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27. Wissenschaftsapéro der Empa-Akademie -- Ist Eisenbahnlärm unvermeidlich?

Dübendorf (ots)

Auch wenn die Schweiz bei der Bekämpfung des
Bahnlärms international eine Vorreiterrolle einnimmt, gibt es hier 
zu Lande noch viel zu tun. Darüber waren sich am 
Empa-Wissenschaftsapéro alle einig, junge Forscher wie «alte Hasen».
Rossano Stefanelli von der ETH Zürich erforscht die Ursachen von 
Kreischgeräuschen bei Tram und Bahn. Zur „Einstimmung“ liess er es 
in der Akademie ordentlich quietschen und kreischen, was dem 
Publikum in Ohren und Knochen fuhr. Doch wie entstehen diese 
unangenehmen Geräusche überhaupt? Und warum kreischt das eine 
Schienenfahrzeug, während ein anderes – aus den exakt gleichen 
Bauteilen – „stumm“ daherrollt? Eine komplizierte Angelegenheit, die 
auf winzige Unterschiede bei den einzelnen Komponenten 
zurückzuführen ist.
Was verursacht Kurvenkreischen?
Als gesichert gilt, dass das Wechselspiel zwischen Gleiten und 
Haften am Kontaktpunkt von Rad und Schiene die Ursache für das 
Kreischen ist. Aber nicht alleine; auch Schienenzustand, Temperatur, 
Luftfeuchtigkeit und andere „äussere Einflüsse“ spielen eine Rolle. 
Um das Problem wissenschaftlich zu durchleuchten, wurden diese 
Einflüsse sowie ihre Auswirkungen auf die Lärmentwicklung an 
verschiedenen Bahnabschnitten gemessen. Danach versuchten die 
ETH-Ingenieure mit speziell hierfür entwickelten 
Simulationsprogrammen, das Fahrverhalten am Computer zu modellieren. 
Anschliessend verglichen sie die Messresultate mit den 
Simulationsergebnissen. Nach etlichen Programmierschritten, in denen 
das Computermodell der Wirklichkeit immer mehr angepasst wurde, 
gelang es den Forschern schliesslich, Kurvenkreischen am Computer zu 
simulieren und Gegenmassnahmen vorzuschlagen, z.B. 
Radschallabsorber, Schienendämpfer, Gummireifen oder 
Lärmschutzwände. Doch trotz aller Fortschritte haben die 
Lärmforscher auch in Zukunft noch alle Hände voll zu tun; unter 
anderem geht es darum zu verstehen, warum das Kreischen häufig 
«spontan» auftritt, um dann genauso unerwartet wieder zu 
verschwinden.
Lärmbekämpfung an der Quelle
Einer der Vorteile des Schienenverkehrs ist eine besonders 
effiziente Nutzung der Energie. Die gute Umweltbilanz wird 
allerdings durch massive Lärmemissionen getrübt. 
Grenzwertüberschreitungen von 20 Dezibel (dB) und mehr machen die 
Bahn zum lautesten Transportmittel. Hauptverursacher sind die vor 
allem nachts verkehrenden Güterzüge, die oft noch mit so genannten 
Graugussklotzbremsen ausgerüstet sind. Eine veraltete Technik, die 
hohe Rollgeräusche verursacht. Personenzüge bremsen dagegen schon 
seit Jahren mit geräuscharmen – dafür teureren – Scheibenbremsen. 
Leisere Güterzüge verspricht sich der Leiter des Fachgebiets 
Schienenfahrzeuge am Institut für Land- und Seeverkehr der der 
Technischen Universität Berlin, Prof. Markus Hecht, von einer 
Innovation: Das von einem deutsch-schweizerischen Konsortium neu 
entwickelte Güterwagendrehgestell «Leila» ist um ganze 18 dB leiser 
als herkömmliche, graugussgebremste Drehgestelle. Es ist zudem 
leichter, verschleissärmer und weniger störungsanfällig. Zu den 
technischen Finessen gehören Radscheibenbremsen mit elektronischer 
Regelung und elektronische Wartungs- und Diagnosesysteme. Bestehende 
Güterwagen können relativ einfach mit „Leila“ nachgerüstet werden. 
Dadurch liessen sich die derzeit hohen Standzeiten der Güterwagen 
deutlich senken und die Rentabilität der Bahn steigern – ein nicht 
zu unterschätzender Wettbewerbsvorteil in der Konkurrenz zum 
Transport auf der Strasse. Sobald «Leila» die Zulassungsprüfungen 
bestanden hat, würden die ersten Wagons damit ausgerüstet, so Hecht. 
In zwei Jahren könne das neue Drehgestell dann europaweit eingesetzt 
werden.
Umsetzung der Lärmschutzverordnung in Verzug
Lärmemissionen unterliegen in der Schweiz der so genannten 
Lärmschutzverordnung (LSV), die 1986 – im Gegensatz zum Ausland – 
auch für bestehende Eisenbahnstrecken Grenzwerte festgelegt hat. Die 
damit verbundenen Sanierungsziele seien leider bei weiten noch nicht 
erreicht, erklärte der Empa-Lärmexperte und Umweltingenieur 
Jean-Marc Wunderli am Wissenschaftsapéro. Erst in Rahmen des 
FinöV-Gesetzes (Finanzierung des öffentlichen Verkehrs) wurden die 
notwendigen Mittel gesprochen, die auf eine Sanierung der meisten 
Fälle mit Grenzwertüberschreitungen bis zum Jahr 2015 hoffen lassen. 
Die Erneuerung der Schienenfahrzeuge wird rund 820 Millionen Franken 
kosten und eine Einhaltung der Immissionsgrenzwerte in ca. 38% der 
Fälle bewirken. Weitere 31% der Grenzwertüberschreitungen können 
durch Lärmschutzwände, die nahe an den Lärmquellen angebracht werden 
und daher sehr effektiv sind, saniert werden. Beim restlichen Lärm 
sind jedoch nur Ersatzmassnahmen möglich, etwa der Einsatz von 
Schallschutzfenstern. Handlungsbedarf sieht Jean-Marc Wunderli auch 
bei dem zur Erstellung von Planungsgrundlagen und 
Situationsbeurteilungen verwendeten Lärmberechnungsmodell «Semibel», 
das noch aus den 80er-Jahren stammt. Vergleichsberechnungen der Empa 
mit neueren Computermodellen zeigen systematische Fehler von 
Semibel, sowohl bei der Berechnung der Lautstärke an der Lärmquelle 
als auch bei der Schallausbreitung. Vermehrte Aufmerksamkeit 
verdiene auch die Erforschung der Auswirkungen von Lärm auf die 
menschliche Gesundheit. Obwohl sich etwa der Eisenbahnlärm im 
Verlauf der Jahre deutlich verändert hat, wurden seit Einführung der 
LSV keinerlei Studien zu diesem Thema mehr durchgeführt. Wunderli 
wies darauf hin, dass Grenzwerte und Beurteilungsmethoden nicht in 
Stein gemeisselt sein dürften, sondern in regelmässigen Abständen 
kontrolliert und angepasst werden müssten.
Weitere Informationen:
Jean-Marc Wunderli, Abt. Akustik,  jean-marc.wunderli@empa.ch, Tel. 
044 823 47 48.
Was ist der Empa Wissenschaftsapéro?
An den regelmässig stattfindenden Wissenschaftsapéros greift die
Empa-Akademie gesellschaftlich relevante Forschungsthemen auf.
Jeweils drei bis vier ReferentInnen aus Forschung, Politik und
Wirtschaft beleuchten in ihren Vorträgen Ergebnisse und Absichten zum
behandelten Thema aus verschiedenen Perspektiven. Anschliessend
stehen sie den Besuchern entweder in Diskussionsrunden oder beim
Apéro Rede und Antwort. 
Die Wissenschaftsapéros stehen Laien und Fachleuten offen; der
Eintritt ist frei.
Den aktuellen Veranstaltungskalender finden Sie unter:
www.empa-akademie.ch/veranstaltungen

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