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Russland wird rauer und ruppiger - Leitartikel

Berlin (ots)

Eine Rochade nennt man im Schach den Positionswechsel eines Turmes mit dem König. So ungefähr spielt sich auch der Ämtertausch des Ministerpräsidenten, zurzeit Wladimir Putin, mit dem Präsidenten ab, zurzeit Dmitri Medwedjew. Alles das, wie Russland nun einmal funktioniert, findet statt im überraschungsfreien Raum zwischen dem Weißen Haus an der Moskwa und dem Burgberg des Kreml. Sonntag wird in den elf Zeitzonen der Russischen Föderation die neue Staatsduma gewählt. Die Wahlen zum Parlament allerdings sind von weniger Bedeutung für die Staatsmacht und ihre Legitimation als die Wahlen zum Präsidentenamt, die auf den 4. Mai nächsten Jahres anberaumt sind. Für die Duma ist Dmitri Medwedjew Spitzenkandidat der Kreml-Partei Geeintes Russland, für die Präsidentenwahl Wladimir Putin. Dass dessen Benennung auf dem Parteikongress mit vielen Lobpreisungen und 100 Prozent Zustimmung geschah, weil niemand von der Linie abweichen wollte, wird der künftige Präsident als lässliche Sünde, aber doch auch als Schönheitsfehler ansehen. Putin legt Wert darauf, den Schein zu wahren, nicht nur gegenüber dem Rest der Welt, sondern auch für die Russen. Denn er weiß, dass der wirkliche Fächer der Meinungen differenzierter ist, als es die Demonstrationen der gelenkten Demokratie nahelegen. Es gibt in Russland verlässliche Meinungsumfragen, die zwar Putin und den Seinen, die sich "Die Unsrigen" nennen, Mehrheiten attestieren, aber nicht 99-Prozent-Ergebnisse wie zu Sowjetzeiten. Die neue Mittelschicht hat die Demokratie, wenngleich in unerprobten Formen, unter Jelzin geschmeckt. Ihre Vertreter sind heute zumeist mittleren Alters. Sie akzeptieren nicht unbesehen die Botschaft des Kreml, dass die nach den turbulenten 1990er-Jahren neu gewonnene Stabilität Putin zuzuschreiben sei. Sie zweifelt, wenn sie auf die allumfassende Präsenz von Korruption und braunen Umschlägen schaut, an der Effizienz der "Vertikale der Macht", die Kern des ansonsten eher unbestimmten Putin-Projekts ist. Sie fragt auch, wohin das viele Geld aus Gas- und Ölerlösen geht, das für Wohnungsbau, Gesundheit und Infrastruktur dringend gebraucht wird. Mit Medwedjew verband sich die Hoffnung dieser neuen Mittelschicht auf systemüberwindende Innovation und Modernisierung durch Verflechtung mit dem Westen. Diese Hoffnung aber war, wie man weiß, vergeblich. Putin dagegen, der alte und der neue, steht für Petrostaat und Modernisierung, aber im russischen, nationalen Rahmen. Unter den Befragten bekundet jeder Vierte, dass er gern auswandern würde in den Westen. Was die übrigen Parteien anbelangt, die Sitze im Parlament anstreben, so sind die Demokraten wenige und ohne viel Aussicht, die Fünfprozenthürde zu überwinden. Die Kommunisten Sjuganows und Schirinowskis lärmende Truppe aber haben vor allem die Aufgabe, der Welt zu beweisen, dass es Putin ist, der zwischen Russland und dem Chaos steht. Unlängst sagte der Enkel Molotows im kleinen Kreis, auch er gehört zu Geeintes Russland, Putin sei liberaler als 90 Prozent der Russen. Das mag stimmen oder nicht: Innen- und Außenpolitik Russlands werden rauer und ruppiger.

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