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Staatskanzlei Luzern

Werkbeiträge von Kanton und Stadt Luzern an Künstlerinne und Künstler 2002

Luzern (ots)

Von insgesamt 79 im Bereich Freie Kunst
eingereichten Dossiers wurden folgende acht Künstlerinnen eingeladen,
eine aktuelle Arbeit zu präsentieren: Brigitt Egloff, Edith
Flückiger, Marianna Halter, Monika Müller, Loredana Sperini, Judith
Röthlisberger, Sabin Tünschel und Margot Zanni.  Nach engagierten und
langen Diskussionen hat sich die Jury entschieden, fünf Arbeiten mit
einem Werkbeitrag auszuzeichnen (Marianne Halter und Loredana Sperini
mit je 15'000 Franken, Judith Röthlisberger, Sabin Tünschel und
Margot Zanni mit je 10'000 Franken).
Bericht der Jury:
Von 79 Dossiers, die zur Bewerbung für einen Werkbeitrag vorlagen,
wählte die Jury im Juni dieses Jahres acht aus. Wir beschränkten uns
damals auf diese eher geringe Zahl, da uns mitgeteilt wurde, es
stände nur ein Raum zur späteren Präsentation zur Verfügung. Da im
Vorjahr, also 2001, die räumliche Situation im Bourbaki-Panorama als
allzu beengend empfunden worden war, sollte den ausgewählten
Positionen genügend Platz zur Verfügung stehen, um sich möglichst gut
zu präsentieren. Ob es gut ist, von fast achtzig Bewerbungen nur acht
auszuwählen, ob man es nicht viel mehr zur Strategie machen solle,
mindestens ein Drittel auszuwählen, das war ein Aspekt, der uns am
vergangenen Montag, 28. Oktober 2002, nachträglich beschäftigte. Denn
auch wenn jemand keinen Preis erhält, weil sich die Jury immer
beschränken muss, ist doch die Möglichkeit, sich in einem
Ausstellungsraum zu präsentieren, auch schon eine Herausforderung,
die man möglichst vielen gewähren sollte.
Auffällig ist, dass in diesem Jahr nur Künstlerinnen ausgewählt
wurden. Das war keine Absicht. Als wir es am Ende registrierten,
haben wir kurz überlegt, ob man einen Anstandsmann beiziehen solle,
eine Möglichkeit, die wir aber als absurd verworfen haben. Wir haben
unsere Entscheidungen getroffen, ohne auf das Geschlecht zu achten.
Es ist uns nicht leicht gefallen, von den acht hier vertretenen
Positionen die Preisträgerinnen zu bestimmen. Bei manchen hatten wir
- ausgehend von der Doku - mehr erwartet und waren dann von der
präsentierten Arbeit fast ein wenig enttäuscht. Bei anderen
bestätigte sich der Eindruck, den wir im Juni gewonnen hatten oder
konnte sogar übertroffen werden. Immer wieder wurde auch darüber
nachgedacht, ob dieser Werkbeitrag vor allem als Anerkenntnis bereits
verdienter Meriten zu verstehen sei, oder als die Vergabe von
Vorschusslorbeeren für hoffnungsvolle junge Talente, wobei wir uns
vor allem für Letzteres entschieden. Es ist wahrlich nicht ganz
einfach, solche Gelder zu verteilen. Aber es macht grossen Spass!
Nicht nur weil man dabei Fachkolleginnen und -kollegen kennen lernt,
sondern auch, weil es nicht so viele Möglichkeiten gibt, vor
Originalen engagiert zu streiten.
Die Resultate:
Loredana Sperini, Zürich: 15'000 Franken Die Jury war sich einig
in der Wertschätzung der Arbeit von Loredana Sperini. Die Künstlerin,
einigen von uns bereits als migros museum hütende Stickerin bekannt,
breitet auf vielen verschiedenen Tischchen, die sämtlichst aus dem
Brockenhaus stammen könnten, geglättete weisse Deckchen, Servietten
oder Teile von Kissenbezügen aus. Auf oder in diese hat sie mit
schwarzem Garn je eine Figur gestickt. Diese gestickten Personen, die
je einen Tisch besetzen, wirken so, als seien sie von Fotografien,
vielleicht Medienbildern übernommen worden. Sie scheinen in
irgendwelchen Situationen befangen zu sein, die man nicht
nachvollziehen kann. Ihr Kontext, ihre Herkunft bleibt offen,
schwingt aber bedeutungsvoll, wie der Blick in eine ganz andere,
mediale und zeitgenössischere Welt mit. Die gestickten Linien oder
Punkte fahren vorgezeichneten Umrisslinien nach, geraten aber immer
wieder in Verwirrung . Die Näherin tut sich offensichtlich schwer,
die Disziplin und Ausdauer, die diese alte Technik einfordert,
durchzuhalten, bzw. dreht Sperini den Spiess um und zeigt, dass auch
oder gerade im braven kleinen Hausfrauendasein Eckliges, Chaotisches
und Zerfliessendes zum Zuge kommen. Explosionsartig lösen sich die
Linien und damit die Figuren auf. Etwas platzt oder wird ausgespuckt.
Ektoplasma quillt aus den Gesichtern, es könnten auch Erbrochenes,
Blut, magnetische Strahlungen oder sonstige unangenehme bis
übersinnliche auratische Kräfte und Auflösungen sein.
Die Arbeit überzeugt durch die sorgfältige und präzise
Präsentation, die eigenständige und ernsthafte Ausführung und den
inhaltlichen Reichtum. In die häusliche, liebevolle und fast manisch
säuberliche Umgebung bricht wie von innen, wie geträumt eine andere
Sprache ein, die von Befleckung, Makel und Auflösung, aber auch einer
medial vermittelten Gegenwart spricht.
Marianne Halter, Luzern: 15'000 Franken
Wie die Arbeit von Loredana Sperini hat auch die Diainstallation
von Marianne Halter mit dem Titel "As it happens" die Jury einstimmig
überzeugt. Abgesehen von der professionellen Präsentation und
Technik, bietet sie eine inhaltlich engagierte Stellungnahme. Fünf
Diaprojektoren werfen in zwei übereinanderliegenden, etwas
verschobenen, dichten Bahnen neun Bilder auf die Wand. Diese zeigen
bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Religion, Kultur und Sport.
Neben den Koryphäen, die im Zentrum des Interesses stehen, treten
verschiedene Randfiguren auf, die man normalerweise beim Lesen der
Bilder nicht oder kaum wahrnimmt. Das können Leibwächter,
Übersetzerinnen oder auch Kinder sein, wie sie hier vom Papst oder
Michael Jackson involviert werden. Halter holt diese Komparsen ans
Licht, bzw. befreit sie sie davon, ausschliesslich im Rampenlicht
existierende Erscheinungen zu sein. Während die Medienstars wie Busch
und Schröder, wie Fischer und Berlusconi durch das Abdimmen und
wieder Aufleuchten der Dias entstehen und vergehen, können sich die
Randfiguren einer materielleren und beständigeren Existenz erfreuen.
Die Künstlerin trug ihre Köpfe mit farbiger Kreide auf die Wand auf.
Dadurch erhalten sie eine kompaktere und dichtere Materialität als
die nur als Projektionen auflebenden Gestalten und sind auch nicht
immer wieder zum Untergang verdammt. Das gekonnte Ineinanderblenden
einer handwerklicheren, älteren Zeichentechnik und medialer
Projektionen im Kontext inhaltlicher Fragestellungen hat die Jury
überzeugt.
Margot Zanni, Zürich: 10'000 Franken
Margot Zanni zeigt unter dem Titel "Back Pages" fünf Fotografien.
Man kann die Arbeiten wie einen Fries von links nach rechts lesen,
der Blick wird aber auch durch formale und inhaltliche Parallelen in
übergreifenden Verbindungen gelenkt. Links aussen ist eine sich fast
in Pixeln auflösende Küstenlandschaft zu sehen. Sie scheint sich in
das nächstfolgende Bild zu erstrecken, grosse quaderförmige
Felsstufen, die gut als Rast- oder Aussichtsplatz zu nutzen sind. Die
Koppelung eines sehnsuchtsvollen Fernblicks mit einer konkreten
Blickposition wird im nächsten Bildpaar wieder aufgenommen: einer
männlichen Rückenfigur und einem Ausschnitt aus einem Gemälde von C.
D. Friedrich. Auf der letzten der fünf Fotografien ist der Blick
Alltäglicherem zugewandt. Neben grünen spitzigen Pflanzen, die auf
die Kreidefelsen referieren, bewegt sich eine Frau ins Bild hinein.
Die Jury überzeugte das Evozieren verschiedener Stimmungs- und
Blickräume, das Herstellen einer Spannung zwischen Ferne und Nähe,
dem Wegdriften und dem konkreten Fokussieren von etwas. Ein
träumerischer in die Ferne schweifender Sehnsuchtsblick wird immer
wieder mit seinem Ausgangsort, dem Naheliegenden und Machbaren
verkoppelt. Einen zeitlichen Switch liefert die Arbeit mit der
Referenz auf die historische Position von C.D.Friedrich einerseits,
der elektronischen Verpixelung der Küstenlandschaft andrerseits. Geht
man übrigens weit genug im Raum zurück, löst sich die Zersetzung
dieser Küste wieder auf, wodurch das Publikum in seinem Seherlebnis
aktiv involviert wird und gleichsam physisch nachvollzieht, wovon die
Arbeit als Ganze inhaltlich spricht.
Judith Röthlisberger, Luzern: 10'000 Franken
Könnte man bei Margot Zanni von einer intellektuellen Raum- und
Blickrecherche sprechen, sucht Judith Röthlisberger den eher
intuitiven und emotionalen Kontakt. Raum wird weniger als etwas
Gesehenes denn mehr als etwas Erlebtes und Gefühltes, weniger als ein
Blickfeld, denn mehr als Erfahrungsraum vorgestellt. Die Unschärfe
lässt keine präzisen Orte entstehen, sondern vermittelt das Gefühl,
man würde sich in diesem Waldstück, über diese Wiese bewegen. Von
Sehnsuchtslandschaften wurde innerhalb der Jury gesprochen, andere
sahen eher etwas Gehetztes, durchaus auch eine hysterische und
angstvolle Komponente darin. Die acht übereinander gestellten
Fotografien erzählen keine (filmische) Geschichte, sondern treten als
gleichberechtigte, frontal auf den Betrachter ausgerichtete
Einzelwerke auf, wobei sich eine von links nach rechts zunehmende
Auflösung ergibt. Die Jury liess sich von der Authentizität eines
rauschhaften Naturgefühls überzeugen, das eine gelungene Umsetzung
fand. Röthlisberger lässt uns teilnehmen an einer Art von
Eingeweihtsein, sie vermittelt - so ein Jurymitglied - eine "Ahnung
von einer Welt, die ich nicht kenne."
Sabin Tünschel, Luzern: 10'000 Franken
Auch bei Sabin Tünschel spielt das Eingeweihtsein eine Rolle. Die
Arbeit, die noch formale Unentschiedenheiten aufweist, hat die Jury
dennoch zu überzeugen vermocht, weil sie eine eigenständige und
beunruhigend unauflösbare Stimmung schafft. Ein grosses Stück Stoff
hängt im rechten Winkel von oben bis weit auf den Fussboden herab.
Darauf ist etwas unscharf eine fotografierte Landschaft mit viel
Acker zu sehen. Oben und unten wird das Erdreich von Himmel umfangen,
als hätte man es mit einem Ausschnitt der Weltkugel zu tun. Hinter
der Stoffbahn befindet sich ein Monitor, auf dessen Mattscheibe - wie
im Acker versenkt - Bilder von einem Hüttenbau gezeigt werden. Eine
Gruppe annähernd gleichaltriger Leute baut vor einem hinteren ein
vorderes Haus auf. Dazu wird eine störende Geräuschkulisse gesendet,
die aus Auto- und Flugzeuglärm und dem Hammerklopfen der Bauleute
besteht. Das Ganze strahlt eine freudlose, nicht spielerische, nicht
heitere, sondern bei aller Aktivität fast passive, oder zumindest
sehr gedämpfte Stimmung aus. "wir haben in unserem Garten zu bauen"
lautet der seltsame Titel, als müsste hier eine undefinierbare
Wir-Gruppe einer Pflicht nachkommen, die fast biblische Akzente
bekommt. Der Garten scheint obendrein eher ein Acker, den man
bestellt, zu sein. Das normalerweise eher mit einem Bastelgestus und
Heiterkeit assoziierte Hüttenbauen wird hier zu einem
bedeutungsträchtigen, von irgendeinem höheren Gesetz vorbestimmten
Ritual umfunktioniert. Die Jury anerkennt die eigenwillige, ein
grosses Potential eröffnende Problemstellung und hofft auf eine noch
dezidiertere Umsetzung.
Mitglieder der Jury:
Claudio Moser, Basel - Künstler ( Brita Polzer, Zürich -
Kunstkritikerin Kunst-Bulletin ( Nika Spalinger, Bern - Künstlerin (
Nadja Schneider, Zürich/Glarus - Konservatorin Kunsthaus Glarus
Vertreterinnen der Wettbewerbskommission (mit beratender Stimme) 
Gabi Widmer, Luzern ( Verena Omlin, Luzern
Die Arbeiten der acht zur 2. Wettbewerbsrunde eingeladenen
Künstlerinnen werden noch bis zum 24. November im Kunstmuseum Luzern
gezeigt (übliche Öffnungszeiten des Museums).
In einer öffentlichen Feier werden am Donnerstag, 31. Oktober
2002, 18.30h im Terrassensaal des Kunstmuseums Luzern die
ausgezeichneten Projekte und Kulturschaffenden in allen drei
Wettbewerbsbereichen (auch Musik und Interkulturelle Projekte)
gewürdigt und die Werkbeiträge überreicht.

Kontakt:

Daniel Huber
Präsident der Wettbewerbskommission
Tel. +41/41/228'52'05

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