Antisemitismus: funktionalistisch oder ideologisch?
Vaduz (ots)
Professor Bankier über Holocaust-Forschung aus internationaler und jüdischer Sicht
Am 27. November sprach Professor David Bankier anlässlich des ersten öffentlichen Vortragsabends des Vereins der Liechtensteiner Freunde von Yad Vashem in Vaduz zum Thema «Holocaust-Forschung aus internationaler und aus jüdischer Sicht». Der zweite geladene Gastredner, Professor Dan Michman, ebenfalls ein international renommierter Holocaust- Forscher, konnte aus gesundheitlichen Gründen an der Veranstaltung nicht teilnehmen.
Die Präsidentin des Vereins der Liechtensteiner Freunde von Yad Vashem, Evelyne Bermann, leitete den Vortragsabend mit einer Vorstellung der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem ein. Die Holocaust-Erinnerung stand im Mittelpunkt ihrer Ausführungen. Frau Bermann betonte, dass der Sinn der Holocaust- Forschung vor allem darin bestehe, Gefahren für die Menschheit offen zu legen und aufzudecken. Ein internationales Zentrum wie Yad Vashem müsse unterstützt werden, damit auch die nächsten Generationen an das Grauen, die Vernichtung und Verfolgung, den organisierten Massenmord an Millionen von Juden, erinnert werden. Yad Vashem bedeutet nicht nur Mahnmal und Gedenken, sondern auch Erziehung, Forschung, Archiv und Bibliothek sowie Museum. Frau Bermann sprach über Zukunftsprojekte wie einer Internationalen Schule für Holocauststudien, dem Bau eines neuen Museumskomplexes, einem Computerisierungsprojekt der Gedenkblätter, einer Halle der Namen, einer Allee der Gerechten unter den Völkern sowie einem Pfad der Hoffnung und des Lebens. Diese Projekte sollen einen Ausblick auf das Neue geben und die Möglichkeit zur Regeneration.
Professor Bankier widmete seinen Vortrag vorrangig dem Thema warum der Holocaust statt fand und gab einen umfassendem Überblick über die Wandlung der öffentlichen Meinung bezüglich Antisemitismus beginnend mit der Zeit vor der Machterlangung der Nazis bis heute. Als Erklärung für die Entstehung von antisemitischen Ressentiments diente zunächst ein funktionalistischer Ansatz, der in den sechziger Jahren von einem Ansatz abgelöst wurde, der sich mehr auf die Existenz einer Ideologie stützte. Die Lösung der Judenfrage wurde als Produkt einer Ideologie gesehen, während sie zuvor das Produkt einer Lösung eines konkreten Problems darstellte. Heutzutage erfahren wir wieder das Aufleben einer funktionalistischen Erklärung des Antisemitismus und des Holocausts. Bankier hielt fest, dass insbesondere die nicht-jüdische Holocaust-Forschung diese Funktionalität der Vernichtung betone, während für jüdische Holocaust-Forscher die Ideologie und ihre Scheuklappen der ausschlaggebende Aspekt des Antisemitismus sei.
Auf die Frage, ob nicht die Gefahr bestehe, mit anti- israelischen Positionen wie denen von Jürgen Möllemann eine neue Variante von Antisemitismus salonfähig zu machen, antwortete Professor Bankier, dass es sich hierbei lediglich um politischen Opportunismus handle und um ein Beispiel von funktionalistischem Antisemitismus. Bankier vermutet, dass die Tendenz zu anti- israelischen und antisemitischen Äusserungen eine Gegenbewegung zu dem heute betriebenen Opferkult sowie der Informationsüberschwemmung sei, die die Leute durch die Medien in Bezug auf Juden und das dritte Reich erfahren würden. Der Mythos Jude sei so tief im kollektiven Gedächtnis verankert, dass manche den Holocaust als Unfall der deutschen Geschichte abschwächen und keine Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen möchten.
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