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Mit Bestürzung und Trauer Gemeinsame Erklärung zum 70. Jahrestag der November-Pogrome

Hannover (ots)

Anlässlich des 70. Jahrestages der
November-Pogrome an der jüdischen Bevölkerung und den Synagogen haben
die Vorsitzenden des Rates der Evangelische Kirche in Deutschland 
(EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz folgende Erklärung 
veröffentlicht:
Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
Erzbischof Dr. Robert Zollitsch
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Mit Bestürzung und Trauer
Gemeinsame Erklärung zum 70. Jahrestag der November-Pogrome
Denk an deine Gemeinde, Gott, die du vorzeiten erworben!
Deine Widersacher lärmten an deiner heiligen Stätte,
stellten ihre Banner auf als Zeichen des Sieges.
Sie sagten in ihrem Herzen: "Wir zerstören alles."
Und sie verbrannten alle Gottesstätten ringsum im Land.
Wie lange, Gott, darf der Bedränger noch schmähen,
darf der Feind ewig deinen Namen lästern? (aus Psalm 74)
Der 9. November ist ein denkwürdiges Datum in der deutschen 
Geschichte. Im Jahre 1918 wurde an diesem Tag die Republik 
ausgerufen. Für uns Heutige ist vor allem der 9. November 1989 mit 
lebhaften Erinnerungen verbunden - der Tag, an dem die Berliner Mauer
geöffnet und ein neues Kapitel der Freiheit und Einheit in 
Deutschland aufgeschlagen wurde. Im Jahr 2008 aber muss unser Blick 
sich in besonderer Weise auf die dunkelste Epoche unserer Geschichte 
richten. Während die Jahrestage 1918 und 1989 deutsche und 
europäische Aufbrüche der Freiheit und des Rechts symbolisieren, 
steht der 9. November 1938 für Hass und Gewalt, für Niedertracht und 
das Erblinden des Gewissens. Er war ein Widerruf jener 
Freiheitsversprechen, mit denen die erste deutsche Republik einst 
angetreten war, und bedeutete für die deutschen Juden, dass sie keine
sichere Heimstatt im eigenen Lande mehr besaßen.
In den November-Pogromen von 1938 wurden wehrlose Menschen 
gedemütigt, gepeinigt und ermordet, Gotteshäuser geschändet und 
zerstört. Die schrecklichen Bilder von brennenden Synagogen haben 
sich in unser Gedächtnis gebrannt. Sie lehren auch heute: Wo es 
keinen Respekt vor dem Heiligen und dem für den menschlichen Zugriff 
Unverfügbaren gibt, dort gibt es auch keinen Respekt vor den 
Menschen.
Die Pogrome waren nicht nur bewusst geplant, sondern ihnen gingen 
auch Jahre der propagandistischen und politischen Vorbereitung voraus
- eine Zeit der offenen antisemitischen Hetze, der systematischen 
rechtlichen Ausgrenzung, menschenverachtenden Diskriminierung und 
Verfolgung. Die November-Pogrome waren zugleich der Auftakt zum 
Holocaust, zu einer Epoche ungeahnter Zerstörung und Vernichtung, an 
deren Folgen Europa, die Welt und vor allem die jüdische Gemeinschaft
noch heute zu tragen haben.
Unzählige Menschen sind Opfer des Nationalsozialismus geworden. 
Anlässlich der Pogrome des Jahres 1938 richtet sich unser Gedenken 
besonders auf die Juden, deren systematische Verfolgung und Ermordung
ein beispielloses Menschheitsverbrechen darstellen. Ihr Leiden, ihre 
Einsamkeit und ihre Verzweiflung angesichts einer Gewaltmaschinerie, 
die mit Demütigung und Entrechtung begann und mehr und mehr von 
absolutem Vernichtungswillen angetrieben wurde, erfüllen uns mit 
Bestürzung und Trauer.
Die offen zur Schau gestellte Gewalt des November 1938 fand in der
deutschen Bevölkerung weniger Rückhalt als die rechtliche 
Diskriminierung, der die Juden seit 1933 ausgesetzt waren. Doch es 
gab viel schweigendes Zuschauen und achselzuckendes Hinnehmen. Neben 
den Schlägern, Brandschatzern und Marodeuren sowie jenen, die ihnen 
verdeckt oder gar offen lebhaften Beifall zollten, gab es nicht 
wenige, die der Anblick des staatlich verordneten Terrors irritierte;
eine grundsätzliche Erschütterung des Vertrauens in den 
nationalsozialistischen Staat war damit allerdings meist nicht 
verbunden. Und es gab auch die - gerade auch in den christlichen 
Kirchen -, die die Gewalttaten entschieden ablehnten, jedoch in 
Furcht und einem Gefühl der Ohnmacht verharrten. Aber es war auch die
Stunde jener Wenigen, die den Zerstörungen Einhalt gebieten wollten 
und den Bedrängten Unterschlupf gewährten.
Als Christen und Kirchen erinnern wir uns dankbar des katholischen
Priesters und Berliner Dompropstes Bernhard Lichtenberg, der am Abend
des 9. November 1938 öffentlich für die Juden und die nichtarischen 
Christen betete und dafür wegen volksfeindlicher Hetze angeklagt 
wurde. Seinen Weg an der Seite der Verfolgten hat er später mit dem 
Leben bezahlt. Ebenso berührt uns der Mut des evangelischen Pfarrers 
Helmut Gollwitzer, der in einer Predigt wenige Tage nach den Pogromen
für die Verfolgten Stellung bezog und die Gemeinde in Berlin-Dahlem 
davon überzeugte, die Familienangehörigen inhaftierter Juden zu 
unterstützen. Das Zeugnis dieser und anderer Christen und 
Kirchenvertreter kann das Verzagen oder Versagen anderer nicht 
zudecken. Es erinnert uns immerhin daran, dass die Stimmen von 
Humanität und Nächstenliebe auch im Angesicht des schlimmsten 
Abgrundes der Unmenschlichkeit nie ganz verstummt sind.
Unsere Erinnerung an die Reichspogromnacht 1938 würde ins Leere 
laufen, wenn wir sie nicht mit der Frage nach der praktischen 
Solidarität verbänden, die wir den in unserer Zeit zu Unrecht 
Verfolgten und den Opfern von Gewalt schulden. Leider sind 
Antisemitismus und Rassismus auch heute nicht überwunden. Auch in 
Europa prägen Ausgrenzung und Diskriminierung den Alltag vieler 
Menschen. Die Sünde der Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid der 
Anderen stirbt nicht aus. Allzu schnell legt sich der Schleier der 
Abgrenzung über unsere Augen und versperrt die Sicht auf das Antlitz 
des Nächsten. Jedem Menschen, gleich welcher Hautfarbe, 
Volkszugehörigkeit oder Religion, ist das Bild Gottes eingeprägt. 
Keiner darf preisgegeben werden. Davon in Wort und Tat Zeugnis 
abzulegen, sind wir als Christen in besonderer Weise gefordert. Die 
Erinnerung an die Schreckensnacht und ihre Folgen ist gerade auch 
heute, da die Zeitzeugen allmählich verstummen, von großer Bedeutung.
Mahnt sie uns doch, alles zu tun, um eine Gesellschaft in Freiheit 
und gegenseitiger Achtung zu gestalten, die sich ihrer Verantwortung 
vor Gott und den Menschen stellt.
Hannover/Berlin, 07. November 2008	Bonn, 07. November 2008
Pressestelle der EKD	         Pressestelle der Deutschen
                                     Bischofskonferenz
Christof Vetter			Stefanie Uphues
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