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Herbsttagung der Angestellten Schweiz vom 23. Oktober 2009 in Wil - Nachhaltigkeit und GAV

Zürich (ots)

Die aktuelle Krise hat es uns deutlich vor Augen
geführt: Kurzfristiges
(Profit-)Denken und entsprechendes Handeln sind das falsche Rezept, 
um die Wirtschaft und die Menschheit sinnvoll voran zu bringen. Nicht
berücksichtigt wird dabei nämlich, dass schlicht alles, was wir heute
tun, immer auch eine Wirkung in die - und in der - Zukunft hat. 
Wollen wir uns diese Zukunft auf unserer Erde, in unserem Land, an 
unserem Arbeitsplatz sichern, müssen wir unser Verhalten entsprechend
anpassen. Das Zauber-, Schlag- oder Modewort dafür heisst 
Nachhaltigkeit.
An der Herbsttagung der Angestellten Schweiz vom 23. Oktober blieb
der Begriff "Nachhaltigkeit" jedoch nicht ein Schlagwort. Experten 
für Nachhaltigkeit füllten ihn mit Inhalt.
Was mit Nachhaltigkeit genau gemeint ist und wie Nachhaltigkeit im
(Berufs-)Alltag gelebt, aber auch in Gesamtarbeitsverträgen umgesetzt
werden kann, zeigten der Zukunftsphilosoph Dr. Andreas Giger, der 
Nachhaltigkeitsexperte und Geschäftsführer der Aloja GmbH, Christian 
Engweiler, der Leiter Fachstelle Nachhaltigkeit der Bank Coop, 
Hansjörg Ruf, sowie der GAV-Experte beim Seco, Claudio Wegmüller.
Nachhaltige Lebensqualität - der Leitwert des 21. Jahrhunderts
"Der Volksmund weiss es schon längst: Geld allein macht nicht 
glücklich." Mit diesen Worten leitete der Zukunftsforscher Andreas 
Giger sein Referat ein. Und er trat auch gleich den Beweis dafür an, 
dass dieses Sprichwort stimmt. In den westlichen Ländern werde seit 
Jahrzehnten sowohl das Bruttoinlandprodukt, also der materielle 
Lebensstandard, als auch das subjektive Glücksempfinden gemessen, so 
Giger. Während das BIP in dieser Zeit massiv grösser geworden ist, so
blieb das durchschnittliche Glück stabil. "Warum", so fragte Andreas 
Giger alsdann, "soll man seine ganze Zeit, Aufmerksamkeit und Energie
in die Jagd nach dem schnöden Mammon stecken, wenn ein höherer 
Lebensstandard doch nicht glücklicher und zufriedener macht?"
Wie so oft, wenn es um Lebensqualität gehe, handle es sich bei den
materiellen Werten um eine Frage des richtigen Masses, so der 
Zukunftsforscher. Auch das wisse der gesunde Menschenverstand an und 
für sich, aber dennoch habe sich in den Köpfen die unheilvolle 
Überzeugung festgesetzt: Je mehr, desto besser. "Dass dies nicht 
stimmen kann, wissen schon kleine Kinder", ist Giger überzeugt. Denn:
"Wenn man mehr und mehr von seiner Lieblingsspeise verspeist, folgt 
unweigerlich der Punkt der Übersättigung." Dass wir uns in den 
reichen Ländern dieser Erde diesem Punkt annähern, ja ihn vielleicht 
schon erreicht haben, das ahnten viel Menschen. Das führe aber nicht 
automatisch dazu, dass sie sie aus dem "Rattenrennen" aussteigen. 
Dies sei nämlich gar nicht so einfach, wie die Finanzkrise zeige.
"Zwei gewichtige Faktoren verstärken unsere Gier nach immer mehr",
betonte Andreas Giger weiter. Zum einen sei es unser Drang nach 
Vergleichen - wenn der Nachbar ein schöneres Auto kaufte, bräuchten 
wir auch eines. Lebensstandard sei immer relativ. Zum anderen hätten 
wir ein schlechtes Gedächtnis. Kaum sei eine höherer Lebensstandard 
erreicht, hätten wir uns schon daran gewöhnt und den letzten 
vergessen. Darum brauche es immer eine weitere Steigerung.
"Wenn jemand, um den selben Normalzustand zu ermöglichen, immer 
höhere Dosierungen seines Stoffes braucht, dann spricht man von 
Sucht." Diesen bitteren Schluss zog der Zukunftsforscher aus unserem 
Verhältnis zu Geld. Und er legte noch drauf: "Ein weiteres Merkmal 
von Sucht ist es, dass sich alles nur noch um die Beschaffung von 
Stoff dreht."
Dieses Suchtverhalten mache es nicht einfacher, ein neues 
Verhältnis zu den materiellen Werten zu finden - aber auch nicht 
unmöglich. Es braucht dazu nach Auffassung von Andreas Giger "nur" 
eine überzeugende Alternative zum Objekt der Sucht, etwas, das besser
sei und mehr bringe. Dies könne nur etwas Immaterielles sein: 
Lebensqualität. Zur Freude des Zukunftsforscher Giger nehmen sich 
immer mehr Menschen Zeit für ihre Lebensqualität: "Lebensqualität 
liegt im Trend. Und alles spricht dafür, dass es sich dabei nicht um 
eine Modewelle, sondern eine nachhaltige Entwicklung handelt."
Nachhaltigkeit als Strategie für die Zukunft
Wie verhalten sich Konsumenten, wenn sie auf Produzenten oder Händler
im Sinne der Nachhaltigkeit einwirken wollen? Wie viele Konsumenten 
tun dies und wie stark? Auf diese Fragen hat Christian Engweiler, der
Geschäftsführer der Aloja GmbH (Beratung, Projektmanagement, 
Marketing, Personalvermittlung), Antworten gesucht. Er befragte dazu 
in der Schweiz, in Deutschland und Österreich Konsumenten und 
Unternehmen. Ausgewertet wurden 542 Fragebogen von Konsumenten und 38
von Unternehmen.
Konsum, welcher der Nachhaltigkeit verpflichtet ist, nennt 
Christian Engweiler "strategischen Konsum". Er zeichnet sich dadurch 
aus, dass er bewusst ist, dass abwogen wird zwischen Konsum oder 
Nicht-Konsum, dass bewusst entschieden wird für Produkte mit sozialen
und ökologischen Standards und dass ökologisch und sozial nachhaltige
Unternehmen unterstützt werden.
Die meisten Konsumenten, das hat die Umfrage ergeben, sind stark 
oder sehr stark daran interessiert, mit ihren Konsumentscheidungen zu
einer besseren Welt beizutragen. Fast die Hälfte gibt an, oft 
strategisch zu konsumieren. Rund ein Drittel tut dies gelegentlich 
und nur wenige nie. Dabei sind die Frauen beim strategischen Konsum 
etwas konsequenter als die Männer. Der Bildungsstand hingegen hat 
wenig Einfluss, ebenso das Alter.
"Strategische Konsumenten lassen sich gemäss der Untersuchung 
nicht nach einer einheitlichen Typologie einordnen", folgerte 
Christian Engweiler aus diesen Resultaten. Sie seien darum für die 
klassischen Marktbearbeitungsstrategien eine Knacknuss.
Die befragten Konsumenten schätzen den Einfluss der strategischen 
Konsumenten auf die Marketingentscheidungen der Anbieter als 
mittelmässig bis gering ein, die Unternehmen höher. Beide gehen aber 
davon aus, dass er in zehn Jahren zugenommen haben wird. Ein 
ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage nach dem Anteil der 
strategischen Konsumenten in der Bevölkerung. Die Mittelwerte der 
Schätzungen zeigen, dass die Unternehmen den Anteil heute und in zehn
Jahren zum Teil wesentlich höher einschätzen und dieser Zielgruppe 
damit einiges mehr an Bedeutung zumessen als die Konsumenten selber.
"Anhand der Befragung kann festgehalten werden, dass das Thema 
Nachhaltigkeit mit grosser Wahrscheinlichkeit beim Konsum immer 
wichtiger werden wird." Dies ist die Erkenntnis von Christian 
Engweiler aus der Befragung. Für die Unternehmen lohnt es sich aus 
seiner Sicht aus folgenden Gründen, nachhaltig zu wirtschaften:
-	Nachhaltigkeit wird in der Zukunft bei der Kapitalbeschaffung auf 
dem Finanzmarkt eine immer grössere Rolle spielen.
-	Bei der Personalrekrutierung sind nachhaltige Arbeitgeber 
attraktiver.
-	Skandale wegen nicht nachhaltigem Verhalten können vermieden 
werden.
-	Durch Energie- und Rohstoffeinsparungen lässt sich Geld sparen.
-	Wer weniger CO2 produziert, muss in Zukunft auch weniger teure 
CO2-Zertifikate kaufen.
Best Practice bei der Bank Coop - Nachhaltigkeit bringt Mehrwert
Ein anderes Beispiel, wie sich Nachhaltigkeit in die Praxis von 
Unternehmen einbringen lässt, zeigte die Bank Coop, die sich als 
Leitmotiv "Fair Banking" auf die Fahnen geschrieben hat. Im Detail 
bedeutet dies:
-	Zuverlässige Bankdienstleistungen zu fairen Konditionen
-	Faire Partnerschaft mit den Kundinnen und Kunden
-	Fairer Umgang mit Gesellschaft und Umwelt
Diesen letzten Aspekt stellt die Bank Coop sicher, indem sie in 
den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich alle umweltrelevanten 
Aspekte verbessert hat. Das fängt an bei der Reduktion des 
Energieverbrauchs in den Gebäuden um 21 % und der Reduktion des 
Papierverbrauchs um 36%, wobei der Recyclingpapieranteil bei 91% 
liegt. Seit 2003 wurden die Treibhausgase im Unternehmen um 27% 
reduziert und auch beim Strombezug steht der Klimaschutz im 
Vordergrund. Die Mitarbeiter selbst werden ebenfalls zum 
Energiesparen angehalten: PC-Bildschirme sollten während Pausen von 
über 15 Minuten wenn möglich ausgeschaltet werden. Darüber hinaus 
wird auf Abfallvermeidung und die richtige Müllentsorgung aufmerksam 
gemacht.
Nachhaltigkeit wird bei der Bank Coop auch den Kunden gegenüber 
gelebt, in Form von nachhaltigen Bankdienstleistungen (z. B. 
Anlagefonds und Vermögensverwaltung).
Fortschrittlich zeigt sich die Bank Coop auch im Bezug auf die 
Emanzipation der Frau. So gibt es für Frauen ein eigenes 
Bankdienstleistungsprogramm  mit dem Namen "eva", das neben einer 
individuellen Beratung für alle Lebensphasen unter anderem auch 
Publikationen zu Finanzthemen aus Frauensicht umfasst.
Den eigenen Mitarbeitern gegenüber übernimmt die Bank soziale 
Verantwortung in Form von guten Sozialleistungen, einer 
leistungsgerechten Entlohnung und gleichem Lohn für gleiche Arbeit. 
16 Wochen Mutterschaftsurlaub, sechs Wochen Vaterschaftsurlaub und 
die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit tragen bei den Angestellten zu 
einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei. Darüber 
hinaus beteiligt sich die Bank Coop finanziell an der Kinderbetreuung
ihrer Mitarbeiter.
Wirtschaftliche und soziale Wichtigkeit der Gesamtarbeitsverträge
Das so genannte Friedensabkommen von 1937 in der Schweizerischen 
Metall- und Uhrenindustrie leitete in der Arbeitswelt unseres Landes 
einen Paradigmenwechsel hin zur Friedenspflicht ein. Die Tätigkeit 
der Sozialpartner verlagerte sich auf das Aushandeln von Lohn- und 
Arbeitszeitregelungen sowie auf Massnahmen der Aus- und 
Weiterbildung.
Arbeitskonflikten kommt in der Schweiz eine geringe Bedeutung zu. 
Zwischen 1990 und 1999 gingen pro 1000 Arbeitnehmer 1,43 Tage durch 
Streiks verloren. 2001 und 2002 waren es dann 5 Tage. "Im 
internationalen Vergleich ist das ein sehr tiefer Wert", sagte der 
GAV- und Arbeitsmarktexperte des Seco, Claudio Wegmüller. Eine gut 
funktionierende Sozialpartnerschaft fördere den Sozialfrieden und sei
ein wichtiger Vorteil für den Wirtschaftsstandort Schweiz.
Gesamtarbeitsverträge werden oft auf der Stufe der 
Branchenverbände abgeschlossen. Der Staat mischt sich nicht in diese 
autonomen Sozialpartnerbeziehungen ein. Er gewährt gemäss Claudio 
Wegmüller vielmehr Freiräume.
Gesamtarbeitsverträge können durch einen behördlichen Entscheid 
allgemeinverbindlich erklärt werden. Dadurch wird der Geltungsbereich
des GAV auf alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer einer Branche 
ausgedehnt. Voraussetzung dazu sind Mehrheiten in dreierlei Hinsicht:
-	Am GAV muss mehr als die Hälfte der Arbeitgeber beteiligt sein
-	Am GAV muss mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer beteiligt sein
-	Die beteiligten Arbeitgeber müssen mehr als die Hälfte der 
Arbeitnehmer beschäftigen
Seit 1995 ist die Anzahl der allgemeinverbindlichen GAV von 14 auf
über 60 gestiegen. Solche Verträge gibt es in Branchen wie 
Bauhauptgewerbe, Baunebengewerbe (Maler, Gipser, Schreiner...), 
Gastgewerbe, Coiffure oder Reinigung. Die Maschinenindustrie, die 
Chemie, der Detailhandel, die Banken, die Versicherungen oder die 
Medien kennen Gesamtarbeitsverträge, aber diese sind nicht 
allgemeinverbindlich. Branchen ganz ohne GAV sind das 
Gesundheitswesen, die Schulen oder die Computerbranche.
Mit der schrittweisen Einführung des freien Personenverkehrs ist 
die vorgängige Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen für die 
Erteilung einer Bewilligung weggefallen. Um einem Druck auf die Lohn-
und Arbeitsbedingungen entgegenzuwirken, wurden flankierende 
Massnahmen eingeführt. So können bei wiederholter und 
missbräuchlicher Unterbietung der Lohn- und Arbeitsbedingungen 
bestehende GAV allgemeinverbindlich erklärt oder 
Normalarbeitsverträge mit zwingenden Mindestlöhnen erlassen werden. 
Tripartite Kommissionen überwachen den Arbeitsmarkt. Kantonale 
Normalarbeitsverträge wurden im Kanton Genf zum Beispiel eingeführt 
im Kosmetikbereich und der Hauswirtschaft, im Tessin in Callcentern.
Nicht zuletzt wirken sich Gesamtarbeitsverträge in einer 
Wirtschaftskrise wie der aktuellen positiv aus. Regelungen in GAV zu 
Massenentlassungen, Betriebsschliessungen und Fusionen gehen oft 
weiter als die gesetzlichen Mindestbestimmungen. Die paritätischen 
Kommissionen bieten zudem häufig auch Arbeitsmarktmassnahmen wie 
Weiterbildungen oder Umschulungen an.
Die Angestellten Schweiz sind die stärkste 
Arbeitnehmerorganisation der Branchen Maschinen-, Elektro- und 
Metallindustrie (MEM) und Chemie/Pharma. Rund 25 000 Angestellte sind
Mitglied. Angestellte Schweiz entstand aus dem Zusammenschluss der 
beiden Verbände Angestellte Schweiz VSAM (MEM, gegründet 1918) und 
VSAC (Chemie, gegründet 1993).

Kontakt:

Hansjörg Schmid, Leiter Kommunikation, Natel 076 443 40 40

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