Zusammenfassung der Generaldebatte der 56. Session der Generalversammlung vom 10. - 16. November 2001
Vaduz (ots)
In der Woche vom 10. bis 16. November 2001 fand die Generaldebatte der 56. Session der Generalversammlung der Vereinten Nationen statt. Die ursprünglich für Ende September vorgesehene Debatte wurde aufgrund der Terroranschläge in New York aus Sicherheitsgründen verschoben. Sie wurde von 31 Staats- und 11 Regierungschefs, 9 Premier- und 96 Aussenminister und Ministerinnen und einigen Ständigen Vertretern und Vertreterinnen geführt. Es war anzunehmen, dass die Debatte vorwiegend der Terrorismusbekämpfung gewidmet sein würde. Generalsekretär Kofi Annan betonte in seiner einleitenden Rede jedoch, dass alle anderen Themen wie Armutsbekämpfung, die AIDS-Epidemie, die Konfliktprävention, die Ursachenbekämpfung von politischer Gewalt, die globale Erwärmung etc., die am 10. September auf der Agenda standen, nicht an Wichtigkeit einbüssen dürften. Die Agenda für Frieden und Sicherheit und die Menschenrechtsfragen seien nicht weniger wichtig, sondern erhielten im Gegenteil eine neue Dringlichkeit. Er sagte, dass uns zwei Zukunftsszenarien bevorstehen, ein destruktives Aufeinanderprallen von Zivilisationen und Religionen oder eine globale Gemeinschaft, die sich auf universelle Werte stützt. Die fundamentalen Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit, Multilateralismus, gemeinsame Bedürfnisse und Ziele, die mit vereinten Kräften und Partnerschaft erreicht werden können, führen alle zum letztgenannten Szenario. Dabei betonte der Generalsekretär die Notwendigkeit, dass die UN effektiver funktionieren, aktiver und kreativer handeln muss und die Zivilgesellschaft in den Privatsektor eingebaut werden sollte. Er endete mit den Worten, dass nur das Beste gut genug sei.
Der amerikanische Präsident Bush rief zum Auftakt der Debatte zu entschlossenerem Vorgehen gegen den internationalen Terrorismus auf, da die Feinde nicht unsere Politik, sondern unsere Existenz hassten. Die Zeit der Sympathiekundgebungen nach den Anschlägen vom 11. September sei nun vorbei, es gelte jetzt zu handeln. Eine solche Bedrohung könne nicht befriedet werden, deshalb handle es sich bei der Militäraktion um Selbstverteidigung. Jede Nation müsse ihren Teil beitragen, sei es im Bereich der Unterbindung von Finanzströmen, im Austausch von Informationen und Kenntnissen oder durch einen militärischen Einsatz. Im Weiteren versprach er, dass die USA den Aufbau Afghanistans und eine Posttaliban-Regierung unterstützen. Es sprachen sich viele Nationen für die Resolution 1373 und damit für den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus aus; Brasiliens Präsident Cardoso erklärte, dass Terrorismus das Gegenteil dessen sei, wofür die UN stehe, und Argentinien nannte die Resolution 1373 einen Imperativ für alle. Liechtenstein stellte fest, dass der Sicherheitsrat mit Resolution 1373 eine neue Antwort auf eine neue Art von Krise gegeben habe. Allerdings gab es auch sowohl kritische wie auch warnende Stimmen. Besonders islamische aber auch westliche Länder forderten eine klare Definition von Terrorismus; letztere um Ambiguitäten und Unsicherheiten zu klären und erstere, weil sie eine Unterscheidung zwischen Freiheitskämpfer und Terroristen wollen. Spanien sagte, dass jede Art von Unterstützung des Terrorismus unterlassen werden müsse - aktive und passive - und sprach damit die Finanzierung beziehungsweise Länder an, die als Steueroasen gelten oder auf denen der Verdacht der Geldwäsche lastet. Die folgenden Länder nannten in diesem Zusammenhang das Problem der Steueroasen: Deutschland, Belgien, San Marino, Dänemark, Australien, Estland, Litauen, Ungarn, Zypern, Syrien, Türkei, Russland, Usbekistan, Brasilien, Indien, Solomonische Inseln und Angola. Während Liechtenstein sagte, dass das Bankgeheimnis den Terroristen und ihren Finanztransaktionen niemals Schutz gewährt hätte und vollständige Umsetzung von Resolution 1373 ankündigte, sicherte Barbados zu, legislative Massnahmen zur Verstärkung der Aufsicht, Prävention und Zusammenarbeit in die Wege zu leiten. Sowohl Tuvalu, wie auch die Solomonischen Inseln benötigen und begrüssten technische und finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung und Überwachung von Anti-Terror Strategien. Zu erwähnen ist die Aussage von Antigua und Barbuda, dass der gemäss OECD schädliche Steuerwettbewerb nichts mit Geldwäsche zu tun habe. Der russische Aussenminister Ivanov schlug vor, ein Prinzip der staatlichen Verantwortlichkeit für Mängel/Unterlassungen bezüglich Massnahmen gegen den Terrorismus ins Völkerrecht einzuführen. Er verwies wie einige andere Redner auf den Zusammenhang zwischen Terrorismus, Separatismus und Extremismus und dem Drogen- und Waffenhandel und dem transnationalem Verbrechen, da sie gemeinsame Finanzierungsquellen haben. Benin nannte die Drogen- Waffen- und Diamantenhändler die wirklichen Terroristen.
In den Reden wurde kaum Kritik an der Militäraktion der USA in Afghanistan geäussert, die USA stiessen im Gegenteil auf breite Unterstützung in den Mitgliedsländern - auch in arabischen Staaten. Der deutsche Aussenminister Joschka Fischer sagte, dass diese Bedrohung ohne militärische Massnahmen nicht abgewendet werden könne, Massnahmen, die gemäss Brasilien als Selbstverteidigung verstanden werden. Nur vereinzelt wurde Kritik an der Militäraktion geäussert, besonders ausführlich dabei Kuba. Malaysia, Aserbaidschan und Tschad fragten, ob dies die beste und effizienteste Problemlösung sei oder nicht zu weiteren Problemen führen werde. Irak sprach sogar von illegalem unilateralem Gebrauch von Gewalt gegen das afghanische Volk und forderte eine Regierungsbildung ohne externe Einmischung. Österreich bedauerte, dass der Afghanistan-Konflikt zu lange unbeachtet geblieben sei und Deutschland wie viele andere betonte, dass Afghanistan mit seinen Problemen nicht mehr allein gelassen werden dürfe, vielmehr dem Land eine klare politische Perspektive gegeben werden müsse. Mit der UN, die eine führende Rolle beim Wiederaufbau einnehmen soll, wurde Unterstützung und Assistenz von allen Seiten zugesichert. Die Niederlande meinte, die UN- Rolle in Afghanistan sollte eine Katalysator- und Beraterrolle und nicht eine Führerrolle sein: ,Wir sind zwar nicht Teil des Problems dieses Landes, müssen aber Teil der Lösung sein". Afghanistan selber, Vertreter der Rabbani-Regierung, kommentierte, die Geschichte zeige, dass Afghanistan nicht für fremde Besetzung oder Eroberung geeignet sei. Ein stabiles Afghanistan bedeute auch ein stabiles Pakistan und ein stabiles Zentralasien. Der von der UN geführte Wiederaufbau müsse deshalb mit derselben Bestimmtheit geführt werden wie der Kampf gegen den Terrorismus.
In vielen Reden wurde in diesem Zusammenhang auch auf den ungelösten Nahostkonflikt eingegangen, bei dem gemäss Syrien die Weltgemeinschaft versagt habe. Gefordert wurde einerseits die Schaffung eines palästinensischen Staates und andererseits die Sicherheit der israelischen Bevölkerung. Grossbritannien bemerkte, dass der politische Wille beider Parteien notwendig sei, um den Teufelskreis von Gewalt und Vergeltung zu durchbrechen. Deutschland wie auch Österreich sprachen von ihrer speziellen Verantwortlichkeit und Verpflichtung gegenüber Israel. Verschiedene arabische Länder wie Marokko, Jordanien, Sudan und Ägypten verlangten ein Ende der israelischen Gewalt und Zerstörung und den sofortigen Rückzug aus den besetzten Gebieten. Kritisiert wurde nicht nur die Siedlungspolitik Israels, sondern auch die Länder, die diese unterstützen - vor allem die USA. In diesem Zusammenhang wurde auch breite Kritik an den Sanktionen gegen den Irak geäussert, und Malaysia, Sudan und Tschad forderten deren sofortige Aufhebung. Jordanien meinte, die Sanktionen seien eine Quelle von Frustrationen und Spannungen, und Irak selbst sagte, sie widersprächen den Grundsätzen der UN- Charta.
Die Verletzung fundamentaler Menschenrechte wurde im Zusammenhang mit verschiedenen Themen aufgegriffen. Man war sich einig, dass trotz der Fortschritte nach wie vor grosser Handlungsbedarf herrsche und, wie Belgien ausführte, dass die Menschenrechte ganz gezielt in alle UN-Aktivitäten integriert werden müssen. Deutschland betonte, dass die Menschenrechte universelle und nicht westliche Werte sind, Tschad hingegen warf die Frage auf, was sie denn nützten, wenn man nicht einmal das elementare Recht auf Nahrung habe. Liechtenstein sagte, dass die Menschenrechte nicht dem Terrorismus zum Opfer fallen und wir den Terrorismus nicht als Teil unseres Lebens akzeptieren dürfen, sondern an unsere kollektive Fähigkeit glauben müssen, ihn zu beseitigen. Ebenfalls dringend in Angriff zu nehmen ist gemäss zahlreichen Rednern deshalb auch die Straffreiheit. Die Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) wurde in diesem Zusammenhang hervorgehoben.
Bezugnehmend auf die WTO-Runde in Doha (Katar) zeigten sich einige Länder enttäuscht über die Uruguay-Runde und kritisierten die Altlasten. Zahlreiche afrikanische Länder beklagten protektionistische Massnahmen besonders im Bereich von Agrar- und Textilprodukten. Die Präsidentin der Philippinen betonte, dass eine weltweite Marktöffnung für Produkte der Entwicklungsländer die effizienteste und am wenigsten aufwendige Armutsbekämpfung sei. Italien bestätigte, dass viele globale Probleme durch ein faires Funktionieren der Weltwirtschaft gelöst werden könnten. Das multilaterale Handelssystem müsse transparent, fair und ausgewogen sein und dafür bräuchte es eine Reform der politischen und wirtschaftlichen Architektur in der UN und der WTO, forderten Antigua und Barbuda. Delegierte Afrikas und aus Inselstaaten sprachen in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit des Schuldenerlasses und beklagten gleichzeitig den Rückgang der offiziellen Entwicklungshilfe (ODA). Zur internationalen Konferenz in Monterrey (Mexiko) zur Entwicklungsfinanzierung im kommenden Jahr äusserten sich die meisten positiv und hoffnungsvoll. Ebenso viele Hoffnungen liegen auf dem Erdgipfel (Rio + 10), der nächstes Jahr in Johannesburg stattfinden wird und bei dem die Themen Nachhaltigkeit bzw. Management natürlicher Ressourcen nach wie vor Priorität haben werden. Die Rassismuskonferenz in Durban wurde ebenfalls aufgegriffen und deren Bedeutung betont, um, wie Belgien betonte, das dunkelste Kapitel unserer Geschichte zu schliessen. Rassismus und Intoleranz führen nicht nur zu Menschenrechtsverletzungen (Malaysia), sondern können, wie der Aussenminister Liechtensteins schloss, sowohl Ursachen als auch Konsequenzen von Terrorismus sein. Schliesslich wurde auch das Thema HIV/AIDS und die vergangene Sondersession erwähnt. Vor allem afrikanische Länder baten um Hilfe und warnten vor den Folgen der Epidemie, die neben anderen Krankheiten, wie Tuberkulose und Malaria ihre Bevölkerungen dahinrafft und somit die Zukunft ganzer Zivilisationen bedroht. Aus diesem Grund, sagte Kongo, sollten die neuen Therapien für Entwicklungsländer billiger erhältlich sein.
Die Armutsbekämpfung bildete ein wichtiges Thema auf der Agenda, die nach Polen über ,Sein oder Nichtsein" entscheidet, denn extreme Armut beraube die Menschen ihrer Würde, Menschenrechte und der Chance einer besseren Zukunft. Indien kommentierte, dass die Armut der Nährboden für politische Unruhen, wirtschaftliches Chaos und sozialen Fraktionen sei. Gemäss Spanien ist sie ebenfalls verantwortlich für viele Unsicherheiten und vergrössert gemäss Surinam die digitale Kluft. So wurde denn auch grundsätzlich eine Globalisierung gefordert, die positive Auswirkungen für alle hat. Polen rief zu mehr Bescheidenheit der Starken und Reichen auf und die Tschechoslowakei schlug statt einer Globalisierung des Kapitals eine der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit vor. San Marino bemerkte, dass es paradox sei, dass sowohl Teilnehmer wie Demonstranten der Weltwirtschaftsgipfel eigentlich dieselben Ziele verfolgen, nämlich Armutsbekämpfung und Schuldenerlass.
Ein weiterer Punkt, der oft zur Sprache kam, war die Abrüstung. Viele Delegationen zeigten sich einerseits besorgt über die Entwicklung im Bereich der Nuklearwaffen, andererseits aber besonders auch über die biologischen und chemischen Waffen und der Verbreitung illegaler Kleinwaffen.
Die Reform und Revitalisierung des Sicherheitsrates wurde von den meisten Staaten aufgegriffen. Gefordert wurde mehr Repräsentativität, Demokratie und Effizienz durch eine Erweiterung der permanenten und nicht-permanenten Mitgliedschaft. Unter anderem verlangte Spanien eine verbesserte Qualität und Quantität bei Konsultationen mit den nichtpermanenten Mitglieder, Paraguay forderte ein besseres politisches Gleichgewicht und dadurch mehr Transparenz im Sicherheitsrat und Nepal und viele andere die Aufhebung des Vetos. Daneben wurden auch Änderungen in der Arbeitsweise der UN vorgeschlagen. Obwohl man sich einig darüber war, dass wie Kroatien sagte, die UN ein unersetzliches Instrument im Kampf für eine bessere Welt ist, wurde darauf hingewiesen, dass die UN auf Veränderungen schneller reagieren müsse. Die Arbeitsmethoden müssten restrukturiert werden, um eine effektivere Umsetzung der Entscheidungen zu garantieren; die UN solle ausserdem eine pro-aktivere Rolle in der Präventionsdiplomatie spielen (Angola) und sein Führungssystem verbessern (Swaziland), um aufkommende Konfliktsituationen schneller zu erkennen.
Weitere Themen, die in der Debatte angesprochen wurden, waren die aktuelle Bedeutung der Millenniums-Erklärung, die Bekämpfung des Drogenhandels und Problemherde wie Sudan, Somalia, die Region der Grossen Seen, Zypern, Osttimor und Angola. Die bekannte Gruppe von Ländern forderte die Aufnahme von Taiwan in die UN. Ebenfalls genannt wurden das genetische Engeneering, vor dem besonders Deutschland warnte, die Macht der Medien, die gemäss der österreichischen Aussenministerin eine wichtige Rolle bei der Wertbildung und eine entsprechende Verantwortlichkeit haben. Fiji und Australien sorgen sich besonders über das Dilemma vieler Flüchtlinge und Asylsuchenden bzw. über den Menschenhandel, der sie an ihre Küsten brachte, und von vielen Küstenstaaten wurde ein verbesserter Schutz der Meere gefordert und auf die globale Erwärmung und deren Folgen wie die steigende Meereshöhe verwiesen, zu der sie kaum beitragen, unter der sie aber am meisten leiden.
Die liechtentsteinische Ansprache war der Terrorismusbekämpfung gewidmet. Der Aussenminister sagte, dass Liechtenstein alle Instrumente zur Verfügung stehen, um seinen Beitrag zur Verhinderung und Prävention der Terrorismusfinanzierung zu leisten. Der Kampf gegen den Terrorismus müsse auf verschiedenen Ebenen geführt werden und deshalb auch dessen Ursachen angehen - Armut, soziale Marginalisierung und das Fehlen einer Grundausbildung. Ausserdem dürfe der Schutz der Menschenrechte kein Opfer in diesem Kampfe sein, weshalb die UN alles daran setzen müsse, dies wie auch einen "clash of civilizations" zu verhindern. Schliesslich müsse sich das kollektive Bewusstsein aller Gesellschaften ändern, um die Gefahr der Gewaltanwendung als Mittel der Konfliktlösung zu erkennen.
Die Reden dieser einwöchigen Debatte zusammenfassend, lässt sich festhalten, dass, wie Bosnien-Herzegovina erklärte, die Terroristen es nicht geschafft haben, die Welt zu polarisieren, dass aber, wie Präsident Khatami bedauerte, sich die Geschichte wiederhole und Krieg wiederum Krieg auslöse und er deshalb zu mehr Spriritualität, Ethik und Fairness in Politik und Wirtschaft aufrufe.
Kontakt:
Presse- und Informationsamt des Fürstentums Liechtenstein (pafl)
Tel. +423/236'67'22
Fax +423/236'64'60
Internet: http://www.presseamt.li
Nr. 49