PD: Agrarpolitik 2007: Liberalisierung bei Milch und Fleisch
Bern (ots)
Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) des Nationalrates hat anlässlich ihrer Sitzung vom 20. - 22. Januar 2003 die Agrarpolitik 2007 behandelt. Im Bereich der Milchkontingentierung folgt die Mehrheit der WAK dem Beschluss des Ständerates, die Kontingentierung auf 2009 aufzuheben, verlangt aber vom Bundesrat auf 2006 die Vorlage konkreter Massnahmen zur Abfederung des Ausstiegs. Beim Fleisch schlägt die Kommissionsmehrheit die Versteigerung der Importkontingente vor und will das Funktionieren der öffentlichen Märkte durch verschiedene Massnahmen sichern. Schliesslich schlägt die WAK für die Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen in der Landwirtschaft ein Moratorium bis Ende 2009 vor. Bei der Tabakbesteuerung beantragt die Kommission, an den Differenzen gegenüber dem Ständerat festzuhalten.
I. Agrarpolitik 2007 1. Hintergrund Nachdem mit der Agrarpolitik 2002 eine grundsätzliche Neuausrichtung der Landwirtschaft hin zu mehr Markt und Ökologie eingeleitet wurde, soll diese Stossrichtung mit der Agrarpolitik 2007 auf der Basis des Landwirtschaftsartikels 104 BV weitergeführt werden. Damit sollen günstige Rahmenbedingungen für eine zukunftsorientierte und nachhaltige Landwirtschaft geschaffen werden. Der Ständerat hat als Erstrat das Geschäft in der Wintersession 2002 behandelt (vgl. Pressemitteilungen vom 23.10. und 13.11.2002 der WAK-S auf www.parlament.ch/homepage/medienmitteilungen). Dank der speditiven Behandlung der Vorlage durch die WAK, kann der Nationalrat das Geschäft in der Frühjahrssession beraten.
2. Eintreten Obwohl das Eintreten einstimmig beschlossen wurde, hat die Frage nach den Zukunftsperspektiven der Landwirtschaft die Eintretensdebatte dominiert. Die Debatte stand einerseits unter dem Zeichen der schwierigen Einkommenssituation in der Landwirtschaft und dem engen finanziellen Korsett der Bundesfinanzen. Andererseits dominierte die Einsicht, dass der Landwirtschaft Perspektiven aufzuzeigen sind. Ziel sei weiterhin eine produktive Landwirtschaft, was für die Kommission mindestens ebenso wichtig sei wie die Aspekte Ökologie, Produktesicherheit und -qualität sowie regionale Anliegen. Vor diesem Hintergrund wurde das Weiterführen der Reformen der AP 2002 im Sinne der AP 2007 als notwendig erachtet. Damit werde die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert, womit die Landwirtschaft die internationalen Herausforderungen erfolgreich bewältigen könne. Während die Stossrichtung der Reformen grossmehrheitlich unterstützt wurde, gingen die Meinungen über die Ausgestaltung der Reformen und das Reformtempo auseinander. Generell dominierte die Einschätzung, dass eine Verzögerung der Reformen die Chance einer notwendigen und rechtzeitigen Weichenstellung gefährdet und den Interessen der schweizerischen Landwirtschaft mittel- und langfristig nicht dient.
3. Einzelne Bereiche 3.1. Milchkontingentierung Der Bundesrat schlug die schrittweise Aufhebung der Milchkontingentierung auf Ende April 2007 vor, bzw. den Kontingentsausstieg für die Bioproduzenten und Berg- bzw. Sömmerungsgebiete auf den 1. Mai 2005, respektive den 1. Mai 2006.
Der Ständerat folgte generell diesem Anliegen, verschob allerdings die Aufhebung der Kontingentierung auf 2009, bzw. 2006 für die Bioproduzenten und die Berggebiete. Die WAK-N folgte generell mit grossem Mehr dem Ständerat. Somit sollen die Milchkontingentierung am 1. Mai 2009 aufgehoben und anschliessend befristete Rahmenbedingungen für die privatrechtliche Mengensteuerung eingeführt werden (Verhinderung eines Spotmarktes für Milch). Die in der Dezembersession durch beide Räte angenommenen Anpassungen im Dringlichkeitsrecht (Art. 31 LwG) sollen ins ordentliche Recht überführt werden. Damit wird die Anpassung der Milchmenge durch die Gesamtbranche auf das Kalenderjahr 2003 beschränkt, während anschliessend bis zur Aufhebung der Kontingentierung die einzelnen Brachenorganisationen dem Bundesrat ihre Milchmenge losgelöst von der Gesamtmilchmenge beantragen können. (Eine Minderheit beantragt den Ausstieg bereits 2007, eine andere Minderheit will die Ausstiegsdiskussion erst im Jahre 2006 führen.)
Im Gegensatz zum Ständerat hat die WAK-N den vorzeitigen Ausstieg für Bio- und Bergbetriebe sowie für Organisationen mit einem eigenen Mengenmanagement abgelehnt. Der Zeitdifferenz wurde als zu kurz erachtet, um einen Marktvorteil zu bewirken; auch wurden ein hoher Verwaltungsaufwand, die Möglichkeit von 'Milchtourismus' sowie Fehlinvestitionen in diese Bereiche befürchtet. Schliesslich will die Kommission - ebenfalls in Abweichung zum Erstrat - den Bundesrat beauftragen, bis 2006 ein Konzept für die Ausgestaltung der Milchmarktordnung und flankierende Massnahmen nach dem Ausstieg aus der Milchkontingentierung vorzuschlagen. Diese Vorschläge basieren auf der Erkenntnis, dass sich die Absatzmengen für Milch in den verschiedenen Verwertungskanälen unterschiedlich entwickeln. Grundsätzlich sollen deshalb die für die einzelnen Produkte zuständigen Organisationen die ihren Bedürfnissen entsprechenden Milchmengen separat beantragen können. Damit sollen Milchüberschüsse vermindert werden, da die Branchenorganisationen die Marktverhältnisse besser kennen und bei Überproduktion zur Lösungssuche verpflichtet werden. Der Bund soll nur im Falle der Gefährdung der Entwicklung der Milchwirtschaft in die von den Produzenten festgelegten Produktionsmengen eingreifen.
3.2. Fleisch: Versteigerung der Zollkontingente Vorschlag Bundesrat: Bei der Regelung der Fleischimporte schlägt der Bundesrat die Versteigerung der Zollkontingente nach einer Übergangszeit vor. Mit den aus der wettbewerbsgerechten Verteilung der Zollkontingente resultierenden Versteigerungs-erlösen soll die Finanzierung der Entsorgung der Fleischabfälle sichergestellt werden.
Entscheid Ständerat: Im Ständerat überwog die Ansicht, dass die Marktabräumung nur mit dem bestehenden System der Inlandleistung als Voraussetzung für Zollkontingente gesichert werden kann. Auch wurde ein übermässiger Strukturwandel bei den Metzgereibetrieben und ein weiterer Konzentrationsprozess bei den Importeuren befürchtet. Deshalb beschloss der Ständerat, beim bestehenden System zu verbleiben und auf die Versteigerung der Fleischkontingente zu verzichten.
Vorschlag der WAK-N: Die Kommissionsmehrheit (21:3:1) schlägt die Versteigerung der Importkontingente vor, womit eine bedeutende Divergenz zum Ständerat geschaffen wird. Für die Mehrheit finden sich im Fleischmarkt Renten, welche weder den Landwirten noch den Konsumenten zugute kommen. Diese Kreise - inkl. der Schweizerische Bauernverband - haben sich denn auch für die Reform ausgesprochen. Vor dem Hintergrund eines Selbstversorgungsgrads von 95% beim Rind- und Schweinefleisch und Importen von 5% werden die Bedeutung der Mischrechnung zugunsten des inländischen Fleisches angezweifelt und bedeutende Partikularinteressen vermutet. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung führt zumindest Teile der Renten näher an die Landwirte, Konsumenten oder Steuerzahler. Die Versteigerung ermöglicht die Abschöpfung der Renten und leistet einen Beitrag an die Schuldenbremse und zur Entsorgung der Schlachtabfälle. Eine Minderheit der Kommission (11:12:1) verlangt allerdings, dass der Versteigerungserlös direkt der Landwirtschaft zugute kommt (Entlastung des Fleischmarktes und subsidiär Direktzahlungen) und die Entsorgung der Schlachtabfälle durch allgemeine Bundesmittel berappt wird. Zur Sicherung der Marktabräumung in Randregionen werden schliesslich verschiedene Massnahmen vorgeschlagen: Erstens beschloss bereits der Ständerat die Möglichkeit der Unterstützung von Märkten in Berggebieten (Art. 50 Abs. 2). Zweitens sollen zukünftig 10% der Zollkontingente für Rindvieh und Schafe aufgrund der Zahl der auf öffentlichen Viehmärkten ersteigerten Tiere zugeteilt werden; für eine Minderheit sollen bloss 5% der Zollkontingente so zugeteilt werden (12:13).
3.3. Direktzahlungen Antrag Bundesrat: Aus grundsätzlichen Überlegungen (Leistungsabgeltung) und im Hinblick auf strukturelle Entwicklungsmöglichkeiten will der Bundesrat die Bezugsgrenzen bereinigen. Die Beitragsabstufung und Mindestgrössen nach Fläche oder Tierzahl je Betrieb sowie die Grenzwerte bezüglich Einkommen und Vermögen sollen aufgehoben werden.
Beschluss Ständerat: Der Ständerat folgte dem Bundesrat in allen Punkten.
Antrag der WAK-N: Die Kommissionsmehrheit (15:7:3) lehnt die Aufhebung der Vermögens- und Einkommensgrenzen aus politischen Gründen ab. Einerseits fallen nur wenige Betriebe unter diese Grenze (ca. 1000 Betriebe); andererseits sei das Ausrichten von Direktzahlungen an gut verdienende und vermögende Bauern angesichts der Höhe des Rahmenkredits und der angespannten Lage der Bundesfinanzen für den Stimmbürger kaum verständlich. Für die Minderheit der Kommission soll den Landwirtschaftsbetrieben ein Zusatzeinkommen ausserhalb der Landwirtschaft nicht verbaut und die damit verbundene Benachteiligung von Bäuerinnen aufgehoben werden. Die Aufhebung der Beitragsabstufung nach Mindestgrösse und Mindestanzahl von Tieren je Betrieb wurde angenommen (16:9). Schliesslich wurden zusätzliche Bezugskriterien diskutiert: Abgelehnt wurde die gesetzliche Verankerung des Reduktionsziels bei den grundwasserbelastenden Emissionen (7:15). Auf Ablehnung stiess auch die Verknüpfung der ökologischen Direktzahlungen an die Gewährleistung eines hohen Anteils an betriebseigenem Futter vom eigenen oder gepachteten Land (8:14). Angenommen wurde einzig, dass für Neueinsteiger eine geeignete landwirtschaftliche Ausbildung als Bedingung für Direktzahlungen gefordert wird.
3.4. Raufutterbeiträge Im Bereich der Raufutterbeiträge soll der Bundesrat die Möglichkeiterhalten, diese Beiträge für alle Kühe, auch für diejenigen die Verkehrsmilch produzieren, auszubezahlen. Die Bindung der Milch- und Fleischproduktion an die betriebseigene Raufutterbasis (generell ca. 90%) soll noch klarer als bis jetzt gefördert werden (13:12). Bei Betrieben mit Milchproduktion soll der Bund die Kompetenz erhalten, die Beiträge entsprechend der vermarkteten Milch und unter Berücksichtigung der für die Milchmarktstützung eingesetzten Mittel zu kürzen (24:1). Damit wird dem Bundesrat ermöglicht, die Subventionsströme von der Marktstützung hin zu den Direktzahlungen zu verlagern, womit die Entwicklung der Landwirtschaft hin zu einer nachhaltigen Produktion beschleunigt wird. Für die Kommissionsminderheit kommt eine entsprechende Neuausrichtung der Produktion zu früh und ist mit zu vielen Ungewissheiten verbunden.
3.5. Beiträge zur Erleichterung der Betriebsaufgabe Für die Kommissionsmehrheit ist die Betriebsübergabe zu erleichtern, um den Strukturanpassungsprozess gleichzeitig zu beschleunigen und abzufedern. Während der Ständerat dieses Problem im Rahmen der Regelung der Liquidationsgewinnsteuer (Unternehmenssteuerreform II) regeln will, fordert die WAK schnellere und konkretere Massnahmen: Der Bundesrat soll Massnahmen zur Erleichterung der vorzeitigen Aufgabe von Betrieben und der Übertragung der dadurch frei werdenden Flächen an andere Bewirtschaftende erarbeiten und ergreifen. 36 Moratorium für Gentechnisch veränderte Organismen in der Landwirtschaft Die WAK (12:10:2) schlägt schliesslich ein Moratorium für gentechnisch veränderte Organismen in der Landwirtschaft vor: Der von einer Minderheit bekämpfte Antrag sieht vor, dass bis Ende 2009 solche Organismen weder eingeführt noch verwendet werden dürfen.
4 Zahlungsrahmen Der Zahlungsrahmen (2004-07) für die Vorlage beläuft sich gemäss Bundesrat und Ständerat auf 14,092 Mia. Franken. Die WAK lehnte Anträge zur Erhöhung bzw. zur Reduktion des Rahmenkredits ab.
II. Tabakbesteuerung Die Kommission hat weiter die Differenzen zum Bundesgesetz über die Tabakbesteuerung (02.020) beraten. Bei den zwei Differenzen zwischen den beiden Räten hält die WAK am Beschluss des Nationalrates fest. Zum einen beantragt sie, dem Bundesrat die Möglichkeit zu geben, die Steuersätze nicht - wie vom Ständerat verlangt - um höchstens 50 Prozent, sondern um bis zu 80 Prozent zu erhöhen. Zweitens soll der Bundesrat die Hersteller und Importeure von Zigaretten verpflichten können, eine Abgabe von maximal 0,13 Rappen pro Zigarette in einen Tabakpräventionsfonds abzuliefern. Nach Ansicht der Kommission ist ein solcher Fonds gerechtfertigt und notwendig, um die Prävention insbesondere bei Jugendlichen zu verstärken. Die Kommission hat ausserdem ein Rechtsgutachten zur Kenntnis genommen, das die Verfassungsmässigkeit eines solchen Fonds bestätigt.
Die Kommission hat vom 20.-22. Januar 2003 in Bern unter dem Vorsitz von Nationalrat Jean-Philippe Maitre (CVP/GE) und teilweise im Beisein der Bundesräte Deiss und Villiger getagt.
Bern, 23. Januar 2003 Parlamentsdienste
Auskünfte: Jean-Philippe Maitre, Nationalrat, Präsident WAK-N,022 703 47 50 Stefan Brupbacher, Kommissionssekretär, Tel. 079 789 13 81 (re I) Alexandre Füzesséry, stellvertretender Kommissionssekretär, Tel. 031 322 98 58 (re II)