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Discours Suisse: Stadt-Land-Graben - Tessin zwischen Metropolen und Tälern

Lugano (sda/ots) -

Von Nicole Della Pietra, sda
Die Abstimmung vom 26. September riss wieder
einmal den vielzitierten Röstigraben zwischen Romandie und
Deutschschweiz auf. Zudem entstand ein Riss zwischen Stadt und Land -
auch im Tessin. Doch passt der Süden nicht ganz ins Muster.
Bei der letzten Abstimmung vom September wies der Kanton Tessin
die erleichterte Einbürgerung der zweiten Ausländergeneration mit
59,1 Prozent und jene für die dritte Generation mit 54,6 Prozent Nein
zurück. Den bezahlten Mutterschaftsurlaub befürworteten die
Stimmenden mit 68,8 Prozent, die Postinitiative mit 67,7 Prozent.
Damit widerspiegeln die Tessiner Resultate bei der Postiniative
jene der alpinen Randregionen und beim Mutterschaftsurlaub die der
sozial offenen städtischen Agglomerationen.
Lugano - eine untypische Stadt
Lugano, mit seinen rund 52'000 Einwohnern die einzige Stadt mit
einer Bevölkerungszahl über 30'000 im Südkanton, stimmte wie der Rest
des Kantonsgebietes. Sie stellt damit aber unter den Städten -
zusammen mit Chur und Schaffhausen - eine Ausnahme unter den
Agglomerationen dar.
Matteo Caratti, Chefredaktor der Tageszeitung "La Regione" in
Bellinzona, erklärt das mit dem Phänomen "nuova Lugano". Die Stadt
sei Resultat einer kürzlich erfolgten Fusion von kleineren Gemeinden.
Deren Identität sei noch stark regional geprägt und städtisches
Bewusstsein kaum vorhanden.
Hinzu komme, dass Lugano als drittgrösster Finanzplatz der Schweiz
liberal ausgerichtet sei und sozialen Themen eher geringere Priorität
zuweise.
Abwehrreflexe spielen
Auf kantonaler Ebene erweisen sich die Abstimmungsresultate als
komplexer. Der Politologe Oscar Mazzoleni aus Bellinzona erinnert
daran, dass sich die Abstimmung vom 26. September in eine seit Mitte
der 1980-er Jahre festgestellte Tendenz einreiht.
Um sie zu erklären, müssten zwei zentrale Aspekte berücksichtigt
werden: Zum einen lasse sich ein Verteidigungsreflex der Randregionen
gegen die Zentren feststellen. Zum anderen komme im Tessin ein Gefühl
der Verunsicherung hinzu.
Diese Unsicherheit basiere auf dem Lohndruck durch die Grenzgänger
und auf dem Druck des wirtschaftlichen Riesen Lombardei mit der
Metropole Mailand. Darum habe sich der Souverän abgekapselt.
Und wegen der Metropole Mailand stellt das Tessin auch eine
Ausnahme unter den Grenzregionen der Schweiz dar. Während Basel und
Genf ennet den Landesgrenzen von periphereren Regionen umgeben sind,
liegt der urbane Pol der italienischsprachigen Schweiz in der
Lombardei.
Täler fühlen sich vernachlässigt
Tessiner Politbeobachter erinnern weiter daran, dass der Südkanton
seine Wirtschaft und damit den Wohlstand lange Zeit auf den Bund und
dessen Infrastrukturen ausgerichtet hatte. Heute sei das anders,
stellt der Tessiner FDP-Nationalrat Fabio Abate fest. Es finde ein
Kampf um Vergangenes statt.
Eine ländliche Schweiz vor allem in den abgelegenen Tälern des
Kantons fühle sich aufgrund der dort herrschenden dörflichen
Sicherheit in ihren Überzeugungen bestätigt. Diese ländliche Schweiz
erstreckt sich für den Nationalrat vom Sopraceneri bis zur Südspitze
des Mendrisiotto - Regionen, weitab vom Finanzzentrum Lugano.
Möglicher Mentalitätswechsel umstritten
Gianpiero Gianella, Chef der Tessiner Staatskanzlei, sieht "zwei
Tessin". Das erste Tessin habe sich mit einer Universität versehen,
verfüge über einen bio-medizinischen Forschungspool und sei eine
Wiege der zeitgenössischen Architektur.
Das zweite Tessin empfinde sich als von Widrigkeiten heimgesucht,
von Bundesbern verlassen und sei in der höheren Politik kaum mehr
vertreten.
Franco Celio, Historiker und FDP-Kantonsparlamentarier, stellt
einen Mentalitätswechsel fest. Die wachsende Zahl der Tessiner
Studierenden an italienischen Hochschulen könnte nach seinen Worten
zu einer grösseren Öffnung des Kantons nach Aussen führen.
Oscar Mazzoleni dämpft diesen Optimismus allerdings. Die Wanderung
der Studierenden nach Italien erfolge wellenförmig. Das gleiche sei
bereits in den 1970-er Jahren zu beobachten gewesen. So sieht
Mazzoleni kein eindeutiges Zeichen für eine Öffnung und
prognostiziert darum auch keine.
Notiz: Folgt Extra

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