Eidg. Justiz und Polizei Departement (EJPD)
Referat von Frau Bundesrätin Metzler zum Schwangerschaftsabbruch: Abstimmung vom 2. Juni 2002
Bern (ots)
Am 2. Juni geht es um ein einziges Thema: um die Frage, ob und unter welchen Umständen ein Schwangerschaftsabbruch möglich sein soll. Wir werden dabei über zwei Vorlagen abstimmen, welche den Abbruch gegensätzlich regeln wollen.
Einerseits haben wir
- die vom Parlament beschlossene und vom Bundesrat unterstützte Fristenregelung, andererseits
- die Volksinitiative "für Mutter und Kind", die sogenannte MuKi-Initiative, die ein faktisches Abtreibungsverbot beinhaltet.
Dass der Schwangerschaftsabbruch dringend neu geregelt werden muss, ist für den Bundesrat klar. Die heutige Situation ist paradox und nicht ehrlich.
Der Schwangerschaftsabbruch ist heute - ausser bei Vorliegen einer medizinischen Indikation - verboten. Aufgrund der heutigen Praxis, welche die medizinische Indikation grosszügig auslegt, gibt es laut Schätzungen aber rund 12'000 - 13'000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr.
Keine dieser Abbrüche werden also strafrechtlich verfolgt - die letzte Verurteilung liegt bald 14 Jahre zurück. Unserer Gesellschaft fehlt offensichtlich der Wille, Frauen und Ärzte wegen Schwangerschaftsabbruch zu bestrafen.
Wenn Wirklichkeit und Gesetz nicht mehr übereinstimmen, müssen wir darüber nachdenken, warum das so ist und wie Gesetz und Realität wieder zusammen geführt werden können - sonst wird der Staat - und damit wir alle als Gesetzgeber und Souverän - unglaubwürdig!
Wir haben die Wahl, entweder den Vollzug zu verschärfen und tausende von Frauen strafrechtlich zu verfolgen und mit Gefängnis zu bedrohen - oder eine neue Lösung zu finden. Dies ist die Ausgangslage.
Warum unterstützt nun also der Bundesrat die vom Parlament vorgeschlagene Fristenregelung?
Im Zentrum steht für den Bundesrat, dass eine Kriminalisierung der betroffenen Frauen keinen entscheidenden Beitrag zur Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen leistet und geleistet hat.
Die Fristenregelung achtet die Würde der Frau und vertraut ihr jene Entscheidung an, die sie unmittelbar betrifft. Deshalb hat sich der Bundesrat der Parlamentslösung angeschlossen.
Die Fristenregelung sowie der Werdegang der ihr zu Grunde liegenden parlamentarischen Initiative werden von Frau NR Thanei, Präsidentin der Rechtskommission des Nationalrates, erläutert.
Der Bundesrat hat sich namentlich aus folgenden Gründen für die Fristenregelung ausgesprochen:
1. Eigenverantwortung - Verantwortung der Frau
Wir alle sind in all unserem Tun unserem Gewissen verantwortlich. Frauen haben das grosse Privileg, dass sie Kinder bekommen können. Und für viele Frauen (aber auch für Männer) ist Kinderkriegen eines der grössten und wichtigsten Ereignisse in ihrem Leben.
Aber das Leben ist kompliziert, manchmal wirr, manchmal traurig und aussichtslos. In solchen Situationen kann ein Schwangerschaftsabbruch für eine ungeplant schwangere Frau der einzige Ausweg sein.
Ich bin überzeugt, dass der Entscheid für einen Schwangerschaftsabbruch keine Frau unberührt lässt. Und ich glaube an das Verantwortungsbewusstsein der Frauen.
Wir müssen uns davor hüten, den Schwangerschaftsabbruch zu banalisieren. Aber wir müssen uns auch davor hüten, Frauen, die ihre Schwangerschaft abbrechen, mit Gefängnis zu bedrohen.
In Zukunft wollen wir uns darauf konzentrieren, statt durch Gefängnisstrafen auf andere Weisen zu erreichen, dass die Zahl der Abbrüche möglichst tief ist.
Der Bundesrat will, dass Abtreibungen mit Prävention und mit Familienpolitik und nicht mit Gefängnis bekämpft werden. Das heisst: Helfen statt Richten!
2. Eine Neuregelung ist notwendig
Die im Strafgesetzbuch vorgesehenen Strafen haben das Leben des ungeborenen Kindes nicht wirklich geschützt. Auch als die geltende Regelung noch restriktiv angewendet wurde, haben Frauen Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen.
3. Fristenregelung trägt unterschiedlichen Interessen Rechnung
Der Gesetzgeber - und damit wir alle - befinden uns bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in einem Dilemma: Wir sind sowohl dem Selbstbestimmungsrecht der Frau als auch dem werdenden Leben verpflichtet. Diese Konfliktsituation lässt sich nicht eigentlich lösen, sondern nur vermittelnd regeln.
Die Abwägung besteht nun darin, dass während einer begrenzten Zeit die Frau ihr Selbstbestimmungsrecht über das werdende Leben ausüben kann.
Nach dieser 12-Wochen-Frist ist ein Schwangerschaftsabbruch nur noch möglich, wenn der Mutter eine schwerer Schaden droht. Die Fristenregelung ist also ein Ausweg aus einem Dilemma. Aber gleichzeitig möchte ich betonen: Ein Ja zur Fristenregelung ist kein Ja zur Abtreibung!
4. Die Fristenregelung ist im Ausland weit verbreitet
Die meisten europäischen Länder kennen seit längerer Zeit eine Fristenregelung. Die Erfahrungen dort zeigen, dass die Einführung einer Fristenregelung nicht zu einer Zunahme der Abbrüche geführt hat. Das wird auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO so dargelegt. Dies zeigt, dass ein Ja zur Fristenregelung eben kein Ja zur Abtreibung ist.
Es ist denn auch nicht zu erwarten, dass mit der neuen Regelung die Zahl der Abtreibungen in der Schweiz zunehmen wird. Denn nicht alle, die für die Fristenregelung eintreten, würden auch selber davon Gebrauch machen!
5. Begleitende Massnahmen
Wenn wir die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche möglichst gering halten wollen - und das wollen alle, die sich ernsthaft mit diesem Thema auseinandersetzen -, braucht es begleitende Massnahmen. Darauf hat der Bundesrat während den parlamentarischen Beratungen hingewiesen.
So ist zum Beispiel den kantonalen Beratungsstellen vermehrt Beachtung zu schenken, und die Bevölkerung muss über deren Existenz und Angebot informiert sein. Zu den begleitenden Massnahmen gehört auch die Unterstützung der Familie und der Mutterschaft durch eine Mutterschaftsversicherung, die überfällig ist.
Auch müssen endlich die Rahmenbedingungen geschaffen werden, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für beide Elternteile und für Alleinerziehende zu ermöglichen; neue Arbeitszeitmodelle, Teilzeitstellen für Frauen und Männer, steuerliche Erleichterungen, Kinderkrippen, Tagesschulen, günstiger Wohnraum usw. Wenn man es mit der Prävention, der Empfängnisverhütung, ernst meint, kann man sich auch der Frage der Kassenpflichtigkeit von Verhütungsmitteln nicht verschliessen.
Das sind Forderungen, denen mit einer ganzheitlichen Politik Rechnung getragen werden muss.
Die Diskussion in den kommenden Wochen wird zeigen, wem die Frage der Mutterschaft und wem die Familien ein echtes Anliegen sind - und wer tatsächlich meint, die Frage des Schwangerschaftsabbruches könne isoliert von all diesen Fragen betrachtet werden. Das heisst: Abtreibungen mit Prävention und Familienpolitik, und nicht mit Gefängnis bekämpften: Helfen statt Richten!
Zusammenfassung
Das sind, meine Damen und Herren, die wesentlichen Gründe, die für die Fristenregelung sprechen.
Eine Regelung, die keine Frau zum Abbruch einer Schwangerschaft zwingt, ihr aber die Möglichkeit gibt, letztverantwortlich die Schwangerschaft abzubrechen. Die Frau soll in den ersten zwölf Wochen selber entscheiden können, ob sie ein Kind austragen kann und will. Die Fristenregelung bietet in der schwierigen Frage des Schwangerschaftsabbruchs einen sinnvollen und gangbaren Ausweg aus einem Dilemma.
SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH - MUKI
Ganz andere Ziele verfolgt die Volksinitiative "für Mutter und Kind". Sie gibt dem Schutz des ungeborenen Kindes absolute Priorität und fordert eine äusserst restriktive Regelung des Schwangerschaftsabbruchs, ja ein faktisches Abtreibungsverbot!
1. Faktisches Verbot des Schwangerschaftsabbruchs
Ausser bei einer akuten Lebensgefahr der Mutter soll ein Schwangerschaftsabbruch nach dem Wortlaut der Volksinitiative verboten sein.
Das bedeutet zum Beispiel auch, dass bei einer Schwangerschaft als Folge einer Vergewaltigung die Mutter das Kind austragen muss. Und ein Kind nach einer Vergewaltigung gegen den eigenen Willen austragen zu müssen, bedeutet eine grosse Belastung und eine doppelte Demütigung der Opfer! Man kann doch eine Frau nicht dazu zwingen, ein Kind zu gebären, um es dann zur Adoption freizugeben. Dies ist eine Frage des Respekts vor den Frauen!
Mit dieser extremen Forderung, dass nur bei akuter Lebensgefahr der Mutter ein Schwangerschaftsabbruch möglich sein soll, ist die Volksinitiative weit restriktiver als das Gesetz von 1942.
2. Zunahme gefährlicher illegaler Abbrüche
Verbote haben noch kaum in einem Land dazu geführt, dass Abtreibungen verhindert werden können. Ein Verbot treibt die betroffenen Frauen lediglich in die Illegalität - oder ins Ausland. Frauen in die Illegalität abzudrängen schafft aber zusätzliche Not, statt zu helfen.
Abgesehen von der mit diesem Abdrängen verbundenen Erniedrigung, kann ein solcher Schritt für die betroffenen Frauen auch schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach sich ziehen, ja unter Umständen ihr Leben gefährden! Und wir wollen helfen, statt zu richten. Ein totales Abtreibungsverbot treibt aber Frauen in die Illegalität und schafft damit zusätzliche Not. Das wollen wir nicht.
3. Beratungsstellen leisten schon heute Hilfe
Den Initiantinnen und Initianten ist beizupflichten, dass der Staat die Pflicht hat, schwangeren Frauen in Not wirkungsvoll Hilfe zu leisten. Bereits das geltende Recht sieht solche Hilfe vor.
Seit 1981 verpflichtet das Gesetz über die Schwangerschaftsberatungsstellen die Kantone, Stellen einzurichten, die eine unentgeltliche Beratung anbietet. Es ist aber unbestritten, dass diese Hilfe noch weiter ausgebaut, verstärkt und bekannt gemacht werden muss.
Hier zähle ich - ungeachtet des Abstimmungsausganges - auf die tatkräftige Unterstützung der Initianten.
4. Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der Frau
Ein Schwangerschaftsabbruch berührt die betroffene Frau tief. Der Entscheid darüber soll deshalb auch von ihr gefällt und verantwortet werden. Eine Frau wird den Entscheid für einen Abbruch nicht leichtfertig treffen. Entscheidet sie sich für den Abbruch, so wird sie dies erst nach reiflicher Überlegung und unter Abwägung der Auswirkungen auf das ungeborene Leben und das eigene Leben tun. Jede Frau weiss, dass dieser Entscheid sie ein Leben lang begleiten wird.
Die Volksinitiative will der Frau diese Verantwortung nicht zugestehen - sondern zum Beispiel bei einer Vergewaltigung die Adoption verordnen. Aber ein Kind gegen den eigenen Willen nach einer Vergewaltigung auszutragen, bedeutet eben eine doppelte Demütigung der Opfer!
Welches Ziel wird denn verfolgt? - Möglichst wenig Abtreibungen - oder eine Bestrafung im Fall einer Abtreibung
Fazit
In der Frage des Schwangerschaftsabbruchs gibt es verschiedene Meinungen, verschiedene Sensibilitäten, verschiedene religiöse Überzeugungen und auch verschiedene persönliche Erfahrungen. Es ist mir ein Anliegen, anderen Meinungen mit Respekt zu begegnen.
Aufgrund der genannten Gründe empfiehlt der Bundesrat den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern, der Änderung des Strafgesetzbuches, also der Fristenregelung, zuzustimmen und gleichzeitig die Volksinitiative "für Mutter und Kind - für den Schutz des ungeborenen Kindes und für die Hilfe an seine Mutter in Not" abzulehnen.
Das heisst: Ja zur Fristenregelung, Nein zur MuKi-Initiative!
Kontakt:
Eidgenössisches Polizei- und Justizdepartement EJPD