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Machtprobe vor dem Parteitag/ ein Leitartikel von Andreas Abel

Berlin (ots)

Am Freitagabend kam Raed Saleh, der Fraktionschef der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, zur Eröffnung des Wahlkreisbüros von Fréderic Verrycken. Der 36-jährige Vorsitzende des Hauptausschusses ist eine wichtige Stütze Salehs. Und so lobte der Fraktionschef Verrycken als sachorientiert, uneitel und mit dem richtigen sozialdemokratischen Kompass ausgestattet. "So wünsche ich mir meine Berliner SPD", auf dem "Weg der Stabilität und der starken Perspektive", schloss Saleh seine kurze Ansprache. Das Lob ließ sich durchaus als Kritik am SPD-Landesvorsitzenden Jan Stöß verstehen.

Bislang hat Saleh Stöß nicht öffentlich angegriffen. Er hat auch noch nicht bekundet, ob er auf dem Parteitag am 17. Mai gegen den Amtsinhaber antreten will, um den Landesvorsitz zu übernehmen. Doch zwischen den Zeilen wird klar, dass ihm der Zustand der Partei missfällt: Sie müsse endlich Themen setzen, Kampagnenfähigkeit beweisen und eine Perspektive entwickeln, wie sie ihre Zukunft und die der Stadt sieht. Aus Salehs Umfeld kommt deutlichere Kritik: Stöß versuche, sich auf Kosten anderer in der Partei zu profilieren, heißt es. Er moderiere bei innerparteilichen Konflikten nicht, sorge nicht für Geschlossenheit. Und: Statt den politischen Gegner zu attackieren, habe er mehrfach gegen Klaus Wowereit geschossen. Das grenzt an den Vorwurf der Illoyalität.

Auch Stöß hält sich zurück, überlässt die Konter seinen Unterstützern: Saleh predige Stabilität, spalte aber die Partei. Kurz vor der Europawahl und dem Tempelhof-Volksentscheid sei das schlicht verantwortungslos.

Können sich beide Seiten in der kommenden Woche annähern und wieder zu einem strategischen Bündnis zurückfinden? Es ist nicht ausgeschlossen, aber es ist schwer vorstellbar. Ginge Salehs Gesprächsstrategie auf, müsste Jan Stöß einiges ändern. Das hieße zugleich, er müsste Fehler eingestehen. Bislang aber vermittelt er eher einen sehr selbstbewussten Eindruck, ist auch überzeugt, die Mehrheit der Parteitagsdelegierten hinter sich zu haben.

Dazu trägt bei, dass Arbeitssenatorin Dilek Kolat am Sonnabend als SPD-Kreischefin in Tempelhof-Schöneberg bestätigt wurde. Kolat wird zum Stöß-Flügel gerechnet. Ist keine Einigung mit dem Parteivorsitzenden möglich, müsste Saleh endlich seine Kandidatur bekanntgeben. Wir dürfen also in der nächsten Woche eine schlüssige Perspektive für das Konzept der Berliner Sozialdemokratie in den kommenden zweieinhalb Jahren erwarten oder eine Kampfansage des Fraktionschefs. Alles andere würde als Niederlage Salehs gewertet, nicht nur innerhalb der SPD.

Der Leitartikel im Internet: www.morgenpost.de/127343758

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