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Respekt für die zweite Reihe - Leitartikel von Hajo Schumacher

Berlin (ots)

Das Fieber steigt, Hirnfunktionen werden heruntergefahren, die Nation bereitet sich fröhlich auf einen Sommer im Ausnahmezustand vor: Fußball-Europameisterschaft, Tour de France und Olympia gehen nahtlos in die nächste Bundesliga-Saison über - die Parade der schönen, starken Höchstleister wird Euro-Krise, Herdprämie und sogar Seehofer zuverlässig überdecken. Millionen Deutsche taumeln zwei Monate lang im Glück über öffentlich vollführte Leibesübungen. Der Profisport und sein Publikum bilden ein merkwürdiges Reservat. Allenthalben soll der böse Kapitalismus eingehegt werden, die Freunde der Gerechtigkeit wollen gesellschaftlichen Wettbewerb reduzieren, unter dem Druck eines komplexen Daseins wuchert das Burn-out. Nur im Sport geht es knallhart zu wie im Piranha-Becken. Rund um die EM werden Kicker für Hunderte von Millionen vertickt - Zockerei pur. Wird ein erfolgloser Umweltminister völlig zu recht gefeuert, ruft die Republik bei Amnesty International an. Werden Bender, Cacau und Draxler aus der Nationalelf entfernt, regt sich keiner auf. In den kommenden Wochen wird so gnadenlos gesiegt und verloren und geschachert, wie es treusorgende Eltern ihren Kindern niemals zumuten würden. Die Heldeninszenierung der Wettkämpfe macht es uns leicht, Sportwelt und richtiges Leben zu trennen. Aber das ist eine Illusion. Ob Schweinsteiger oder Harting, ob der unbekannte Bogenschütze oder Kanuten ohne Namen - Athleten sind nicht aus dem Himmel hinab-, sondern aus der Mitte unserer Gesellschaft aufgestiegen. Die, die wir bewundern, sind Überlebende einer brutalen Auslese. Wer je in einer Sporthalle zusah, wie sich bereits Grundschüler schinden, der bekommt erstens einen Eindruck, was die Superstars leisten, und zweitens eine Idee, wie viele Talente unterwegs auf der Strecke geblieben sein müssen. Die Nachwuchspflege im Fußball ist eben nicht nur lücken-, sondern auch gnadenlos. Mögen alle D-Jugendlichen den Tag unbeschadet überstehen, da ihnen mitgeteilt wird, dass sie wegen mangelnder Leistung aus dem Team fliegen. Die Kollateralschäden des Profisports sind kaum zu ermessen. Doppelter Kreuzbandriss mit 16, Burn-out mit 17, ausgemustert mit 18, Sportinvalide ohne Ausbildung nach zehn Jahren in der dritten Liga - Zehntausende junger Menschen riskieren die besten Jahre ihres Lebens ohne jegliche Gewähr, jemals oben anzukommen. In jedem Verein sind sie bekannt, die Fast-Stars von gestern, die ganz nah dran waren am großen Sieg. Das Trauma der Niederlage wirkt bei vielen bis heute nach. Leistungssport lebt eben nicht nur von den Allerbesten, sondern vielmehr von den Träumen und Hoffnungen, vom Ehrgeiz und Fleiß vieler Namenloser, die gut waren, aber eben nicht gut genug. Immenser Verschleiß an Körpern und Seelen - das ist die Schattenseite der bunten schönen Profisport-Show. Respekt gebührt natürlich den Siegern. Aber auch allen, die es um jeden Preis, aber leider vergeblich versucht haben.

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