Tous Actualités
Suivre
Abonner BERLINER MORGENPOST

BERLINER MORGENPOST

Bayrische Selbstbedienung - Leitartikel von Jochim Stoltenberg

Berlin (ots)

Wahlkampfzeiten sind Monate, in denen es die Politiker noch ein bisschen weniger ernst mit der Wahrheit nehmen als ohnehin. Da wird die Goldwaage für das Wägen der Worte noch tiefer in die Ecke gestellt, da werden vor allem auch Emotionen geschürt. Doch es bedarf auch immer einer besonderen Peinlichkeit, um Aufregung anzuheizen und die Kreise der Empörungswellen möglichst weit zu ziehen.

Im anlaufenden Bundestagswahlkampf ist das gerade bei der Diskussion über die Verschärfung der Strafen auch für reuige Steuerhinterzieher zu beobachten. Da war es Uli Hoeneß mit seinem blauäugigen Geständnis, auf Straffreiheit dank des letztlich aber doch nicht beschlossenen deutsch-schweizerischen Steuerabkommens gesetzt zu haben, der die Steuerdebatte dieser Tage emotional befeuert. Und in Bayern, wo im September auch noch ein neuer Landtag gewählt wird, schlagen die Wellen der Empörung hoch, weil Minister, Staatssekretäre und Abgeordnete - mehrheitlich aus der CSU - nahe Verwandte in ihren Büros beschäftigt und aus der Parlamentskasse bezahlt haben.

Beide Fälle haben mit bayrischer Selbstgerechtigkeit zu tun. Konnte Franz Josef Strauß noch ziemlich ungestraft behaupten, die Uhren in Bayern gehen eben anders, können sich die Bayern Gott sei Dank nicht mehr alles erlauben. Hoeneß wird sich strafrechtlich verantworten müssen und die bayrischen Landtagsabgeordneten werden nicht länger ihre politische Arbeit zu einem Familienbetrieb ausbauen können. Denn es ist schon eine ziemliche Unverfrorenheit - und wohl beispiellos in deutschen Landen -, dass die Parlamentarier nächste Anverwandte beschäftigen dürfen. Und das, wie erst jetzt richtig öffentlich bewusst wird, auch noch ganz legal. Das macht die Affäre, die demnach eigentlich gar keine ist, noch schlimmer. Denn der bayrische Landtag hat sich selbst zu einer Art familiärer Selbstbedienungsladen degradiert. Im Jahr 2000 beschloss er großzügig lange Übergangszeiten für bereits beschäftigte Ehepartner, Kinder, Eltern und eingetragene Lebenspartner. Und bis heute ist erlaubt, Verwandte ab dem zweiten Grad, also Geschwister, einzustellen.

Auch wenn insbesondere CSU-Politiker betroffen sind, hat die SPD keineswegs die Wahlkampfvorlage bekommen, wie sie bislang meint. Denn auch Sozialdemokraten haben sich die Regelung zu Nutze gemacht, die legal, aber höchst anrüchig ist. Wenn Horst Seehofers Herausforderer Christian Ude von einer schweren bayrischen Regierungskrise fabuliert, übertreibt er maßlos. Und er schürt Emotionen, die über die in einem Wahlkampf erlaubten hinausschießen. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, ob die "Mir san Mir"-Attitüde der CSU diese im September die ersehnte absolute Mehrheit kosten wird. Ein Preis allerdings steht schon fest. Was sich die Bayern geleistet haben, verschärft die Politikverdrossenheit im ganzen Land.

Kontakt:

BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Plus de actualités: BERLINER MORGENPOST
Plus de actualités: BERLINER MORGENPOST
  • 02.05.2013 – 18:34

    Zwei Welten, zwei Stile - Leitartikel von Hajo Schumacher

    Berlin (ots) - Ist es nun Zufall, dass erstmals in der Historie der Champions League zwei deutsche Klubs im Finale stehen? Eher nicht. Fast zwangsläufig hat sich dieses Endspiel entwickelt. Gleich mehrere Trends, zwischen Fußballverstand und Hass, führten diese beiden Bundesligisten zum großen Showdown nach London. Da war das konsequente Entwickeln der Talente nach der Schwächephase des deutschen Fußballs rund um ...

  • 25.04.2013 – 19:22

    Deutscher Fußball? Find ich gut! / Leitartikel von Lars Wallrodt

    Berlin (ots) - Es sind deutschen Fußballfestspiele, die da gerade in der Champions-League stattfinden. Und es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass ein Weg am deutsch-deutschen Finale vorbeiführt. Erst demütigte der FC Bayern den großen FC Barcelona 4:0, dann spielte Dortmund Real Madrid 4:1 aus den Schuhen. Auch wenn dafür in der kommenden Woche natürlich zwei konzentrierte Leistungen vonnöten sind. Selbst im ...