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Letzte Chance für die liberale "Titanic"

Berlin (ots)

Es erinnert alles ein bisschen an 1912 im Nordatlantik. Die Passagiere rennen, retten, flüchten. Das Heck des Schiffs hebt sich schon aus dem Wasser. Aber die Musik spielt noch: "Titanic", gut eine Stunde vor dem Untergang. Die FDP hat noch etwas mehr Zeit. Zwei Landtagswahlen - in Schleswig-Holstein und Niedersachsen - und eine Bundestagswahl. Die Wähler rennen, retten, flüchten. Die Umfragen pendeln zwischen zwei und vier Prozent. Aber die blau-gelbe Band spielt unverdrossen: Kurs halten, Kapitän Rösler! Man müsse jetzt nur die Überlegenheit des liberalen Dampfers noch stärker betonen. Dann wird schon alles gut gehen. Man wünscht dem Land und der bürgerlichen Freiheit als Kern unserer Verfassung, dass die Herren Westerwelle und Brüderle recht behielten. Dass das wirklich so funktioniert: Kurs halten und dann Volldampf voraus! Den Totalschaden, den die Partei in den vergangenen zwei Jahren erlitten hat, einfach ignorieren. Und mit Selbstbewusstsein und Kampfesmut auf zu alten Ufern. Der Zeitgeist, wie Westerwelle es nennt, das sind die anderen. Die liberale Kapelle, so laut wie eh und je. Wer genau hinhört, spürt allerdings, dass den meisten Musikern schon die Knie zittern. Anders ist es kaum zu erklären, dass sich die freidemokratische Offiziersriege derart abarbeitet an der Ministerpräsidentin des Saarlands, die an Dreikönig die Jamaikakoalition platzen ließen. Als sei der Termin des Scheiterns das Problem und nicht die blamable Vorstellung der Saar-Liberalen. 65000 Mitglieder hat die FDP noch, wenn die Zahlen stimmen, die genannt werden. Aber das Häuflein der Leistungsträger in der Partei der Leistungsträger, das lässt sich längst an zwei Händen abzählen. Anders wäre es überhaupt nicht zu erklären, dass die einstige parlamentarische Juxfigur Rainer Brüderle zu dem Hoffnungsträger der FDP aufgestiegen ist. Man kann es ja kaum glauben. Oder Minister Niebel - der das Entwicklungshilfeministerium seinerzeit abschaffen wollte. Er hat es nicht nur übernommen, er baut es jetzt auch noch aus: 200 neue Mitarbeiter, viele davon mit liberalem Parteibuch. Das sieht doch stark nach jenen Seeleuten aus, die vorsichtshalber erst mal selbst in die Rettungsboote steigen. Weshalb ein Rat erlaubt sei an den Kapitän: Dieser Irrsinn sollte gestoppt werden. Unglaubwürdiger geht es nicht. Und Glaubwürdigkeit ist die Wählerwährung der Stunde. Politik kann noch so gut gemeint sein. Wer sie nicht erklären kann, geht unter. Niebels Manöver kann man niemandem erklären. Stattdessen, da hat der seefahrtserprobte Wolfgang Kubicki im kühlen Kiel recht: An anderen Schrauben muss man jetzt drehen, muss der Kapitän persönlich Hand anlegen. Philipp Rösler muss jetzt liefern. Nicht als FDP-Chef, sondern als Wirtschaftsminister. Er muss klaren Kurs weisen. Bei der Energiewende, die ja unversehens das zentrale schwarz-gelbe innenpolitische Manöver dieser Legislaturperiode ist, und bei der noch kein Mensch weiß, wie sie denn eigentlich funktionieren soll. Und in der Finanzkrise, in der die FDP zwar halbwegs deutlich gemacht hat, was sie nicht will. Aber ein konstruktiver Vorschlag, wie die Zockerei zulasten ganzer Kontinente im Zaum gehalten werden kann, ist bis heute nicht durchgedrungen. Der - nicht die plumpen Durchhalteparolen des Wochenendes - wäre ein erster Schritt, den Untergang der FDP doch noch zu verhindern.

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