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Ein trügerischer Finanzbericht
Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Berlin (ots)

Auf den ersten Blick gar nicht so schlecht, auf den zweiten allerdings stellt sich Berlins Haushaltslage unverändert beunruhigend dar: In seinem Zwischenbericht zum Stand des laufenden Haushalts lässt Berlins Kassenwart Ulrich Nußbaum zwar verkünden, dass nach jetzigem Stand ein paar Millionen Euro weniger neue Schulden - bei einer Gesamthöhe von sage und schreibe 63 Milliarden Euro - gemacht werden als im Etat vorgesehen. Doch diese eigentlich hoffnungsvolle Botschaft ist beim genauen Hinsehen doch eine eher trübe. Denn die Mehreinnahmen zur Minderung der Schuld sind zusätzlichen Überweisungen seitens des Bundes und den derzeit niedrigen Zinsen geschuldet. Mit den zusätzlichen Transferleistungen des Bundes gleicht Berlin vor allem die eigenen Zahlungen für Sozialleistungen aus. Diese wachsen nämlich weiter an und liegen zur Jahresmitte mit 163 Millionen Euro über Nußbaums Etatplanung. Berlin leistet sich unverändert mehr, als es sich erlauben darf. Diese Kluft zwischen Einnahmen und Ausgaben ist so alarmierend, weil der Senat doch schon seit Jahren suggeriert, in der Stadt gehe es wirtschaftlich bergauf, sie boome gar. Wäre es wirklich so, Berlin stünde dank sprudelnder zusätzlicher Steuereinnahmen weit besser da. Die Wahrheit ist eine andere. Wenn nicht schon in diesem, dann spätestens im nächsten Jahr muss Berlin rund eine halbe Milliarde Euro zusätzlich aufbringen, um den Flughafen Willy Brandt flug- und passagiertauglich zu machen. Eine Summe, die im Doppeletat 2012/2013 nicht vorgesehen ist. Die unaufschiebbare Sanierung des ICC ist ein weiteres millionenschweres Risiko, das finanziell nicht abgesichert ist. Und selbst für die von der Koalition versprochene Einstellung von zusätzlichen 250 Polizisten ist im Doppelhaushalt kein Geld vorgesehen. Der Blick ein paar Jahre weiter voraus stimmt nicht fröhlicher: 2019 läuft der auch Berlin alimentierende Solidarpakt aus, ab 2020 fordert die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse, dass sich Ein- und Ausgaben die Waage halten. Berlin kommt also - diesem vermeintlich Entspannung signalisierenden Finanz-Zustandsbericht zum Trotz - um strukturelle Einschnitte bei seinen Ausgaben nicht umhin. Das fängt damit an, dass der Senat die 61,5 Millionen Euro streichen muss, mit denen das Tempelhofer Feld in eine Parklandschaft umgestylt werden soll. Die braucht keiner, die will keiner mehr. Zweifel sind angebracht, ob sich Berlin wirklich drei kostenlose Kita-Jahre leisten kann, was sich nicht einmal wohlhabendere Länder erlauben. Auf den Prüfstand muss erneut, ob das klamme Berlin auf Studiengebühren verzichten kann. Berlin war mit dem mittlerweile verschmähten Thilo Sarrazin auf einem guten Sanierungskurs. Sein Nachfolger müsste als Unternehmer eigentlich auch wissen, wie ein tief verschuldeter (Staats-)Betrieb zum Turn Around geführt wird. Bei Nußbaum ist diese Entschlossenheit zur finanzpolitischen Wende bislang nicht erkennbar.

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