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SNF: Wie Jugendliche die Reform des Fremdsprachunterrichts erfahren

Bern (ots)

Die Einführung des Englischen als Herausforderung für
die Volksschule
Die Einführung des Englischen als erster Fremdsprache in den 
Primarschulen der Kantone Zürich und Appenzell Innerrhoden erfolgte 
nicht wissenschaftlich fundiert, sondern vor allem aufgrund 
optimistischer Erwartungen. Die Erfahrungen der Schülerinnen und 
Schüler widersprechen manchen Argumenten der Bildungspolitiker, 
eröffnen aber auch neue Perspektiven. Zu diesem Ergebnis kommt eine 
im Nationalen Forschungsprogramm «Sprachenvielfalt und 
Sprachkompetenz in der Schweiz» (NFP 56) erstellte Fallstudie.
Seit der Jahrhundertwende wird die bildungspolitische Landschaft 
der Schweiz durch einen «Sprachenstreit» geprägt: Sollen die 
Schülerinnen und Schüler in der Primarschule als erste Fremdsprache 
eine zweite Landessprache (z.B. Französisch) oder Englisch erlernen? 
Und für welche Fremdsprache soll die Volksschule wie viele 
Wochenstunden und Finanzen aufwenden? Appenzell Innerrhoden und 
Zürich führten als erste Kantone Englisch als erste Fremdsprache ein 
(AI seit 2001 ab der dritten Klasse, ZH seit 2004 ab der zweiten 
Klasse). Dieser Politik haben sich die Zentral- und Ostschweizer 
Kantone angeschlossen, während die entlang der Sprachgrenze liegenden
Deutschschweizer sowie die Westschweizer Kantone Englisch ab dem 
fünften Schuljahr als zweite Fremdsprache anbieten.
Unter welchen Umständen hat sich das Englische in den zwei 
Pionierkantonen AI und ZH durchgesetzt? Und welche Erfahrungen haben 
Schülerinnen und Schüler damit gemacht? Diesen Fragen gingen der 
Sprachdidaktiker Daniel Stotz und sein Team von der Pädagogischen 
Hochschule Zürich im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 
«Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz» (NFP 56) nach. 
Für ihre Analyse untersuchten sie mit Methoden der qualitativen 
Sozialforschung die bildungspolitischen Entscheidfindungsprozesse 
sowie deren Umsetzung in Schulen der Primar- und Sekundarstufe I in 
je einer Appenzeller und Zürcher Gemeinde.
Fehlende wissenschaftliche Evaluation
Das Fazit der Forschenden: Die mit massiven finanziellen 
Investitionen verbundene Einführung des Englischen als erster 
Fremdsprache und der partiell erfolgte Abbau des Französischen wurde 
von den führenden bildungspolitischen Akteuren vorangetrieben, ohne 
die angeblichen Probleme mit dem Französischunterricht 
wissenschaftlich zu evaluieren. Die Befürworter erreichten ihr Ziel 
mit folgenden Argumenten, die sie erfolgreich positionieren konnten:
1. Omnipräsenz des Englischen: Die Schülerinnen und Schüler hätten
eine besondere Affinität zur Sprache der Jugendkultur und der 
Technik.
2. Frühes Sprachenlernen: Je früher die Kinder in der Schule eine 
Sprache lernten, desto bessere Erfolge seien zu erwarten. Dieses 
Argument wurde nicht in Bezug auf das Französische eingesetzt.
3. Globalisierung und Ökonomisierung: Die Wirtschaft verlange nach 
Kompetenzen in der gängigsten internationalen Sprache.
4. Chancengerechtigkeit: Weil immer mehr Eltern ihre Kinder in 
private Englischkurse schickten, müsse die Volksschule diese 
Benachteiligung unterbinden und das Fach selbst anbieten.
Die Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler
Wie die Forschenden in der Fallstudie herausgefunden haben, 
widersprechen die Erfahrungen vieler Jugendlicher manchen 
bildungspolitischen Argumenten, mit denen die Einführung des 
Englischen vorangetrieben wurde:
1. Nur wenige Schülerinnen und Schüler kommen in der Freizeit auf 
produktive und interaktive Weise mit Englisch in Kontakt. Das 
Verwenden englischer Ausdrücke in der «Jugendsprache» hat wenig mit 
dem schulischen Sprachenlernen zu tun.
2. Die Jugendlichen begrüssen zwar das Versprechen, dass das 
Englische die beruflichen Chancen steigere, machen aber besonders bei
der Lehrstellensuche die Erfahrung, dass Standarddeutsch am 
wichtigsten ist. Mehrsprachige Jugendliche messen dem Französischen 
einen besonderen Wert zu.
3. Schulische Misserfolge enttäuschen die Erwartung, sich mittels 
Englisch global verständigen zu können.
4. Das Argument der Chancengerechtigkeit wird durch die Einteilung 
der Schülerinnen und Schüler in verschiedene Leistungszüge (z.B. Sek 
A, B und C) relativiert. Gerade das Sprachlernpotenzial der zwei- 
oder mehrsprachigen Schülerinnen und Schüler wird zu wenig 
ausgeschöpft.
Die Reform weitertreiben
Die Einführung des Englischen konfrontiert die Volksschule mit neuen 
Herausforderungen. Die Chance, dass die Jugendlichen zwei 
Fremdsprachen erlernen, wird durch den partiell erfolgten Abbau des 
Französischen gemindert. In AI werden nur die Sekundarschüler 
obligatorisch in zwei Fremdsprachen gefördert. Nach Ansicht der 
Forschenden sollte die Reform dennoch weitergetrieben und das 
Lehrpersonal der Sekundarstufe weitergebildet werden, damit es mit 
dem unterschiedlichen Wissensstand der aus der Primarschule kommenden
Schülerinnen und Schüler umgehen kann. Die Lehrpersonen sollten im 
Unterricht vermehrt kommunikative Initiativen aus der Klasse fördern.
Es wäre zu begrüssen, wenn die neuen Lehrmittel diesen Erkenntnissen 
Rechnung trügen.
Nationales Forschungsprogramm «Sprachenvielfalt und 
Sprachkompetenz in der Schweiz» (NFP 56)
Die traditionelle Viersprachigkeit der Schweiz ist längst zur 
Vielsprachigkeit geworden. Dies wirft für Schule und Gesellschaft 
Probleme auf. Andererseits aber eröffnet das sprachliche Kapital der 
Schweiz grosse Chancen, da die internationalen Verflechtungen 
Sprachenkenntnisse nötiger denn je machen. Die Vielfalt der Sprachen 
stellt heute neue Herausforderungen an Schule, Politik, Wirtschaft, 
Gesellschaft und auch an jedes einzelne Individuum. Das vom Bundesrat
in Auftrag gegebene NFP 56 erforscht und entwickelt seit 2006 die 
Grundlagen zur Erhaltung, Förderung und Nutzung der Sprachenvielfalt 
in der Schweiz.
http://www.nfp56.ch
Der Text dieser Medienmitteilung steht auf der Website des 
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: www.snf.ch > Medien > 
Medienmitteilungen

Kontakt:

Prof. Dr. Daniel Stotz
Pädagogische Hochschule Zürich
Lagerstrasse 5
CH-8090 Zürich
Tel. +41 (0) 43 305 64 42
E-Mail: daniel.stotz@phzh.ch

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