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Wechselspiel, Börsenkommentar "Marktplatz", von Christopher Kalbhenn.

Frankfurt (ots)

Die Art und Weise, wie die Investoren in diesem Jahr disponieren, erinnert stark an eine Achterbahnfahrt. War der Risikoregler zum Auftakt auf nahezu null gestellt, wurde er in den ersten drei Monaten - getragen von beruhigenden Effekten der Dreijahrestender der Europäischen Zentralbank und positiv überraschenden Konjunkturdaten - energisch nach oben geschoben. Mit Beginn des zweiten Quartals zeigte sich jedoch, dass die zum Jahresbeginn vorherrschende Vorsicht richtig war: Die Wahlen in Frankreich und Griechenland waren das Fanal für eine erneute Verschärfung der Schuldenkrise, und eine enttäuschende konjunkturelle Datenentwicklung vor allem in China und den USA sorgte für zusätzliche Beunruhigung. In der Folge wurde der Risikoregler wieder Richtung null bewegt. "Risk on - Risk off" wird dieses Wechselspiel im angelsächsischen Raum genannt.

Im Ergebnis sind im ersten Halbjahr als sicher geltende Anlagen wie die mit "AAA" bewerteten Staatsanleihen die Gewinner. Rund 4% hat ein Anleger erwirtschaftet, der zum Jahresbeginn in zehnjährige Bundesanleihen investiert hat. Amerikanische Staatsanleihen mit Laufzeiten von mehr als zehn Jahren brachten, gemessen an dem entsprechenden iBoxx-Index, rund 5,5%. Die Flucht in Sicherheit hat die Renditen auf vorher nicht erwartete Rekordtiefen gedrückt. Das Nachsehen hatten Risiko-Assets wie Rohstoffe, darunter insbesondere Öl und Industriemetalle, oder auch die Anleihen der angeschlagenen Staaten der Eurozonen-Peripherie. Die Aktienmärkte konnten sich immerhin halten. Der Stoxx Europe 600 hat seit dem Jahresbeginn um 2,7% zugelegt. Allerdings wird die Risikoscheu in der Sektorenentwicklung sichtbar. Schlusslichter sind die zyklischen Grundstoffaktien mit einem Indexminus von 7%, während defensive Aktien wie Nestlé, Diageo oder LVMH bei den Sicherheit suchenden Investoren gefragt waren und die entsprechenden Stoxx-Branchenindizes bis zu 10% gewannen.

Zum Halbjahresultimo ist der Risikoregler wieder nach oben geschoben worden. Aktien haben stark zugelegt, Bundesanleihen deutlich nachgegeben. Safe-Haven-Währungen haben deutliche Einbußen erlitten, Risikowährungen wie der australische Dollar kräftig zugelegt. Damit reagierten die Märkte auf die Beschlüsse des EU-Gipfels. Anders als etwa nach dem Hilfsantrag Spaniens oder anderen positiv aufgenommenen Ereignissen im Zusammenhang mit der Schuldenkrise verpuffte die Wirkung nicht sogleich. Dass die Wirkung sehr nachhaltig sein wird, ist jedoch zweifelhaft.

Zwar hat der Gipfel mit dem Wachstumsprogramm, den beschlossenen Anleihekäufen des Rettungsschirms und der Rekapitalisierung von Banken durch den Stabilitätsfonds beeindruckendere Resultate produziert als die meisten anderen Spitzentreffen zuvor. Einer Lösung der Staatsschuldenkrise ist die Eurozone jedoch keinen Deut näher gekommen. Die Anlagestrategen von Julius Bär, die von einem "Placebo-Gipfel" sprechen, sind der Auffassung dass der mittlerweile 19.Euro-Krisengipfel nicht erfolgreicher war als die anderen. Die Fronten hätten sich weiter verhärtet, die Ergebnisse seien vage und taugten nicht zu einer grundsätzlichen Änderung der Lageeinschätzung bezüglich der Schuldenkrise. Der Eindruck, den dieser Gipfel erwecke, sei, dass sich jeder Nationalstaat, so gut es gehe, aus den neuen und alten Töpfen der Europäischen Union bediene.

Auch die Bank of New York Mellon lässt kein gutes Haar an den Beschlüssen des Gipfels. Sie gingen die strukturellen Probleme, die die Krise ausgelöst hätten, überhaupt nicht an. Es sei klar, dass die Beschlüsse Deutschland mit extremem Druck abgepresst worden seien. Als Folge erscheine Deutschland nun sowohl politisch isoliert als auch extrem verärgert. Das sei eine gefährliche Kombination.

Sorgen bereitet dem Institut aber vor allem die Lage Griechenlands. Auf dem Gipfel sei nicht das Geringste unternommen worden, um zu verhindern, dass Griechenland im Verlauf des Sommers bankrottgeht. Angesichts der Tatsache, dass dem Land Berichten zufolge am 20.Juli das Geld ausgehen werde, und der von deutscher Seite ausgesprochenen Warnung, dass die Überprüfung der Spar- und Reformfortschritte Griechenlands durch die Troika eher Wochen als Tage dauern werde, sei dieses Risiko nicht trivial. Angesichts solcher Voraussetzungen wird die Begeisterung über den Gipfel recht schnell wieder der Ernüchterung weichen, und die Investoren werden den Regler wieder ein Stück nach unten schieben.

(Börsen-Zeitung, 30.6.2012)

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