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Markus Ries ist Präsident der kantonalen Kommission für Gesellschaftsfragen: Die "Loki" sorgt auch für die Schwächeren

Luzern (ots)

Prof. Markus Ries ist ehemaliger Universitätsrektor
und aktueller Präsident der kantonalen Kommission für
Gesellschaftsfragen. Die Strategie der Regierung, diesen Kanton
mittels Fusionen zu stärken, erachtet er als richtig: "Der
Regierungsrat muss diese Führungsfunktion wahrnehmen."
Früher waren vor allem Fusionen von kleinen, finanzschwachen
Gemeinden mit einer grösseren Gemeinde im Fokus der Regierung. Seit
einem Jahr sind die Akzente neu gesetzt. Auch die Zentren Sursee und
Luzern sollen fusionieren.
Markus Ries: Ich unterstütze den neuen Akzent, er ist vor allem
vom unternehmerischen Denken her gegeben. Wer im Konkurrenzkampf mit
anderen Kantonen bestehen will, muss das Gewicht auf seine Stärken
legen. Dort muss er investieren und modernisieren. Wie Zürich der
Motor für die gesamte Schweiz ist, ist die Agglomeration Luzern der
Motor des Kantons Luzern. Ihm müssen wir Sorge tragen. Wenn die
Lokomotive läuft, kommt das dem ganzen Kanton zugute.
Diese Konzentration auf die Zentren löst bei der Bevölkerung
Ängste aus. Es wird befürchtet, wenn in die Stadt investiert wird,
kommt die Landschaft zu kurz.
MR: Das sind alt bekannte Verteilungsängste. Dennoch ist die
Einsicht wichtig, in den Motor, zu investieren. Früher galt die
Devise, möglichst gleichmässig zu verteilen. Selbst beim Bund hat in
der Zwischenzeit ein Umdenken stattgefunden. Bundesrat Moritz
Leuenberger zum Beispiel sagt: "Ich verstehe die Urner. Sie möchten
Lärmschutz, doch auch in der Stadt Zürich ist der Lärmpegel sehr
hoch. Warum soll dort alles in den Berg, wenn in Zürich die Strassen
oberirdisch verlaufen?"
Sie stellen den Stadt-Land-Graben in Frage.
MR. Wenn ich ihn aus der geschichtlichen Perspektive betrachte,
ist er in der Tat viel kleiner, als wir ihn heute wahrnehmen. Bereits
im 19. Jahrhundert gab es im Kanton Luzern eine Diskussion rund um
die Wahlkreise und Neugliederung des Kantons. Das Leben auf dem Land
unterschied sich damals aber gewaltig von demjenigen in der Stadt:
Die Lebensqualität war völlig anders, die Berufswelt, das
Familienleben, die Freizeit, sogar die Ernährung war anders. Man
lebte so zu sagen in verschiedenen Gesellschaften.
Und heute?
MR: Ich lebe in der Gemeinde Rain. De facto leben wir dort gleich
wie die Leute in der Stadt, und es besteht dazwischen ein reger
Austausch. Der Stadt-Land-Graben ist viel stärker eine Sache der
Wahrnehmung als der tatsächlichen Lebensumstände.
Sind diese Ängste mit Tendenzen wie Globalisierung oder
Urbanisierung zu verstehen?
MR. Das ist möglich. Doch auch hier ist es mehr die
Selbstwahrnehmung als die Realität, die den Unterschied macht. Wer
einmal in der Stadt gewohnt hat, merkt, dass auch dort Nachbarschaft
gelebt wird. Man kennt sich, hilft und schaut zu einander. Es gibt
zwar die Vorstellung von Stadt gleich grösser und anonymer. Doch im
Grunde lebt heute fast jede und jeder von uns in einer
Stadtsituation.
Wo Fusionen stattfinden, ist der Prozess oft sehr schmerzhaft,
weil es darum geht, Identität aufzugeben. Obwohl im Alltag sich nur
wenig ändert, erfahren die Leute einen Verlust.
MR. Das kann ich sehr gut verstehen. Es ist die Kehrseite der
Medaille. Bei uns haben die Einwohnerinnen und Einwohner in den
Gemeinden noch wirklich etwas zu sagen. Es gibt das echte
Mitbestimmungsrecht: Der Steuerfuss kann autonom festgelegt werden,
Schulferien usw. Das ergibt eine emotionale Bindung, die beim
Auflösen einer Gemeinde schmerzhaft erfahren wird. Das geht hin bis
zu den Symbolen, das sage ich als Theologe besonders gerne.
Warum als Theologe?
MR. Es besteht heute die Tendenz, das soziale Leben vor allem auf
das Funktionale zu reduzieren. Wir tendieren dazu, das Symbolische -
sei es religiös oder profan - zu unterschätzen. Symbole wie ein
Gemeindewappen oder ein Gemeindename haben mit Traditionen zu tun,
mit Identität und Selbstverständnis.
Wie können wir im Kanton Luzern den Weg gehen, Altes zu bewahren
und gleichzeitig den Schritt in die Zukunft zu wagen?
MR. Es gilt, eine Zwischenlösung zu finden zwischen den im
Spätmittelalter entstandenen Territorialstrukturen und einer modernen
Verwaltung mit all ihren Ansprüchen. Auch das gesellschaftliche,
kulturelle und wirtschaftliche Leben organisieren wir heute nach
anderen Gesichtspunkten als dies vor 500 Jahren der Fall war.
Wie erklären Sie Ihren Wählerinnen und Wähler, dass es Sinn macht,
in die Zentren zu investieren?
MR. Ich war Rektor einer Uni mit 1500 Studierenden, Zürich hatte
24 000 und die gesamte Schweiz rund 120 0000. Alle 12 Rektoren
pflegten eine intensive Zusammenarbeit. Unsere kleine, junge
Universität hatte ein vitales Interesse daran, dass es den starken
Partnern gut ging. Denn davon haben wir profitiert.
Das müssen sie näher erklären.
MR. Wenn es den Starken gut geht, dann profitieren in einer
freiheitlichen Gesellschaft auch die Schwachen. Es ist ähnlich wie in
der Sozialpolitik: Anstatt auf die Managergehälter zu starren, sollte
man sich vielmehr um die Minimaleinkommen kümmern. Aller Erfahrung
nach ist es doch besser, den Starken die Entfaltung zu ermöglichen
und dafür Ausreisser nach oben in Kauf zu nehmen, als möglichst alles
einzuebnen. Man vergleiche West- und Ostdeutschland zur Zeit der
Teilung: Wo hatten damals die Benachteiligten und Bedürftigen das
menschenwürdigere Leben?
Sie denken, diese Situation sei auf den Kanton Luzern zu
übertragen?
MR. In gewissem Sinne schon. Auch im Kanton Luzern müssen die
schwächeren Regionen ein Interesse daran haben, dass es dem Zentrum
gut geht. Denn das ist gut für die Entwicklung des gesamten Kantons.
Das Zentrum ist die "Loki", sie muss gut gewartet werden. Sie ist es,
die uns vorwärts zieht und dafür sorgt, dass es dem Kanton insgesamt
gut geht.
Interview. Bernadette Kurmann
Hinweise:
Diesem Bericht voraus gingen Artikel mit den Fraktionspräsidenten
Guido Graf, CVP und Albert Vital, FDP; Guido Müller, SVP; Felizitas
Zopfi, SP und Nino Froelicher, Grüne; dem Vorsitzenden des
Wirtschaftsforums, Bernard Kobler und dem Gemeindepräsidenten von
Escholzmatt, Gody Studer. Dem Präsident des Vereins "Starke Region
Sursee, Beat Leu. Weitere Texte mit Repräsentanten aus Politik,
Wirtschaft und Kultur erscheinen in loser Folge.
Ein Foto von Professor Markus Ries kann bezogen werden unter:
    afg@lu.ch

Kontakt:

Bernadette Kurmann,
Beauftragte Oeffentlichkeitsarbeit
Gemeindereform 2000+
Amt für Gemeinden
Bundesplatz 14
6003 Luzern
Tel.: +41/41/228'51'48
Fax: +41/41/210'14'62
E-Mail: bernadette.kurmann@lu.ch

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