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SNF: Untersuchung des Rätoromanischen im NFP 56 «Sprachen»

Bern (ots)

Lokal verankerte Sprachidentität
Rätoromaninnen und Rätoromanen sind ihrem Dialekt tief verbunden, 
stehen der Einheitsschriftsprache Romantsch Grischun jedoch skeptisch
gegenüber. Sie zeichnen sich durch eine überdurchschnittlich hohe 
Mehrsprachigkeit sowie ihr anpassungsbereites sprachliches Verhalten 
aus. Zu diesen Schlüssen kommt eine Studie des Nationalen 
Forschungsprogramms «Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der 
Schweiz» (NFP 56).
Das Rätoromanische ist eine der vier Landessprachen der Schweiz. 
Es wird noch von 60'600 Personen als Haupt- oder Umgangssprache 
benutzt, von weniger als einem Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung 
also. Das Rätoromanische gliedert sich in fünf regionale 
Sprachvarietäten oder Idiome mit je eigener Schrifttradition. 1982 
hat die romanische Dachorganisation Lia Rumantscha die neue 
Einheitsschriftsprache Romantsch Grischun eingeführt.
Wie erleben Angehörige der romanischen Basis diese spezielle 
sprachpolitische Situation? Erstmals dieser Frage nachgegangen ist 
die Sprachsoziologin Renata Coray. Sie hat im Rahmen des Nationalen 
Forschungsprogramms «Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der 
Schweiz» (NFP 56) zusammen mit Barbara Strebel die Sprachbiographien 
von insgesamt 31 Rätoromaninnen und Rätoromanen aus den beiden 
grossen romanischen Sprachregionen Surselva und Unterengadin 
untersucht.
Unbeliebtes Romantsch Grischun
Die Befragten verbinden ihre rätoromanische Erstsprache mit einem 
hohen emotionalen Wert: Sie bezeichnen Rätoromanisch als wichtigste 
Sprache der alltäglichen mündlichen Kommunikation und räumen ihm in 
der Familien- und Dorfgemeinschaft einen grossen Stellenwert ein. 
Förderlich für die Identifikation erweisen sich auch die häufig 
erlebten Sympathiebekundungen von Unbekannten im Unterland oder 
Ausland.
Auffallend ist die Ablehnung des Romantsch Grischun (RG) durch die
Mehrheit der Befragten. Da sie nur sehr selten Romanisch schreiben 
und lesen, sehen viele keinen Vorteil in dieser neuen Schriftsprache.
Ein überregionales romanisches Wir-Bewusstsein ist entsprechend 
schwach entwickelt, erstaunlicherweise auch bei Vertretern der jungen
Generation. Die Befragten identifizieren sich in erster Linie mit dem
eigenen Dorf oder Tal, weniger mit einer gesamtromanischen 
Sprachgruppe. Direkte Kontakte über das eigene Idiom hinaus kommen 
selten vor. Die kulturellen Anlässe von romanischen Organisationen, 
welche die gesamtromanische Identität fördern sollen, stossen auf 
wenig Interesse. Auch am romanischen Radio und Fernsehen ziehen die 
Befragten die Verwendung der Idiome derjenigen von RG vor. Die 
geplante Ablösung der romanischen Regionalschriftsprachen durch RG in
der Schule wird von vielen abgelehnt. Auch andere sprachpflegerische 
Massnahmen wie z.B. romanische Beschriftungen stossen auf wenig Echo.
Das verweist auf Diver-genzen zwischen den Bedürfnissen der 
Bevölkerung und den Zielen der Spracherhaltungsorganisationen.
Schwieriger Erwerb des Deutschen
Im Vergleich zur gesamtschweizerischen Bevölkerung weisen die 
Befragten eine überdurchschnittlich hohe Mehrsprachigkeit aus. Darob 
geht gerne vergessen, dass Deutsch als erste Fremdsprache von den 
Befragten mühsam erlernt werden musste und zwar sowohl die deutsche 
Schriftsprache als auch die Mundart. Die meisten Befragten haben 
negative Erinnerungen an den Deutscherwerb. Insbesondere die nur 
deutschsprachigen Berufsschulen stellen für viele eine hohe Hürde 
dar. Teilweise werden Romanischsprachige mit fehlenden deutschen 
Mundartkenntnissen oder starkem Akzent immer noch stig-matisiert.
Dies kontrastiert mit dem anpassungsbereiten sprachlichen 
Verhalten der Befragten. Niemand beharrt auf rätoromanischer 
Kommunikation mit deutschsprachigen Zuzügern. Im konkreten Fall 
ziehen sie mündlich wie schriftlich eine effiziente Verständigung in 
Deutsch vor. Sie lehnen einen als allzu übertrieben empfundenen 
romanischen Purismus ab, und verwenden lieber weiterhin deutsche 
Lehnwörter als unverständliche romanische Neologismen.
Der Schlussbericht «Rätoromanische Sprachbiographien. Sprache, 
Identität und Ideologie in Romanischbünden» kann heruntergeladen 
werden unter: www.snf.ch > Medien > Medienmitteilungen.
Nationales Forschungsprogramm «Sprachenvielfalt und 
Sprachkompetenz in der Schweiz» (NFP 56)
Die traditionelle Viersprachigkeit der Schweiz ist längst zur 
Vielsprachigkeit geworden. Dies wirft für Schule und Gesellschaft 
Probleme auf. Andererseits aber eröffnet das sprachliche Kapital der 
Schweiz grosse Chancen, da die internationalen Verflechtungen 
Sprachenkenntnisse nötiger denn je machen. Die Vielfalt der Sprachen 
stellt heute neue Fragen an Schule, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft
und auch an jedes einzelne Individuum. Das vom Bundesrat in Auftrag 
gegebene NFP 56 erforscht und entwickelt seit 2006 die Grundlagen zur
Erhaltung, Förderung und Nutzung der Sprachenvielfalt in der Schweiz.
www.nfp56.ch
Der Text dieser Medienmitteilung steht auf der Website des 
Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: www.snf.ch > Medien > 
Medienmitteilungen

Kontakt:

Dr. Renata Coray
Apollostrasse 18
CH-8032 Zürich
Tel.: +41 (0) 44 388 70 54
E-Mail: rcoray@vtxmail.ch

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