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Caritas - Vor einem Jahr bebte auf Java die Erde - Das Baby vom Bauplatz

Reportage von Fred Lauener, Programmverantwortlicher Java bei Caritas
Schweiz
27. Mai 2006
Indem er um halb sechs Uhr das Haus verliess um seine beiden
Ziegen und die einzige Kuh der Familie zu melken und zu füttern, tat
der Bauer Marto Utomo aus dem Dorf Pengkol im Bezirk Gunung Kidul
Yogyakarta das, was er schon seit bald 60 Jahren jeden Morgen nach
dem Gebet als Erstes erledigte. An diesem Morgen aber war Nichts wie
sonst. Die Tiere wirkten unruhig, nicht nur seine eigenen, auch die
beiden Büffel in der Koppel nebenan stapften mit ihren Hufen Löcher
in das Wiesland, ihr unentwegtes Schnauben klang aufgeregt und
bedrohlich; und aus dem Busch, der das indonesische Dorf fast
vollständig umschloss, waren Schreie wilder Tiere zu hören, die
längst von der Jagd zurück in ihren Höhlen sein sollten. Das kam
Marto Utomo sonderbar vor.
Doch bevor er seine Gedanken ordnen konnte, verstummten die
Tierstimmen plötzlich; die Luft begann zu vibrieren, dann die Erde.
Heftig begann sich der Boden unter seinen Füssen zu bewegen. Von ihm
weg, zu ihm hin. Dass das ein Erdbeben sein musste wusste Marto
sofort. Erdbeben geschehen auf Java häufig. Meist sind es kleinere
Erdstösse, die kaum Schaden anrichten. Die Menschen fürchten sich
nicht vor ihnen.
Dieses Erdbeben aber war stärker als alle, die er zuvor erlebt
hatte, und Marto war sofort klar, dass seine Familie, die im Haus war
und wohl noch schlief, in Gefahr war.
Die Familie von Marto Utomo konnte sich rechtzeitig in Sicherheit
bringen. Ihr Haus aus Backstein aber hatte keine Chance gegen die
Gewalt der Natur und stürzte ein. Marto, seine Frau Dinah, ihr Sohn
Haris, dessen Frau Tyas sowie deren dreijährige Tochter Jenny
verloren von einer Minute auf die andere ihr Obdach. Zudem wurde eine
der beiden Ziegen durch eine einstürzende Mauer getötet. Sie war
trächtig gewesen. Ein schlimmer Verlust.
Erst Stunden später offenbarte sich Marto Utomo das wirkliche
Ausmass der Katastrophe in seinem Dorf. Zwei Drittel aller
Wohnhäuser, Ställe und Scheunen, die Schule, das Gemeindehaus, die
Moschee, fast tausend Gebäude waren von dem Erdstoss zerstört worden;
viele Dutzend Menschen durch Trümmer verletzt, drei Nachbarn
erschlagen worden. Von dem Leid, welches das Erdbeben über Pengkol
hinaus ins Land brachte - fünftausendachthundert Menschen starben,
zehntausende wurden verletzt, dreihunderttausend Familien verloren
ihr Obdach - erfuhr Marto Utomo erst nach und nach in den folgenden
Tagen.
Wenige Stunden nach dem Beben auf Java liefen zwischen der Caritas
Zentrale in Luzern und dem Feldbüro Meulaboh in Aceh, Sumatra die
Drähte heiss. Aus Meulaboh koordiniert Caritas Schweiz die
Hilfsprogramme für die indonesischen Opfer der Tsunamikatastrophe von
2004. Dass Caritas Schweiz nun auch den Erdbebenopfern auf der
Nachbarinsel Java beistehen würde, war keine Frage.
27. Mai 2007
Pak Danang ist der verantwortliche Bauführer der einheimischen
Hilfsorganisation "Pupuk", die in Pengkol für Caritas Schweiz den
Wiederaufbau von über vierhundert Wohnhäusern koordiniert und
überwacht. Die Organisation hatte sich schon bei der Verteilung der
Zelte, Nothilfepakete und Werkzeuge unmittelbar nach dem Erdbeben als
verlässlicher Partner erwiesen. "Pupuk" wurde Caritas damals von
"Yel", der Partnerorganisation für die Projekte in Aceh empfohlen und
vermittelt.
Achtzig Häuser sind mittlerweile seit dem Baubeginn Mitte Januar
in Pengkol erstellt worden. Marto Utomo und seine Frau Dinah gehörten
zu den ersten, die in ihr neues Heim einziehen konnten. Achtzig
Häuser in fünf Monaten, das ist eine gute Zwischenbilanz! Denn die
architektonisch einfachen aber erdbebenresistent konstruierten Häuser
werden nicht von Unternehmern, sondern von den Begünstigten und
freiwilligen Helfern unter fachkundiger Anleitung selber gebaut. Die
Bauzeit pro Haus beträgt rund drei Wochen, wenn es nicht regnet und
der Materialnachschub klappt. Und doch, mit der einen Baustelle, an
der Pak Danang auf seinen Inspektionsrunden nun schon zum dritten Mal
vorbeikommt, ohne dass er einen Menschen bei der Arbeit sieht,
scheint etwas nicht zu stimmen. Sand, Backsteine und anderes Material
liegen bereit. Mit dem Aushub wurde begonnen, doch die Ruine des
zerstörten alten Hauses steht noch immer da und versperrt den
Bauplatz. Danang geht der Sache nach.
Der Grund ist winzig aber wichtig. Etwa fünf Kilo schwer, zwanzig
Tage alt und manchmal ziemlich laut. Ein Baby! Ein Kind, das in der
notdürftig mit Blachen geschützten, offensichtlich noch immer
bewohnten Ruine vor drei Wochen zur Welt kam. Die Tradition auf Java
will es, dass Kindern während ihren ersten fünfunddreissig
Lebenstagen allerlei Zeremonien zuteil werden, an denen die gesamte
Verwandtschaft, alle Freunde der Familie und die Nachbarn teilhaben.
Das Geburtshaus des Kindes darf während dieser Zeit auf keinen Fall
abgerissen werden. Die Bauarbeiten sind solange ausgesetzt. Das ist
höhere Gewalt.
Caritas Schweiz auf Java:
Nothilfe, Mai bis September 2006:
- Verteilung von Zelten an 500 obdachlose Familien
   - Verteilung von Paketen mit Artikeln des täglichen Bedarfs and   
     6500 Familien
   - Verteilung von Werkzeugsets für Notreparaturen und Schutträumung
     an 250 Familien und Dorfgemeinschaften
Wiederaufbau, ab September 2006:
- Wiederaufbau von 420 erdbebenresistenten Wohnhäusern im  
     Bauerndorf Pengkol
   - Instandstellung der Wasser- und Abwasserversorgung in Pengkol  
     und Umgebung
   - Einkommensfördernde Projekte zur Verbesserung der   
     wirtschaftlichen Situation in Pengkol und Umgebung
   - Erweiterung des Programms auf neue Projektregionen ab Mitte 2007
Fotos stehen zum downloaden bereit unter
http://web.caritas.ch/page2.php?pid=1300 - "Ein Jahr nach dem
Erdbeben auf Java"

Kontakt:

Fred Lauener
Programmverantwortlicher Java von Caritas Schweiz
Tel.: +41/78/686'57'77

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