Jahrhundertsommer verursacht grosse Schäden am Wald
Luzern (ots)
Hitze, Trockenheit und Borkenkäfer haben im Sommer 2003 den Bäumen auch im Luzerner Wald derart zugesetzt, dass örtlich ganze Waldpartien braun wurden. Davon betroffen sind Laub- und Nadelbäume. Auf den Fichten wird je nach Region in unterschiedlicher Intensität eine in diesem Ausmass bisher unbekannte Massenvermehrung des Borkenkäfers (Buchdrucker; Ips typographus) beobachtet. Davon am stärksten betroffen ist im Kanton Luzern das obere Entlebuch. Die Strategie des Forstdienstes ist, auf den entstehenden Kahlflächen wieder stabile und naturnahe Wälder aufwachsen zu lassen.
Borkenkäfer kommen zu jeder Zeit in allen Wäldern vor. Im Normalfall sorgen ausgeglichenes Wetter und natürliche Feinde dafür, dass sie nicht überhand nehmen. Die extreme Witterung im Sommer 2003 hat dazu geführt, dass sich die Käfer erneut explosionsartig vermehren konnten. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass die Käfer in den Jahren nach dem Sturm Lothar viele angeknackte, aber noch saftige Bäume vorfanden, in denen sie ihre Population aufbauen konnten. Aber auch dort, wo Lothar keine Schäden verursacht hat, haben Käfer grosse Lücken in den Wald gerissen. Dass auch Laubbäume (ohne Borkenkäfer) im grossen Stil braun geworden sind, weist zusätzlich darauf hin, dass das extreme Wetter als Hauptgrund für die Waldschäden angesehen werden muss.
Der Borkenkäfer wütet in der ganzen Schweiz
Seit Lothar gibt die Tatsache zu reden, dass die Kantone im Umgang mit dem Borkenkäfer unterschiedliche Strategien gewählt haben. Einige Kantone geben hohe Millionenbeträge aus und befehlen den Waldeigentümern, befallenes Holz kurzfristig aus dem Wald zu entfernen.
Andere Kantone, darunter der Kanton Luzern, haben das Augenmerk darauf gerichtet, zusammen mit den Waldeigentümerinnen und -eigentümern die Waldbestände zu überwachen und bei einem Borkenkäferbefall die betroffenen Eigentümer bestmöglich zu beraten. Ziel ist einerseits, mittelfristig für eine Wiederbewaldung mit stabilen, standortgerechten Bäumen zu sorgen. Andererseits wird von den Waldeigentümerinnen und -eigentümern dort geschädigtes Holz aus dem Wald entfernt, wo dies wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll scheint. Abgewogen werden unter anderem Faktoren wie mögliche Schäden am verbleibenden Bestand, die Bedingungen für die natürliche Waldverjüngung sowie die Transport- und Absatzmöglichkeiten des Käferholzes. Ungeachtet der Strategie gibt es Meldungen des Erfolgs und leider auch des Misserfolgs. Aus verschiedenen Regionen der Schweiz wird berichtet, dass der Käfer den Förstern das Holz buchstäblich unter den Sägen wegfresse und die Situation ausser Kontrolle geraten sei. So etwa aus dem Berner Oberlandes, dem Kanton Freiburg und Waadt.
Im Kanton Luzern werden massive Schäden im Gebiet Schwarzenberg und insbesondere im oberen Entlebuch festgestellt. Auch in den fichtenreichen Wäldern des Luzerner Mittelandes wird örtlich von Massenvermehrungen gesprochen. Aufgrund der gegenüber dem Berggebiet wesentlich besseren Zugänglichkeit lässt sich dort der Befall jedoch viel leichter entdecken. Vielerorts werden denn auch die befallenen Bäume rechtzeitig gefällt und aus dem Wald entfernt.
Auch dürre Bäume können wichtige Funktionen übernehmen
Borkenkäfer können nur so lange dezimiert werden, als sie noch unter der Rinde leben. Sobald die Rinde abfällt und die Bäume braun werden, ist es für eine erfolgreiche Bekämpfung zu spät. Unter der Rinde aber sind die Käfer schwer zu entdecken, und dies bei rund 10 Millionen Fichten, die im Luzerner Wald stehen. Im Holz dürrer Bäume entwickeln sich natürliche Feinde der Borkenkäfer, grosse wie der Specht, kleine wie der Ameisenbuntkäfer. Die räuberischen Käfer können sich schnell vermehren und die Borkenkäfer in einem Mass zurückbinden, wie es der Mensch nicht vermag. Auf dürr stehenden Bäumen sowie auf den langsam vermodernden Stämmen können sich zudem junge Bäumchen entwickeln. An Hängen halten dürre Bäume einige Jahre die Schneedecke zurück. Eine gleitende Schneedecke würde junge Bäumchen mitreissen. Dürre Bäume können also durchaus nützliche Aufgaben wahrnehmen.
Das Kantonsforstamt hat für die Revierförster eine Beurteilungshilfe erarbeitet, die es ermöglicht, die Waldeigentümer für ihr Handeln fachgerecht zu beraten. Nur dort, wo morsche Bäume einen gefährlichen Bach verstopfen könnten, sind sie zu entfernen.
Und der Schutzwald?
Wald schützt vor Naturgefahren: örtlich vor Lawinen, Steinschlag und kleineren Rutschungen, grossflächig vor Überschwemmungen. Sterben die alten Bäume ab und sind die jungen noch nicht genügend nachgewachsen, so wird die Schutzwirkung des Waldes vorübergehend geringer. Gefahrenkarten helfen, die grössten Risiken zu erkennen. Diese bestehen in Gebieten, die von einer Lawine oder einem Rutsch bedroht sind und in denen sich regelmässig viele Personen aufhalten und hohe Sachwerte gefährdet sind. Wo weniger Menschen und geringere Sachwerte bedroht sind, besteht dagegen ein kleineres Schadenrisiko. In gravierenden Fällen muss versucht werden, die vorübergehend fehlende Schutzwirkung des Waldes mit technischen Mitteln auszugleichen. Und mit gezielten Massnahmen soll dafür gesorgt werden, dass möglichst rasch ein neuer stabiler Schutzwald heranwächst.
Die weitere Entwicklung hängt vom Wetter ab
Die Erfahrung des Trockenjahrs 1947 zeigt, dass die überlebenden Bäume noch über Jahre geschwächt bleiben werden. Dies gilt insbesondere für die Nadelbäume, deren abgefallenen "Blätter" im Frühling nicht neu nachwachsen. Und es ist zu befürchten, dass weitere Borkenkäferarten sich massenhaft vermehren werden: Heute steht vor allem der Fichtenborkenkäfer im Rampenlicht. Nach 1947 kam es in der Schweiz auch zu einer Massenvermehrung des krummzähnigen Weisstannenborkenkäfers sowie anderer Borkenkäfer. Ob sich die Käfer rasant weiter vermehren werden oder ob ihre Entwicklung eher stagnieren wird, hängt in erster Linie von der Witterung der kommenden Jahre ab. Langfristig ist der Wald jedoch nicht in Gefahr. Die gegenwärtig beobachteten Waldschäden sind Teil eines natürlichen Generationenwechsels. In keinem Land Europas stehen so viele alte Bäume im Wald wie in der Schweiz.
Die neuen Wälder reduzieren das Risiko
Die Verjüngung des Waldes wird Jahrzehnte dauern. Dies bietet die Chance, in der nächsten Waldgeneration standortgerechte Mischwälder heranzuziehen, in denen das Risiko besser verteilt ist. Gegenwärtig besteht über die Hälfte der Luzerner Wälder aus Fichten (Rottannen). Die Karte der natürlichen Waldstandorte zeigt auf, dass es höchstens 30 Prozent sein sollten. Mischwälder sind weniger anfällig auf Schädlinge, bieten aber auch auf dem Holzmarkt ausgeglichenere Chancen. Die Mischwald-Strategie stösst nur in den obersten Waldregionen an Grenzen, wo fast nur noch die Fichte heimisch ist.
Der Kanton Luzern macht vorwärts
Unmittelbar nach Lothar ist ein Waldbau-Projekt zur Wiederbewaldung von Sturmflächen in die Wege geleitet worden. Waldeigentümerinnen und -eigentümer, welche diejenigen Baumarten fördern, die von Natur aus am jeweiligen Ort vorgegeben sind, werden für die erforderlichen Massnahmen mit Beiträgen unterstützt. Bisher beteiligen sich über 1'800 Waldeigentümerinnen und -eigentümer am Projekt, das letztlich über 20 Quadratkilometer Wald umfassen wird. Bund und Kanton werden dafür rund 12 Millionen Franken investieren. Weil die Sonderkredite zur Bewältigung der Sturmkatastrophe Lothar per Ende Jahr auslaufen, sind Schadenflächen bis Ende September 2003 dem Revierförster zu melden. Sie werden dann in dieses Waldbau-Projekt aufgenommen. Während der folgenden 5 Jahre erfolgt dessen Umsetzung. Für zukünftige Schadenflächen wird die Förderung der standortgerechten Waldpflege über ein ähnliches, neu angepasstes Waldbau-Projekt (Waldbau A) im Rahmen der zur Verfügung stehenden Kredite fortgesetzt.
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Wie dringend ist der Handlungsbedarf?
Ein Befall ist nur mittels periodischen Begehungen (wöchentlich) direkt am Baum festzustellen. Es kann dann Sinn machen, befallene Bäume aus dem Wald zu entfernen, wenn diese rechtzeitig entdeckt werden, d.h. bevor sie als braune Individuen aus dem Wald-Kollektiv herausragen. Haben die Borkenkäfer die Wirtsbäume verlassen, wird mit dem Entfernen solcher Bäume zur Käferbekämpfung kein Beitrag mehr geleistet. Solche Bäume verlieren in der Regel die Rinde, ihre Kronen verfärben sich braun. Im Holz dürrer Bäume vermehren sich natürliche Feinde des Buchdruckers, grosse wie der Specht und kleine wie der Ameisenbuntkäfer. Vor allem die räuberischen Insekten bauen ihre Populationen rasch auf und vermögen die Borkenkäfer in einem Mass zu dezimieren, wie der Mensch mit technischen Mitteln nicht in der Lage ist. Die biologische Bekämpfung setzt zwar verzögert und unspektakulär ein, ihre Wirkung ist aber sehr hoch einzustufen.
Aus wirtschaftlicher Sicht will gut überlegt sein, ob Borkenkäferbäume auf den Holzmarkt gebracht werden. Der Holzpreis ist kein Naturereignis! Er ist davon abhängig, wie sich alle Beteiligten verhalten. Je höher die Bereitschaft der Holzanbieter ist, ihr Produkt zu tiefen Preisen zu verkaufen, umso tiefer fällt der Preis.
Insbesondere auch im Schutzwald ist gut abzuwägen, ob dürre Bäume gefällt werden sollen. Die Revierförster besitzen die entsprechenden fachlichen Grundlagen, die Waldeigentümer kompetent und umfassend zu beraten. Durch überstürztes Handeln kann die Situation im Wald für Jahre und auf extremeren Standorten Jahrzehnte nachhaltig verschlechtert werden. Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass durch überstürztes Handeln auch neue Risiken bezüglich Gefährdungen durch Naturgefahren geschaffen werden können. Dringend abzuraten ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor Frischholzschlägen in Gebieten mit hohem Käferdruck. Die Erfahrungen zeigen, dass dadurch die Käfer erst recht angelockt werden und innert kürzester Zeit den ganzen verbleibenden Bestand befallen können.
Vielen Menschen sind die dürren Bäume ein Dorn im Auge. Die Unordnung wird als störend empfunden. Chaotisch wirkende Phasen gehören eben zum natürlichen Entwicklungszyklus der Wälder. Und auch dürre Bäume übernehmen im Ökosystem Wald sehr wichtige Funktionen. Es gibt durchaus auch berechtige Gründe, dürre Bäume zu fällen. Aus fachlicher Sicht kann jedoch das Argument "weil man sie nicht sehen will" nicht unterstützt werden.
Holzernte: Umstrukturierungen sind unumgänglich
Im Kanton Luzern hat es 12'000 überwiegend private Waldeigentümer und Waldeigentümerinnen mit über 30'000 Waldparzellen. Diese Eigentumsverhältnisse führen dazu, dass das Bereitstellen von Holz und der Handel mit den Sägereien kompliziert abläuft. Damit die Waldwirtschaft mit dem Ausland oder mit konkurrierenden Branchen mithalten kann, sind grössere Wirtschaftseinheiten nötig. Der Kanton Luzern unterstützt die Entwicklung effizienterer Betriebsstrukturen. Waldeigentümerinnen -eigentümer sollen sich vermehrt zu Betriebsgemeinschaften zusammenschliessen. Wer einen forstlichen Betriebsleiter beschäftigt, kann im eigenen Wald bestimmte Aufgaben des Forstdienstes selber übernehmen und wird vom Kanton dafür entschädigt. Und eine neuartige Dienstleistungsfirma sorgt für die Vernetzung von Produzenten- und Verarbeiterseite. Der Kanton Luzern hat ihre Startphase gefördert.
Borkenkäfer vermehren sich explosionsartig
In einem kleinen Waldstück leben immer Zehntausende von Borkenkäfern. Ist das Wetter warm genug, entwickeln sich die Jungtiere rasch. Ist es feucht und kalt, wird deren Wachstum unterbrochen. Ein Borkenkäferpaar erzeugt 60-100 Nachkommen. In einem warmen Sommer können bis zu drei Generationen entstehen. Ein Käferpaar bringt's bis im Herbst also auf über 100'000 Nachkommen. Unter den gegenwärtig herrschenden Temperaturen sind die Käfer noch aktiv. Sobald die Temperaturen weiter sinken und nass-kühle Herbstwitterung einsetzt, beginnt für die Käfer die Winterruhe.
Waldschäden als Chance - das Beispiel Schwanden
1990 wütete der Sturm Vivian auch im Schutzwald von Schwanden/GL. In den folgenden Jahren verursachten die Borkenkäfer riesige Schäden. Alleine am Gandberg frassen sie ein Loch von einem Quadratkilometer in den Wald. Forst- und Gemeindebehörden entschlossen sich, neue Wege zu beschreiten. Käferbäume wurden nicht mehr entfernt, sondern liegengelassen. Die Auswirkungen dieser Strategie sind von Wissenschaftern und Wissenschafterinnen sorgsam beobachtet und ausgewertet worden. Für ihren zukunftsweisenden Umgang mit Störungen und Krisensituationen ist die Gemeinde Schwanden 2001 mit dem Binding-Preis für vorbildliche Waldpflege ausgezeichnet worden.
Kontakt:
Bruno Röösli
dipl. Forsting. ETH
Fachbereich Information und forstliche Bildung
Tel. +41/41/925'60'01
Mobile: +41/79/442'72'36
E-Mail: bruno.roeoesli@lu.ch
Auf Wunsch können Schaubilder zur Entwicklung der Schutzwirkung des
Waldes auf einer Kahlfläche bestellt werden: Schicken Sie eine E-Mail
an: bruno.roeoesli@lu.ch