategische Antworten auf diese Fragen zu 
finden.
Mit ihrer Kampagne „ Berge“ hat diese öffentlich-rechtliche 
Körperschaft des Bundes darauf hingewiesen, dass das Matterhorn und 
die Bernina nach wie vor in der Schweiz stehen. Mit viel Gefühl hat 
sie vor kurzem das traditionelle Produkt „Luxus und Design“ auf den 
Markt gebracht. In nur drei Wochen waren die 60'000 Projekte 
vergriffen. Die am Ferientag vorgestellte computergestützte 
Gastlichkeitsinitiative „Enjoy Switzerland“ soll eine reibungslose 
qualitativ hochstehende Schweizer Reise garantieren.
„Schweiz Tourismus“ setzt also auf die traditionellen touristischen 
Trümpfe der Schweiz: Spektakuläre alpine Landschaft, einmalige 
touristische Einrichtungen und hohe Servicequalität. Sie sollen mit 
neuen und überraschenden Dienstleistungsbündeln auf neue 
Kundenerwartungen eingehen. Die Stammkunden in den traditionellen 
Herkunftsmärkten sollen gehalten und verjüngt werden. Vor allem ist 
aber das Globalisierungspotential auszuschöpfen und neue Gäste auf 
den Zukunftsmärkten zu gewinnen.
Erneuerung des Angebotes und Steigerung der Produktivität
Die Umsetzung dieser Strategien erfordert stete Investitionen in die 
Attraktivität, den Komfort und die Qualität der Anlagen und 
Dienstleistungen. Die laufende Anpassung des Angebotes an die sich 
wandelnden Gästewünsche ist kostspielig. Sie zwingt unter 
Bedingungen globaler Konkurrenz die Konzentration der finanziellen 
Mittel auf attraktive Standorte und überlebensfähige Betriebe.
In unserem Land sind vor allem Innovationen notwendig, um 
Kostensenkungen zu erzielen und das Preis-Leistungs-Verhältnis zu 
verbessern. Produktivitätsfortschritte sind zwar in einer 
Dienstleistungs- und Erlebniswirtschaft nicht im Ausmass der 
industriellen Rationalisierung möglich. Sie sind aber noch bei 
weitem nicht ausgeschöpft, wie die Anwendung der Internet- 
Technologie zeigt. Ferienprospekte können dem Gast elektronisch 
versandt werden. Die touristischen Organisationen sparen Papier, 
Porto und arbeitsintensives Handling.
Innovative Lösungen sind notwendig, um die touristische 
Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Branchen, die keine attraktiven 
Arbeitsbedingungen anbieten können, schrumpfen. Dabei gilt es zu 
berücksichtigen, dass eine höhere Arbeitsproduktivität nicht nur 
über Ausbildung, Forschung und Entwicklung erreicht werden kann. Im 
Tourismus zählen auch Qualitäten wie aufopfernder persönlicher 
Einsatz für den Gast, bescheidene Zurückhaltung und Freundlichkeit.
Der Nationalrat wird morgen die Botschaft über die Verbesserung von 
Struktur und Qualität des Angebotes des Schweizer Tourismus 
behandeln. Sie enthält ein Programm zur Förderung von Investitionen, 
Innovationen und Qualifizierung. Ich werde mich für die Vorlage 
einsetzen. Ich werde auch für gute Rahmenbedingungen für die 
„Schweiz Tourismus“ sorgen. Sie leistet gute Arbeit!

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