Realitätscheck, Kommentar zu China von Norbert Hellmann
Frankfurt (ots)
Chinas Einkaufsmanagerdaten scheinen in diesem Frühjahr immer für einen Aufreger gut zu sein. Entgegen den Erwartungen zeigt das Stimmungsbarometer für die Industrieaktivität in China auch im Mai nach unten, allerdings nur leicht. Die Marktreaktionen an einigen asiatischen Börsen, allen voran Tokio, sind allerdings so heftig ausgefallen, dass man vermuten könnte, das Reich der Mitte würde sich im konjunkturellen Sinkflug befinden. Ein Realitätscheck tut not.
Aus den jüngsten Einkaufsmanagerdaten lässt sich herauslesen, dass die chinesische Industrieproduktion im Vergleich zum Vormonat leicht zurückfallen könnte. Das wiederum könnte heißen, dass der Output im verarbeitenden Gewerbe im zweiten Quartal über ein Wachstum von 9% nicht weit hinauskommen dürfte und sich auch die Expansion des Bruttoinlandsprodukts auf dem zuletzt gesehenen Niveau bei 7,7% oder knapp darunter einpendelt.
Was sich derzeit an den Märkten immer wieder neu entlädt, ist die Enttäuschung darüber, dass die chinesische Konjunktur nach sanfter Landung nicht sofort wieder durchstartet und die Weltwirtschaft in ihrem Sog mitzieht. Dazu würde es - wie im Nachgang zur Finanzkrise - eines neuen Konjunkturstimulierungspakets der chinesischen Regierung bedürfen, für das sie keinen Anlass sieht, aber auch nicht genügend Handlungsspielraum hat. Geldpolitisch ist nicht viel zu machen. Eine Zinssenkung würde den auch jetzt noch kaum beherrschbaren Preisauftrieb am Immobilienmarkt weiter anfachen und die latenten Gefahren einer Verschuldungsblase erhöhen.
Nach den noch längst nicht überwundenen Überhitzungserscheinungen der jüngeren Vergangenheit sind moderatere, aber langfristig aufrechtzuerhaltende chinesische Wachstumsraten das Gebot der Stunde. Solange der bislang noch sehr robust wirkende Arbeitsmarkt mitspielt und eine Eintrübung der Industrieaktivität keine Massenentlassungen nach sich zieht, geht die Rechnung aus Pekinger Sicht auf.
In der Vergangenheit hieß es immer, Chinas Wirtschaft müsse jährlich um mindestens 8% zulegen, um haarsträubenden sozialen Verwerfungen aus dem Wege zu gehen. Im Zuge fortschreitenden strukturellen Umbaus der Wirtschaft scheint man die Schmerzgrenze nun eher bei 7% zu sehen. Ein Einkaufsmanagerindex nahe an der Expansionsschwelle wird Peking kaum zu Panikhandlungen verleiten und sollte auch an den Märkten nicht als eine Katastrophenmeldung verstanden werden.
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