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Universität Fribourg: "Das (Un)Wesen der Schulschwänzer"

Fribourg (ots)

Das Schuleschwänzen ist sehr verbreitet, und das
nicht nur bei leistungsschwachen Schülern. Wer massiv schwänzt, ist
oft zugleich delinquent. Erstaunlich viele Eltern tolerieren diesen
Missstand. Genauer hinschauen müssten aber auch die Schulen selber.
Eine Studie der Universität Fribourg unter der Leitung von Prof. Dr.
Margrit Stamm eröffnet erstmals einen Blick auf die "Psychologie der
Schulschwänzer". Die im Auftrag des Schweizerischen Nationalfonds
durchgeführte Studie beleuchtet auch die entscheidende Rolle der
Schulen. Befragt wurden rund 4000 Schülerinnen und Schüler zwischen
12 und 17 Jahren, 230 Lehrkräfte und 30 Schulleitungen.
Ein unterschätzes Phänomen
Das Schuleschwänzen ist nicht nur im Ausland, sondern auch in der
Schweiz eine verbreitete Tatsache, die allgemein unterschätzt wird.
Von den befragten Schülern hat jeder zweite im Verlauf seiner
Schulzeit geschwänzt. Fünf Prozent aller Schüler sind der Schule in
den vergangenen Monaten sogar mehr als fünf halbe Tage ferngeblieben.
Sie gelten somit als massive Schulschwänzer. Weil diese Gruppe auch
Ansätze zu leichtem bis mittlerem delinquenten Verhalten zeigt und zu
erhöhtem Alkohol- und Drogenkonsum neigt, muss sie als Risikogruppe
bezeichnet werden. Dazu gehören deutlich mehr Knaben als Mädchen und
auch mehr Jugendliche ausländischer Nationalität.
Interessant ist, dass an (Pro)Gymnasien häufiger geschwänzt wird
als an anderen Schultypen wie Sekundar- oder Realschulen.
Schulschwänzer sind somit - wie häufig angenommen - keinesfalls
ausschliesslich leistungsschwache Schüler. Auch wer davon ausgeht,
Schulschwänzen sei lediglich ein Problem der Oberstufe, liegt falsch:
Zehn Prozent der befragten Jugendlichen geben an, bereits zwischen
der ersten und dritten Klasse geschwänzt zu haben. 35 Prozent der
befragten Schüler gibt an, zwischen der vierten und sechsten Klasse
mit Schwänzen begonnen zu haben. Anhand dieser Zahlen lässt sich
sagen, dass das Schulschwänzen in der Schweiz massiv unterschätzt
wird. Auffallend ist, wie stark Lehrkräfte das Ausmass des Schwänzens
an ihrer Schule unterschätzen: Nur 33 Prozent vermuten, dass in ihren
Klassen geschwänzt wird.
Gründe für das Schulschwänzen - Reaktionen der Eltern
Drei Viertel der Schulschwänzer verbringen die frei genommene Zeit
allein zu Hause. Ein Viertel hält sich in Einkaufszentrum, auf
Spielplätzen oder Bahnhöfen auf. Als hauptsächlichste Gründe für das
unerlaubte Fernbleiben von der Schule werden Schulverdruss,
Langeweile, Leistungsvermeidung und schlechte Beziehungen zu den
Lehrern genannt. Die Mehrheit der Eltern toleriert das Schwänzen
ihres Kindes, fast 30 Prozent sind sogar bereit, eine Entschuldigung
zu schreiben oder ein Arztzeugnis einzuholen.
Schulschwänzen und Delinquenz
Klar ist: Delinquenz hängt mit Schulschwänzen zusammen. Fast alle
massiven Schulschwänzer geben an, schon leichte bis mittlere Delikte
begangen zu haben, beispielsweise Schwarzfahren oder Unterschriften
fälschen. Nur für die Hälfte der Nichtschwänzer trifft dies ebenso
zu. Auch hier sind es die Knaben, die als massive Schulschwänzer
deutlich häufiger Delikte begangen haben als die Mädchen.
Strenge Absenzsysteme verringern die Schwänzerrate
Schulen unterscheiden sich stark im Ausmass ihrer Schwänzerraten.
Dies trifft auch dann zu, wenn man die Herkunft der Schüler oder die
geografische Lage der Schule kontrolliert. Es gibt Schulen, die fast
keine Schwänzer haben und andere mit einem Anteil von 60 Prozent.
Kleine Schwänzerraten gehen einher mit Absenzsystemen, die von den
Schülern als streng empfunden werden.
Die Gemeinde- und Schulgrösse spielt eine Rolle
Die Schul- und Gemeindegrösse macht einen Unterschied! In grossen
Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern wird am häufigsten
geschwänzt, in kleinen Gemeinden mit weniger als 5 000 Einwohnern
deutlich weniger und am seltensten in mittelgrossen Gemeinden.
Gleiches gilt für die Schulgrösse: Kleine Schulen mit maximal 200
Schülern haben die kleinsten Schwänzerraten.
Provozierende und hemmende Faktoren
Massives Schulschwänzen kann anhand verschiedener Faktoren
vorausgesagt werden. Auf Schülerseite: Alkohol- und Drogenkonsum,
Rauchen, mangelnde Disziplin in der Schule sowie eine schlechte
Integration in die Klasse resp. mangelnde Beliebtheit. Auf Seiten der
Familie: Geringe Zuwendung der Eltern und mangelnde Kontrolle.
Schulen wiederum provozieren Schulschwänzen durch ein schlechtes
Schulklima und schwierige Beziehungen der Schüler zu den Lehrkräften,
aber auch ihre mangelnde Selbstdisziplin wie unpünktlicher
Unterrichtsbeginn und häufiges Fehlen wegen Krankheit. Das
Schulschwänzen hemmen können ein vielfältiges Freifachangebot und
eine transparente Leistungsorientierung.
Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass sich Schulen im Umgang mit
Schulschwänzern gewaltig unterscheiden. Schulen können mit ihrem
Verhalten das Problem in den Griff kriegen. Nicht nur was den
Unterricht betrifft, gibt es eine Best Practice, es gibt sie auch im
Umgang mit Schulschwänzern!

Kontakt:

Prof. Dr. Margrit Stamm
Departement Erziehungswissenschaften
Universität Fribourg-CH
Ordinariat für Erziehungswissenschaft
Schwerpunkt Sozialisation und Humanentwicklung
Rue P.A. de Faucigny 2, CH-1700 Fribourg
Tél.: +41/26/300'75'60 (Mo bis Do)
+41/26/322'07'75 (Fr)
Fax: +41/26/300'97'11
E-Mail: margrit.stamm@unifr.ch
Internet: perso.unifr.ch/margrit.stamm