Trügerische Rally, Marktkommentar zur Wahl in Großbritannien von Stefan Schaaf
Frankfurt (ots)
Finanzmärkte bevorzugen konservative Regierungen. Sie gelten als unternehmens- und investorenfreundlich, ihnen werden solidere Staatsfinanzen und weniger Umverteilung zugetraut. Und wenn es oft auch linke Regierungen sind, die harte Strukturreformen durchdrücken, man denke nur die "Agenda 2010" in Deutschland oder die jüngsten Arbeitsmarktreformen in Italien, so ist das Zutrauen von Investoren zu konservativen oder liberal-konservativen Regierungen doch in aller Regel größer.
Jüngstes Beispiel ist die Parlamentswahl in Großbritannien, die unerwartet eine konservative Alleinregierung an die Macht bringt. Die Tatsache, dass Premierminister David Cameron mit seinen Tories voraussichtlich allein regieren kann, hat am Freitag den Londoner Finanzmarkt euphorisiert: Das Pfund Sterling schoss um 2% auf ein Zehn-Wochen-Hoch von 1,5524 Dollar hoch, zugleich fiel der Euro um 1,7% auf 72,67 Pence zurück. Auch der Londoner Aktienmarkt reagierte mit einem deutlichen Kursanstieg auf das unerwartet klare Wahlergebnis, der britische Leitindex FTSE 100 stieg um 2,5% und hängte damit die meisten kontinentaleuropäischen Aktienmärkte ab. Besonders Bankaktien waren gefragt, da eine Labour-Regierung die Branche wohl stärker reglementiert und belastet hätte.
Klare Verhältnisse
Die Euphorie der Märkte ist zum einen dem klaren Wahlausgang geschuldet. Schließlich gab es Befürchtungen, das Vereinigte Königreich könnte unregierbar werden, weil sich im Parlament keine regierungsfähige Mehrheit findet. Diese Sorge ist vom Tisch. Zudem trauen Marktteilnehmern den Tories eine wirtschaftsfreundlichere Politik zu, was angesichts der Wahlprogramme der Labour-Partei wie auch der erstarkten Schottischen Nationalpartei (SNP) wohl auch zutreffen dürfte. Das gilt insbesondere für die nötige Sanierung der britischen Staatsfinanzen. Schließlich hat kaum ein Industrieland wegen der Finanzkrise einen derartigen Schuldenanstieg erlebt wie das Vereinigte Königreich.
Von der Aussicht auf eine Sanierung der Staatsfinanzen dürften britische Staatsanleihen, die Gilts, profitieren, zumal die Ratingagenturen zunehmend ungeduldig mit den Briten werden. Der Schuldenstand des Königreichs lag Ende 2014 bei 89,4% der Wirtschaftsleistung und damit rund 12,5 Prozentpunkte höher als in Deutschland. Am Freitag sanken die Gilt-Renditen im Gleichlauf mit den übrigen europäischen Bondmärkten. Angesichts der Erwartungen einer wirtschaftsfreundlichen Politik bezeichnet Sonja Marten, Leiterin der Devisenanalyse bei der DZ Bank, den Wahlausgang für das Pfund Sterling als "äußerst erfreuliches Ergebnis". Sie kündigte an, ihre Prognosen zu überarbeiten. Allerdings ist die jüngste Sterling-Erholung weniger politisch motiviert gewesen, sondern erfolgte mehr oder weniger im Gleichlauf mit dem Euro, da die Erwartungen an steigende US-Zinsen nachließen.
Doch die erste Tory-Euphorie könnte aus zwei Gründen schon bald verflogen sein. Cameron hatte sich im Wahlkampf gegen höhere Steuern ausgesprochen, so dass er den Staatshaushalt nicht mittels höherer Einnahmen sanieren kann. Das bedeutet Austeritätspolitik, und für die gilt auch in Großbritannien, dass dies zunächst einmal das Wirtschaftswachstum wegen einer sinkenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrage belastet.
Von Brexit bis Engxit
Das größere Risiko für die Märkte sind jedoch die Fliehkräfte, welche das Wahlergebnis für das noch Vereinigte Königreich haben könnte. Cameron, selbst ein Befürworter der EU-Mitgliedschaft seines Landes, hat den europafeindlichen Tory-Flügel mit dem Versprechen eines Referendums ruhiggestellt. Das Votum wird nun kommen, und auch wenn die Briten sich zuletzt wieder europafreundlicher äußerten, das politische Risiko wird steigen. Schließlich wäre ein EU-Austritt das Ende des Geschäftsmodells "Europäisches Finanzzentrum London", was den Immobilienmärkten in Frankfurt und Paris wohl einen Schub gäbe, für die britische Volkswirtschaft jedoch ein Desaster wäre. Die Ratingagentur Moody's hat bereits eine Warnung Richtung London ausgesprochen.
Doch mit dem Brexit ist es nicht genug, die erstarkte SNP könnte ein neues Schottland-Referendum anstrengen. Und je mehr Sonderrechte die Schotten sich sichern, desto lauter dürften die Engländer grummeln und eine eigene parlamentarische Vertretung fordern. Ob Brexit, Scoxit oder Engxit - die Nervosität und die Volatilität werden steigen, auch wenn der Home Bias der von Briten dominierten Handelsdesks in London diesen Trend verlangsamen dürfte.
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