Flucht aus der Türkei, Marktkommentar von Grit Beecken
Frankfurt (ots)
Recep Tayyip Erdogan ist zum Jahresende hin in der Gunst der internationalen Anleger noch einmal deutlich gesunken. Der Korruptionsskandal rund um den türkischen Ministerpräsidenten hat einen Ausverkauf türkischer Vermögenswerte ausgelöst. Damit dürften die Bemühungen Erdogans, sich als Architekt der Wirtschaftswende und des Aufschwungs des Schwellenlandes zu etablieren, endgültig gescheitert sein.
Doch der Reihe nach: Im Sommer demonstrierten Hunderttausende in Istanbul und Ankara gegen Erdogans Politik, die anfänglichen Demonstrationen weiteten sich schnell auf viele größere Städte der Türkei aus. Der Premier schlug den Aufstand nieder. Investoren reagierten verschreckt, ihre Verkäufe schickten Lira, Anleihen und Aktienkurse in den Keller. Zwar konnten sich die Finanzmärkte in den folgenden Monaten wieder etwas berappeln, die politischen Unruhen aber hielten an.
Teurer Korruptionsskandal
Über die Weihnachtstage sorgte nun ein Korruptionsskandal dafür, dass Erdogan sein Kabinett in einer Hauruck-Aktion umbauen musste, er wechselte insgesamt 10 seiner 26 Minister aus. Die Rufe nach seinem eigenen Rücktritt werden immer lauter, schließlich habe er die Käuflichkeit seiner Mitstreiter jahrelang geduldet, heißt es. Die Aussicht auf die bislang schwerste Krise in der Ära Erdogan gibt den Finanzmärkten des Landes nun anscheinend den Rest - für ein Land, das massiv von ausländischem Kapital abhängt, ist das ein existenzielles Risiko. Wie die türkische Notenbank berichtet, haben internationale Investoren ihre Bestände an türkischen Staatspapieren in der Woche zum 20. Dezember um 532 Mill. Dollar auf ein Dreimonatstief von 53,8 Mrd. Dollar reduziert. Bereits in der Vorwoche hatten sie per saldo für 1,38 Mrd. Dollar verkauft. Zum Vergleich: Vor Beginn der Proteste - nämlich im Mai - summierten sich die Positionen noch auf 72 Mrd. Dollar.
Wachstum auf Pump
Dieses Kapital hat der von Erdogan geführten Regierung geholfen, das Wachstum der vergangenen Jahre zu finanzieren. Und das war durchaus opulent: Seit seinem Amtsantritt vor zehn Jahren hat sich das nominelle Bruttoinlandsprodukt des Landes mehr als verdreifacht. Die Dollar-Anleihen der Türkei kommen im Schnitt auf ein Jahresplus von 9,7%.
Tempi passati. Die Korruptionsuntersuchungen und die Aussicht auf anhaltende politische Unruhen haben die Finanzmärkte weiter in den Keller geschickt und kosten Erdogan Investorenvertrauen. Am Freitag gab der Leitindex ISE100 an der Börse in Istanbul um 1% nach.
Lira im Keller
Und das war nur die Fortsetzung der Talfahrt an den beiden Weihnachtsfeiertagen. Auf Wochensicht hat der türkische Leitindex rund 8% verloren. Größte Verlierer waren Finanztitel - schließlich dreht sich ein Gutteil der Affäre um die staatliche Halkbank. Die soll versuchen, illegale Goldgeschäfte mit dem Iran zu vertuschen. Infolge des Massenexodus der Anleger gab auch die Lira weiter nach - im Tief fiel sie am Freitag auf 2,1764 Lira je Dollar - und erreichte damit ein Rekordtief. Für manch einen Marktteilnehmer war das der letzte Beleg dafür, dass die "Fassade von wirtschaftlicher Kompetenz, die die Regierung in den vergangenen Jahren so sorgsam aufgebaut hat", nun daniederliegt. So formulierte es zumindest Michael Shaoul, Chief Executive Officer bei Marketfield Asset Management, gegenüber Reuters.
Am Staatsanleihenmarkt kletterten die Renditen der zweijährigen türkischen Benchmark-Bonds um 41 Basispunkte auf 9,82%. Wie Bloomberg errechnet, erhöht sich das Renditeplus in diesem Jahr damit auf stolze 384 Basispunkte. Bei der richtungsweisenden zehnjährigen Staatsanleihe stieg die Rendite um 0,46 Prozentpunkte auf 10,27%. Zuvor hatte die Rendite bei 10,33% den höchsten Stand seit 2010 erreicht. Zum Vergleich: Vor Beginn der aktuellen Regierungskrise in Ankara Mitte Dezember lag der Zinssatz für zehnjährige Papiere noch bei rund 9,3%. Gleichzeitig steigen die Preise von Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps, CDS). Die CDS mit einer Laufzeit von fünf Jahren stiegen um über 30 Basispunkte auf 253 Basispunkte und erreichten damit das Niveau, auf dem sie zuletzt vor 18 Monaten notierten.
Die kommenden Wochen dürften für die türkischen Finanzmärkte stressig werden. Schließlich ist mittlerweile bei allen Investoren das Signal angekommen, dass es sich bei den Unruhen nicht um ein vorübergehendes Phänomen handelt, sondern dass die Türkei vermutlich vor größeren Umwälzungen steht.
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