Discours Suisse - Kultur: In der Romandie kocht jeder sein eigenes Süppchen
Genf/Lausanne (ots)
In den Bereichen Bildung, Verkehr oder Gesundheit ist die Zusammenarbeit der Westschweizer Kantone auf gutem Weg. In der Kultur-Politik hapert es jedoch: jeder kocht sein eigenes Süppchen.°
Dies hängt damit zusammen, dass die Kultur als Element der lokalen Identität wahrgenommen wird. Aus kultureller Sicht gleiche die Romandie einem Archipel von Inseln, sagt Daniel Rossellat, der Gründer des Paléo Festivals von Nyon und ehemaliger Event-Verantwortlicher der Expo 02.
Er erklärt sich das Phänomen damit, dass die Kultur, so wie sie von der Bevölkerung wahrgenommen wird, ein starkes Element der lokalen Identität darstelle. Es gebe eine Fülle von Anlässen jeder Art, die auf lokalen Traditionen und Interessen beruhten.
Das Kulturangebot der Westschweiz sei extrem reich und vielfältig, sagt Rossellat, vor allem wenn man sich die bescheidene Dimension der Region vor Augen führe (in der 1,7-Mio-Einwohner-Metropole Lyon beispielsweise leben gleich viele Leute wie in der gesamten Romandie).
Da viele kulturelle Anlässe lokalen Charakter haben, sind sie kaum über die regionalen Grenzen hinaus bekannt. In erster Linie würden Betreiber von Festivalsälen wie Les Docks und Le Romandie aus Lausanne oder L'Usine aus Genf versuchen, die lokalen Grenzen zu durchbrechen.
Das so gut wie einzige Beispiel für eine interkantonale Zusammenarbeit im Kulturbereich ist gemäss Rossellat die Theater-Berufsschule La Manufacture in Lausanne, die im Jahr 2003 von sieben französischsprachigen Kantonen ins Leben gerufen worden ist.
Rossellat wünscht sich eine bessere Aufteilung der Ressourcen unter Museen und anderen kulturellen Institutionen. Doch diejenigen Formen der Kultur, die nicht dem Erhalt des kulturellen Erbes dienen, würden in politischen Kreisen, vorab im rechten Lager, misstrauisch beäugt.
Das Geld kommt von den Städten
Der parteilose Rossellat, der in Nyon als Stadtpräsident amtiert, macht zudem darauf aufmerksam, dass die Kultur in der Romandie eine fast exklusive Angelegenheit der Städte sei. Nyon mit seinen 20'000 Einwohnern beispielsweise gibt jährlich rund 5 Mio. Franken für den Kulturbetrieb aus.
"Die Kantone hingegen unternehmen wenig bis nichts", bestätigt Patrice Mugny, ein Mitglied der Genfer Stadtregierung. Was die Kulturförderung betrifft, ist Genf ein Sonderfall.
Es ist diejenige Stadt Europas, die den grössten Anteil ihres Budgets für die Kultur ausgibt: 20 Prozent. Dies entspricht 230 Millionen Franken im Jahr - zehn Mal so viel, wie der Kanton Genf hinblättert.
Nach Ansicht von Mugny werden nicht einmal die von Kunstschaffenden lancierten Versuche, die Kulturförderung in der künftigen Genfer Verfassung zu verankern, zu einer ausgewogeneren Kostenaufteilung führen. "Es bräuchte eine Reorganisation in der ganzen Region, doch die Widerstände sind beachtlich", sagt der Grünen-Politiker.
Ins selbe Horn stösst Rossellat: "Niemand scheint bereit zu sein, auch nur das kleinste Stück Macht abgeben zu wollen." Dazu komme, dass sich jede Stadt in einem bestimmten Gebiet spezialisiert habe.
Jeder pflegt sein Steckenpferd
Lausanne beispielsweise setze mit dem Béjart Ballet und dem Kammermusikorchester auf prestigeträchtige Kultur. Genf hingegen fördert die aufstrebende Kultur und hat das dafür zur Verfügung stehende Budget in den letzten sechs Jahren von 10 auf knapp 17 Mio. Franken erhöht, wie Mugny betont.
Freiburg wiederum baut seine Infrastrukturen für Schauspiele aus, während das Wallis seinen Ruf als Kulturdestination in erster Linie der Stiftung Gianadda verdankt, die der Unternehmer Léonard Gianadda ins Leben gerufen hat.
Neuenburg hat sich dank den provokativen Ausstellungen seines ethnografischen Museums über seine Kantonsgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Der Kanton Jura und der Berner Jura betreiben erstaunlicherweise seit einigen Jahren eine gemeinsame Kulturförderung unter der Obhut der interjurassischen Versammlung.
Auf der Ebene der Institutionen sieht Rossellat die grössten Chancen auf eine Zusammenarbeit, ohne dass damit lokale Eigenheiten verloren gehen.
Allerdings habe man mit dem Projekt eines Waadtländer Museums der Schönen Künste eine grosse Möglichkeit vertan. Dieses hätte seiner Meinung nach zu einer regionalen Westschweizer Institution avancieren können.
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