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Chancengleichheit statt Neiddebatte Dorothea Siems über den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung

Berlin (ots)

Die Frage der sozialen Gerechtigkeit wird den kommenden Wahlkampf bestimmen. Dies ist der Grund, warum so erbittert über die Deutungshoheit gestritten wird. Deutschland gilt weltweit derzeit als Insel der Seligen. Noch nie waren hierzulande mehr Menschen erwerbstätig. Die Staatsfinanzen einschließlich der Sozialkassen sind vergleichsweise stabil, und die Wirtschaft steht wettbewerbsfähig und robust da. Den Menschen dennoch einzureden, die Verhältnisse hierzulande seien mies und verschlechterten sich stetig, ist perfide. Denn es soll der Eindruck entstehen, dass der Weg, den Deutschland vor zehn Jahren mit der Agenda 2010 beschritten hat, bergab führt.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Mit den Reformen am Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen ist es gelungen, Wachstumskräfte zu entfesseln, die den Wohlstand eines Großteils der Bürger erhöht haben. Zwar stimmt es, dass der Anteil des Niedriglohnsektors infolge der Hartz-Reformen gestiegen ist. Doch wer aus der Langzeitarbeitslosigkeit kommt, ist froh, wenn er nun einen Job hat. Falsch ist auch der Eindruck, dass viele Menschen so wenig verdienen, dass sie trotz Vollzeitbeschäftigung auf Fürsorgeleistungen angewiesen sind. Die sogenannten Aufstocker arbeiten im Regelfall Teilzeit, haben oftmals gar nur einen Minijob und leben ansonsten von HartzIV. Mit Mindestlöhnen löst man dieses Problem nicht. Im Gegenteil: Starre Lohnuntergrenzen sperren Geringqualifizierte dauerhaft vom Arbeitsmarkt aus. Und in Frankreich kann man derzeit wieder sehen, dass Mindestlöhne, einmal eingeführt, selbst in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit stets nur eine Richtung kennen: aufwärts. Vor allem der Jugend nimmt man damit die Chance auf einen Berufseinstieg. Wollen wir das wirklich?

Weil die Statistik eindeutig zeigt, dass die Armut in den vergangenen Jahren nicht zugenommen hat, wird neuerdings vor allem der Reichtum skandalisiert. Die oberste Einkommensschicht besitzt einen Großteil des privaten Vermögens, während die untere Hälfte lediglich ein Prozent davon hält. Der Armuts- und Reichtumsbericht verschweigt diese Verteilung keineswegs. Allerdings leitet die Regierung hieraus nicht wie die Opposition die Notwendigkeit einer Vermögensabgabe ab. Schließlich steckt das Kapital vielfach in Unternehmen, und eine solche Substanzbesteuerung, wie sie Grüne, SPD und Linke verlangen, gefährdet Arbeitsplätze. Im deutschen Steuersystem findet zudem bereits eine enorme Umverteilung über die Einkommensteuer statt. Hier stellen die Gutbetuchten den Löwenanteil. Deutschland hat zudem einen funktionierenden Sozialstaat. Die Reformen der vergangenen Jahre tragen dazu bei, dass der bezahlbar bleibt. Auch hier wäre der Rückwärtsgang fatal.

Die Regierung wäre gut beraten, in der Debatte über soziale Gerechtigkeit nicht der Opposition hinterherzurennen, sondern stattdessen neue Ideen zu entwickeln. Dabei die Chancengerechtigkeit in den Fokus zu rücken ist richtig. Jedes Kind sollte unabhängig vom Elternhaus die gleiche Möglichkeit auf eine gute Bildung haben. Gezielte Förderung der Benachteiligten schon im Vorschulalter und ein durchlässiges Schulsystem müssen den Aufstieg für jeden erleichtern, der sich entsprechend anstrengt. Deutschland braucht keine Neiddebatte, sondern eine Gesellschaft, die den Erfolg und die Leistung liebt und honoriert.

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