1. Zürcher Armutsforum der Caritas Zürich - Weniger Familienarmut durch bessere Zusammenarbeit?
Zürich (ots)
54'000 Menschen im Kanton Zürich sind von Armut betroffen. Tendenz steigend. Am ersten Zürcher Armutsforum der Caritas Zürich diskutierten 150 Fachleute des Zürcher Sozialwesens, wie dank verbesserter Zusammenarbeit öffentlicher, privater und kirchlicher Stellen die Effizienz der Hilfeleistungen erhöht werden könnte. Guido Biberstein, Direktor der Caritas Zürich, stellte dazu die Studie "Weniger Familienarmut durch bessere Zusammenarbeit?" vor.
"Dass in einem reichen Kanton wie Zürich jedes 10. Kind in Armut aufwächst, ist eigentlich nicht zu verstehen," empörte sich Paul Vollmar, Präsident der Caritas Zürich zu Beginn des ersten Zürcher Armutsforums. "Obwohl die von Armut betroffenen Familien von einer Vielzahl staatlicher, privater und kirchlicher Stellen beraten und unterstützt werden, bleibt die Wirkung offenbar aus", konstatierte Vollmar weiter.
Carlo Knöpfel, Leiter des Bereichs Grundlagen bei Caritas Schweiz plädierte in seinem Eingangsreferat dann auch für eine gemeinsame Strategie, die auf eine nachhaltige Verminderung der Zahl armutsbetroffener Menschen ausgelegt ist. "Eine solche Strategie gibt es heute nicht", so Knöpfel. Es fehle ein soziales Netzwerk von öffentlichen, privaten und krichlichen Stellen, das eine solche Strategie entwickeln würde.
Mangelhafte Zusammenarbeit
Dass die Zusammenarbeit zwischen staatlichen, privaten und kirchlichen Stellen oft zu wünschen übrig lässt, erlebt die Caritas Zürich täglich im Gespräch mit Hilfe Suchenden. Viele Menschen wenden sich an die Caritas Zürich, weil ihnen die Übersicht über die vielen Unterstützungsangebote fehlt. Immer wieder beklagen sie sich über bürokratische Leerläufe.
Am Beispiel der Stadt Zürich, der Kleinstadt Dietikon sowie der Landgemeinde Pfäffikon untersuchte die Caritas Zürich, wie es tatsächlich um die Zusammenarbeit der verschiedenen sozialen Einrichtungen steht. "Unsere Studie bestätigte unsere Vermutung: Die interinstitutionelle Zusammenarbeit in den drei Gemeinden ist klar mangelhaft", erklärte Guido Biberstein, Direktor der Caritas Zürich. "Zwar bestehen Kontakte - vor allem bei der Weitervermittlung von Hilfe Suchenden - doch können diese nicht als Netzwerke bezeichnet werden", so Biberstein weiter.
Für die mangelnde Zusammenarbeit nannte Biberstein in seinem Referat mehrere Gründe. Bei der zunehmenden Anzahl Hilfe Suchenden und dem gleichzeitigen Spardruck fehle es den zuständigen Stellen an Kapazität, um ein Netzwerk zu anderen Stellen aufzubauen. Darüber hinaus verhindere der heutige Umgang mit dem Datenschutz Informationen über die Hilfesuchenden zwischen den Institutionen auszutauschen. Ausserdem scheine auch unter Fachleuten nicht immer klar zu sein, welche Stelle für welche Problemlage zuständig ist. Am ehesten funktioniere die Zusammenarbeit dort, wo informelle Kontakte zwischen Mitarbeitenden zweier Stellen bestehen. Schliesslich, so Biberstein weiter, fehle es an einer zentralen Instanz zur Koordination von Hilfeleistungen.
"Die Caritas Zürich glaubt fest daran, dass die Armut im Kanton Zürich effizienter bekämpft werden könnte, wenn die verschiedenen Stellen besser vernetzt und die Unterstützungsleistungen koordiniert würden", erklärte Guido Biberstein. Die Studie schlägt deshalb vor, in einem ersten Schritt das Vertrauen zwischen den öffentlichen, privaten und kirchlichen Einrichtungen zu fördern und den Informationsaustausch zu verbessern. In einem zweiten Schritt plädiert die Caritas Zürich für eine neue Form der Zusammenarbeit die Biberstein als Case-Management bezeichnet. Gemeint sind die umfassende Abklärung von Fall zu Fall und die Entwicklung realistischer und massgeschneiderter Ziele und Massnahmen zu Gunsten der Betroffenen.
Sozialhilfe per Dauerauftrag
Erste Reaktionen auf die Vorschläge der Caritas Zürich erlaubte ein Podium das von René Staubli (Tages Anzeiger) moderiert wurde. Monika Stocker, Vorsteherin des Sozialdepartements der Stadt Zürich erklärte, dass der Staat zwar die Grundsicherung zur Verfügung stellen müsse, jedoch nicht in die Lücke springen könne, welche die privaten und kirchlichen Werke füllen. Angesprochen auf die zunehmenden Fallzahlen der Sozialhilfe bei knapper werdenden Mitteln antwortete Stocker, dass das öffentliche Sozialwesen gezwungen sei, darauf mit effizienterer Fallabwicklung zu reagieren. "Sozialhilfeleistungen werden bereits per Dauerauftrag überwiesen", zitierte René Staubli eine Mitarbeiterin des Sozialamtes. "Effizienter geht es nicht mehr".
Toni Wirz, Leiter des Beratungszentrums des Beobachters trifft auf Menschen, die orientierungslos sind und hin und her geschoben werden. Weiter führte Wirz aus, dass die privaten Stellen zwar das Subsidiaritätsprinzip hoch halten, jedoch immer häufiger Fälle zu übernehmen hätten, für die eigentlich das öffentliche Sozialwesen zuständig wäre. "Der Staat schiebt immer mehr Aufgaben an die Privaten ab", brachte es Wirz auf den Punkt. Die Zusammenarbeit zwischen Staat und Privaten leide darunter.
Toni Zimmermann, von der ökumenischen Bahnhofseelsorge streicht hervor, das viele Menschen nicht finanzielle Hilfe sondern Zuneigung, Nähe, Gespräche und ein offenes Ohr suchten. Stocker bestätigte, dass gerade diese Unterstützung von privaten und vor allem kirchlichen Fachstellen besser geleistet werden könne: "Der Staat kann nicht lieben".
Der Vorschlag der Caritas Zürich, ein zentrales Case Management einzurichten hielt Markus Schneider, freier Journalist und Kenner des schweizerischen Sozialwesens entgegen, dass ein solches die Hilfe Suchenden in neue Abhängigkeit führen würde und die Betroffenen kaum mehr Chancen hätten, ihre Situation selbst in die Hand zu nehmen.
Zusammenfassend schien bei den Podiumsteilnehmenden der Wille zu einer besseren Zusammenarbeit zwar vorhanden zu sein. Der Forderung eines übergreifenden Case Managements mit zentraler Datenverwaltung gegenüber blieb die Mehrheit jedoch skeptisch eingestellt. Besonders wenn hinter der Forderungen der Effizienzsteigerung im Sozialwesen vor allem Sparziele vermutet würden.
Am Nachmittag diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des ersten Zürcher Armutsforums im Rahmen verschiedener Themenseminare konkrete Massnahmen zur besseren Zusammenarbeit. Die Ergebnisse der Seminare werden ab Mitte November auf der Website der Caritas Zürich veröffentlicht (www.caritas-zuerich.ch).
Die Zusammenfassung der Caritas-Studie kann ab sofort unter www.caritas-zuerich.ch herunter geladen werden. Die vollständige Studie ist ab Januar 2006 bei Caritas Zürich erhältlich.
Das Zürcher Armutsforum fand dieses Jahr zum ersten Mal statt. Es soll künftig eine jährlich wiederkehrende Plattform für Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher Träger sozialer Leistungen im Kanton Zürich werden. Eingeladen sind alle Führungskräfte staatlicher, privater und kirchlicher Institutionen, Fachpersonen aus dem Armutsbereich, Sozialwissenschafter sowie Verantwortliche aus der Politik. Als regionales Hilfswerk möchte Caritas Zürich damit die Gelegenheit schaffen, mit vereinten Kräften der wachsenden Armut im Kanton Zürich zu begegnen.
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