"Neues Gemeindegesetz will mehr Selbstverantwortung in der Gemeindeorganisation"
Luzern (ots)
Die Gemeindereform 2000+ ist in der Umsetzungsphase. Nach dem Finanzausgleich liegt das Hauptaugenmerk jetzt bei der Aufgabenzuteilung zwischen Kanton und Gemeinden. Das erfordert die Revision verschiedener Gesetze - auch des Gemeindegesetzes. Erste Resultate sind von der Arbeitsgruppe "Revision Gemeindegesetz" vorgestellt worden. Ein Gespräch mit lic. iur. Judith Lauber, Leiterin des Amtes für Gemeinden und Leiterin der Arbeitsgruppe.
Judith Lauber, Sie stehen dem Amt für Gemeinden vor und leiten die Arbeitsgruppe zur Revision des Gemeindegesetzes (GG). Diese arbeitet seit einem halben Jahr intensiv am neuen Gesetz. Warum muss das GG revidiert werden?
Judith Lauber: Das bestehende GG geht von einem hierarchischen Staatsverständnis aus. Der Kanton zeigt sich dort noch von einer paternalistischen Seite. Er erlässt viele Vorschriften und dem entsprechend sind viele Details geregelt. Ziel des neuen GG ist es, die Vorschriften des Kantons auf das Notwendige zu beschränken. Die Gemeinden sollen sich vermehrt nach ihren Bedürfnissen organisieren können.
Das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden soll partnerschaftlicher werden. Die Gemeinden erhalten mehr Spielraum...
JL: Genau. Dahinter steckt die Überlegung: Wer mehr Handlungsfreiheit erhält, übernimmt lieber und vermehrt Verantwortung. Das zentralistische Modell, in dem der Kanton alles vorschreibt und kontrolliert, hat ausgedient.
Der Kanton gibt freiwillig Macht ab?
JL: Kanton und Gemeinden müssen sich reformieren, denn beide sollen handlungsfähiger und effizienter werden. Es gibt auch den wirtschaftlichen Aspekt: Wenn Gemeinden für ihre Aufgaben selber verantwortlich sind, dann werden sie ihre Mittel effizienter einsetzen. Das führt längerfristig zur Stärkung von beiden Seiten.
Mehr Autonomie an die Gemeinden. Wie zeigt sich das konkret im neuen GG?
JL: Zum Beispiel wird nicht länger festgeschrieben, wie viele Gemeinderäte zu wählen sind. Festgelegt werden mindestens drei, nach oben ist die Zahl offen. Die genaue Regelung ist den Gemeinden überlassen. Auch ist die Wahl der Gemeinderäte in eine Funktion (Gemeindeammann, Gemeindepräsident) nicht länger Vorschrift. Die Gemeinden regeln das in ihrer Gemeindeordnung (GO). Das führt zu mehr Handlungsspielraum. Sie können sich vermehrt nach ihren individuellen Bedürfnissen - Gemeindegrösse, Finanzstärke, geographischer Lage usw. - organisieren.
Das ist vor allem für grössere Gemeinden und Städte interessant.
JL: Ja, aber man hat auch an die kleinen Gemeinden gedacht. Sie haben in der Regel Gemeinderäte mit kleinen Pensen und einer vollen Arbeitstätigkeit. Es bleibt wenig Kapazität für das Gemeinderatsamt. Es ist vorstellbar, dass der Gemeinderat in Zukunft die Funktion eines Verwaltungsrates einnimmt. Das könnte sein Amt attraktiver machen, denn seine Aufgabe wäre vor allem strategischer Art. Der Gemeindeschreiber würde zum Verwaltungsdirektor und Vorgesetzten der Verwaltung.
Das klingt sehr nach Wirtschaftstheorie. Können diese Modell telquel auf Gemeinden übertragen werden?
JL: Wenn etwas Neues geschaffen wird, dann wird zuerst nach bestehenden Modellen gesucht und die Privatwirtschaft bietet sich hier schnell an. Persönlich bin ich eher skeptisch gegenüber solchen "Vorbildern". Denn Gemeinden sind keine gewinnorientierte Unternehmen. Es geht um politische Verantwortung, und die liegt bei der Gemeindebehörde; diese kann nicht delegiert werden.
Die Arbeitsgruppe hat einige Vorstellungen formuliert, die mit Vertreterinnen und Vertretern von Kanton und Gemeinden diskutiert wurden. Was ändert denn konkret gegenüber dem bestehenden Modell?
JL. Die wichtigste Änderung ist vielleicht die Tatsache, dass sich eine Gemeinde von Anfang an ihre Organisation klar überlegen muss. Es gilt Fragen zu klären wie: Welche Aufgaben hat der Gemeinderat, der Gemeindeschreiber? Welche Kommissionen sind notwendig? Die Antworten werden in einem Organisationsreglement mit Rechtscharakter festgehalten. Zwar kann jede Gemeinde schon heute eine eigene GO erlassen. Aber bisher gab es kaum Anlass dazu, denn im GG ist das Meiste bis ins Detail vorgegeben.
Diese Freiheiten bergen auch Gefahren. Was geschieht, wenn es in einer Gemeinde zu Fehlleistungen kommt?
JL: In der Staatsverfassung ist festgehalten, dass der Kanton die Gesamtverantwortung trägt. Er muss Mindestvorschriften festlegen und diese kontrollieren. Wir streben ein verstärktes Controlling-System an mit einen Kreislauf von Planen-Führen-Handeln-Kontrollieren. Daran arbeiten die Gemeinden derzeit schon stark; wir möchten diesen Prozess unterstützen.
Werden die Stimmberechtigten in Zukunft mehr einbezogen sein?
JL: Vielleicht insofern als durch das Controlling-System die Stimmberechtigten früher in die Planungsfragen einbezogen werden. Ein Controlling schreibt eine rollende Aufgaben- und Finanzplanung vor und diese soll den Stimmberechtigten vorgelegt werden. Sie werden zwar nicht entscheiden, aber im zustimmenden oder ablehnender Sinne zur Kenntnis nehmen. Sie können Bemerkungen anbringen und diese werden beim Gemeinderat nicht ungehört bleiben.
Mehr Transparenz also in der Gemeindepolitik?
JL: Ein GG ist für die Organisation zuständig. Dass dieses Gesetz auch auf der politischen Ebene Einfluss nehmen könnte, beinhaltet einen sehr hohen Anspruch. Ein GG ist ja nur ein Faktor von vielen, die die politische Kultur prägen. Andere sind die Menschen und die Inhalte. Die Neuorganisation bewirkt aber, dass Geschäfte früher zur Diskussion stehen und die eingeschlagene Richtung der Politik schneller klar wird.
Bis wann spürt die Öffentlichkeit diese Wirkung?
JL: Ende 2002 gelangt der Entwurf zum GG in die Vernehmlassung. Dann beginnt der Prozess in den politisch interessierten Kreisen. Wenn das GG 2005 in Kraft tritt, ist mit einer Übergangsfrist zu rechnen, in der die Gemeinden sich vorbereiten können.
Kontakt:
Interview
Bernadette Kurmann
Beauftragte für Öffentlichkeitsarbeit
Amt für Gemeinden
Es existiert ein Foto von Judith Lauber.
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