PD: Ständemehr bleibt unverändert
(ots)Auch bei klaren Mehrheiten im Ständerat soll auf das Ständemehr bei Verfassungsabstimmungen nicht verzichtet werden. Die vorberatende Kommission des Nationalrates lehnt diese von einer parlamentarischen Initiative vorgeschlagene Relativierung des Ständemehrs ab. Damit würde die direkte Demokratie erheblich geschwächt.
Die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrates lehnt mit 12:7 Stimmen bei einer Enthaltung eine parlamentarische Initiative von Nationalrat Hans-Jürg Fehr (SP/SH) ab (02.443 Pa.Iv. Fehr Hans- Jürg. Mehr Ständerat, weniger Ständemehr). Diese Initiative fordert eine Änderung der Bestimmungen über das Ständemehr in der Bundesverfassung. Spricht sich im Ständerat eine qualifizierte Mehrheit (z.B. zwei Drittel seiner anwesenden Mitglieder) für eine Vorlage aus, welche nach bisherigem Recht Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten ist, so soll nach dem Vorschlag der Initiative nur noch eine Volksmehrheit notwendig sein. Eine Mehrheit der Kantone wäre nur noch notwendig, wenn eine Vorlage im Ständerat nur relativ knapp angenommen wird. Der Initiant und mit ihm die Kommissionsminderheit wollen das ihrer Ansicht nach zunehmende Risiko verkleinern, dass eine wichtige Vorlage zwar eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt, aber dennoch wegen dem fehlenden Ständemehr abgelehnt wird. Es würde zu einer staatspolitischen Krise führen, wenn eine insgesamt von einer klaren Mehrheit der stimmenden Schweizerinnen und Schweizer angenommene Vorlage z.B. allein wegen einigen hundert Stimmenden aus einem kleinen Kanton scheitern würde. Aufgrund der Bevölkerungsentwicklung hat das Gewicht der kleinen Kantone der Ost- und Innerschweiz seit 1848 stark zugenommen. Ursprünglich konzipiert als Minderheitenschutz, diene das Ständemehr immer mehr dem Machterhalt eines bestimmten politischen Lagers. Die Kommissionsmehrheit will am Erfordernis des doppelten Mehrs von Volk und Ständen für Verfassungsänderungen festhalten. Neben dem Grundsatz der gleichen Rechte der Bürgerinnen und Bürger steht gleichberechtigt der Grundsatz der gleichen Rechte der Kantone als Träger des Bundes. Die Mitglieder des Ständerates aus einem Kanton können das heute von der Kantonsbevölkerung ausgeübte Recht der Abgabe der Standesstimme nicht gleichwertig übernehmen. Damit würde die direkte Demokratie erheblich geschwächt. Zudem kann diese Funktion von den Ständeräten schon deswegen nicht übernommen werden, weil auch für sie das "Instruktionsverbot" der Bundesverfassung gilt. Das heisst, dass sie nicht gehalten sind, im Ständerat gemäss der Mehrheitsmeinung in ihrem Kanton abzustimmen. Ein Auseinanderklaffen von Volks- und Ständemehr ist in der Praxis nur bei einem ganz knappen Volksmehr möglich. Dies hat keine Staatskrise zur Folge; es ist im Gegenteil durchaus legitim, dass das Ständemehr eine Minderheit von 45-50% der Stimmenden schützt, die mit der Mehrheit der Kantone zum Beispiel neue Kompetenzübertragungen von den Kantonen an den Bund verhindern will. ______________________________
Mit 13:11 Stimmen lehnt die Kommission eine parlamentarische Initiative der Grünen Fraktion ab, welche die Möglichkeit der Bildung von parlamentarischen Expertenkommissionen einführen will (02.427. Pa.Iv. Grüne Fraktion. Gemischte Studien- und Forschungskommission). Mit solchen Kommissionen, die aus Ratsmitgliedern und Fachleuten zusammengesetzt wären, soll das Parlament unabhängig von Regierung und Verwaltung im Vorfeld des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens Entscheidungsgrundlagen zu gesellschaftlichen Problemen von grosser Bedeutung (z.B. Klimaerwärmung, Gentechnologie) erarbeiten können. Der Wissenstransfer zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sollte auf diese Weise verbessert werden. Die Kommissionsmehrheit lehnt die Initiative ab, weil dieses Instrument nur für ein Berufsparlament geeignet sein kann. Die Doppelbelastung durch das Parlamentsmandat und die Berufsausübung ist heute derart gross geworden, dass für die meisten Ratsmitglieder die erhebliche zusätzliche Belastung durch die Einsitznahme in eine derartige Kommission kaum tragbar wäre. Die Aufgabe derartiger Kommissionen kann im schweizerischen System auch durch die ausserparlamentarischen Kommissionen des Bundesrates wahrgenommen werden. Zudem können auch die bestehenden parlamentarischen Kommissionen Experten beiziehen und Aufträge an die Verwaltung erteilen, um sich Entscheidungsgrundlagen bereit stellen zu lassen. ____________________
Die Kommission hat weiter den Entwurf für ein neues Geschäftsreglement des Nationalrates einstimmig verabschiedet. Diese Totalrevision setzt die verschiedenen Neuerungen des Parlamentsrechts auf Reglementsstufe um, die im Zuge der Revision der Bundesverfassung (96.091) und des Parlamentsgesetzes (01.401) beschlossen worden sind. Das Abstimmungsverhalten der Ratsmitglieder soll in Zukunft der Öffentlichkeit vollumfänglich zugänglich gemacht werden. Was wegen des Widerstandes des Ständerates im Parlamentsgesetz nicht für die ganze Bundesversammlung durchgesetzt werden konnte, soll nun wenigstens im Nationalrat verwirklicht werden. Dort wird bisher bei gewissen wichtigen Abstimmungen die Stimmabgabe jedes Ratsmitglieds in Form einer Namensliste publiziert. Neu sollen die Bürgerinnen und Bürger das Stimmverhalten jeder Nationalrätin und jedes Nationalrates bei allen Abstimmungen einsehen können. Zukünftig soll nicht mehr das älteste, sondern das amtsälteste und damit erfahrenste Ratsmitglied Alterspräsidentin oder Alterspräsident des Nationalrates sein und somit die konstituierende Sitzung nach den Gesamterneuerungswahlen des Rates leiten. An dieser Sitzung soll neben der Alterspräsidentin oder dem Alterspräsidenten neu auch das jüngste der neu gewählten Mitglieder Gelegenheit zu einer Rede erhalten. ________________________
Die Kommission tagte am 9./10. Januar 2003 in Bern unter dem Vorsitz von Nationalrat Charles-Albert Antille (FDP/VS).
Bern, 13. Januar 2003 Parlamentsdienste Auskünfte: Charles-Albert Antille, Kommissionspräsident, Tel. 031 322 99 86 (in Kommissionssitzung in Zimmer 86 des Parlamentsgebäudes) Martin Graf, Kommissionssekretär, Tel. 031 322 97 36