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Furcht vor einer großen Koalition Leitartikel von Jochim Stoltenberg über die SPD, Versuche mit der Linkspartei und den bevorstehenden Wahlkampf

Berlin (ots)

Er tourt in diesen Wochen durch Deutschland, um gut Wetter für sich und seine Partei zu machen. Am Mittwoch war Peer Steinbrück in Berlin und warb um Stimmen und für eine rot- grüne Koalition, auf dass er nach dem 22. September zum nächsten Bundeskanzler gewählt werde. Die Aussichten für dieses Zweierbündnis sind derzeit bekanntlich nicht sonderlich gut. Seit Monaten signalisieren die Umfragen weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine Mehrheit. Allerdings sollten CDU und CSU daraus nicht voreilig folgern, die einzig realistische Konsequenz daraus sei die Wiederauflage einer großen Koalition unter ihrer Führung.

Letzteres nämlich käme für die Sozialdemokraten einem Albtraum gleich. Nach den Erfahrungen von 2005 bis 2009 sei ein solches Bündnis in der SPD so beliebt wie eine Blinddarmentzündung, sagte jüngst deren Kanzlerkandidat Steinbrück. Ein eher beschönigender Vergleich angesichts des schlechtesten Ergebnisses einer Bundestagswahl für die SPD nach vier Jahren großer Koalition. Damals von der Kanzlerin untergebuttert worden zu sein - dieses Debakel ist unvergessen, die Furcht vor einer Wiederholung im Falle der Neuauflage einer Koalition mit der Union, zudem als Juniorpartner, riesengroß. Was also tun, wenn es für Schwarz-Grün nicht reicht, eine Ampel nicht funktioniert und ein vertraglich geregeltes Linksbündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen noch nicht vorzeigbar ist?

Dazu schwieg die SPD bisher lieber. Bis sich vor ein paar Tagen der Berliner SPD-Landeschef Jan Stöß aus der Deckung wagte und öffentlich empfahl, dann solle sich Peer Steinbrück eben zum Kanzler einer Minderheitsregierung wählen lassen. Das setze natürlich voraus, dass SPD und Grüne zusammen mehr Stimmen bekommen als CDU, CSU und FDP und dass die Linkspartei nicht mit "Nein" stimmt. Dass Gysis Frauen und Mannen einen politischen Preis wohl unterhalb einer vertraglichen Vereinbarung dafür verlangen würden, sollten sie zum Kanzlermacher werden, ficht Stöß nicht an. Wohl aber dessen Bundesparteichef Sigmar Gabriel. "Unverantwortlich" wäre das, kanzelte er den Berliner Sozialdemokraten ab.

Wirklich unverantwortlich auch noch nach dem 22. September, wenn ein SPD-Kandidat im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zum Kanzler gewählt werden könnte? Stöß hatte zu Recht auf Nordrhein-Westfalen verwiesen. Dort hatte sich Hannelore Kraft (SPD) bei Duldung der Linkspartei zur Ministerpräsidentin einer Minderheitsregierung wählen lassen, danach Neuwahlen erzwungen und diese im Amt einer Regierungschefin klar für Rot- Grün gewonnen. Es wäre nicht das erste Mal, dass koalitionspolitische Versuchsballone am Rhein getestet und später im Bund übertragen werden.

Die Union sollte also nicht allzu sicher auf eine große Koalition als Alternative zur FDP setzen. Die SPD will sich nicht noch einmal demütigen lassen. Und dass aus einer Minderheitsregierung sehr bald eine Mehrheitsregierung zu machen ist, haben die Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr vorgemacht. Auch angesichts solcher taktischer Perspektiven könnte der Wahlkampf, wenn die CDU denn irgendwann aufwacht, noch spannend werden.

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