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Staatskanzlei Luzern

Forschung zu Second Life an der Universität Luzern: Weibliche Avatare als Visualisierung männlicher Phantasien in Second Life

Luzern (ots)

Eine Studie zu Avatarkreationen am Soziologischen
Seminar der Universität Luzern zeigt auf, dass die häufig
stereotypisch sexualisierten weiblichen Avatarkreationen nicht nur
weiblicher Selbstausdruck und das Darstellen erwünschter Identitäten
bzw. eines ideal self sind, sondern auch eine Form der Visualisierung
männlicher Phantasien in Gestalt eines weiblichen Avatars sein
können.
Nachdem die öffentliche Diskussion um das Phänomen Second Life
bisher vor allem auf ökonomische oder juristische Themen
(Kriminalität) fokussiert war und die soziale Dimension kaum
thematisiert wurde, wird derzeit am Soziologischen Seminar der
Universität Luzern von Frau Dr. Sabina Misoch eine explorative
Beobachtungsstudie zu "Avatarkreationen im virtuellen Raum am
Beispiel Second Life" durchgeführt. Im Fokus dieser soziologischen
Studie stehen die qualitative Analyse der von den Nutzern
realisierten Avatarkreationen sowie deren kommunikationssoziologische
Interpretation.
Die ersten Auswertungen der Analysen der aktuellen Stichprobe von
914 Avataren zeigen spannende Ergebnisse: Es ist eine deutliche
Tendenz zur Präsentation von Stellvertretern zu beobachten, die den
(massen )medial produzierten und kommunizierten Stereotypen von
Attraktivität und Schönheit entsprechen.
Second Life scheint somit trotz seines entsprechenden Potenzials
nicht zur Auflösung realweltlicher Schönheitsideale oder gar zur
Abschaffung von Geschlechterdifferenzen genutzt zu werden; vielmehr
wird die Geschlechtlichkeit in übersteigerter Form durch stereotype
Geschlechtermerkmale (re)inszeniert: Männliche Avatare zeichnen sich
in über 90% der Fälle dadurch aus, dass sie einen normalen bis
athletischen Körperbau haben: breite Schultern, einen muskulösen
Oberkörper und schmale Hüften. Sie entsprechen dadurch den medial
kommunizierten Körperbildern von attraktiver Männlichkeit innerhalb
unserer modernen Gesellschaften. Betrachtet man die weiblichen
Avatare, so scheinen diese dem weiblichen Pendant dieses Stereotyps
zu entsprechen: 98% der weiblichen Stellvertreter sind dünn oder
schlank, mit schmalen Hüften, langen Beinen und grosser Oberweite.
Diese Körperzeichen werden durch entsprechende Bekleidung weiter zur
Geltung gebracht. Dicke oder auf andere Art irgendwie in ihrer
Attraktivität von diesem Ideal abweichende Avatarkreationen sucht man
zwar nicht völlig vergebens, sie sind jedoch extrem rar in Second
Life.
Des Weiteren zeigt sich, dass - trotz der freien
Gestaltungsoptionen und der Möglichkeit des Entwerfens
phantastisch-utopischer Stellvertreter - eine Selbstdarstellung
mittels menschlich-realistischen Avatars vorgezogen wird (95%).
Interessanterweise werden hierbei mehr weibliche (53%) als männliche
(45%) und kaum geschlechtsneutrale (2%) Avatare entworfen. Dies
zeigt, dass die realweltliche Geschlechterdualität im virtuellen Raum
Second Life reproduziert wird und dieser Raum - trotz seines
Potenzials - nicht zur Dekonstruktion von Geschlechtlichkeit genutzt
wird. Interessant ist dieses Ergebnis des höheren Anteils weiblicher
Avatare auch deswegen, weil sich zeigte, dass 57% der aktiven Nutzer
von Second Life Männer sind. Daher kann bei einem weiblichen Avatar
nicht zwangsläufig davon ausgegangen werden, dass es sich um die
Verkörperung einer Nutzerin handelt! Betrachtet man vor diesem
Hintergrund die häufig stereotypisch sexualisierten weiblichen
Avatarkreationen, dann könnte diese Selbstdarstellung nicht nur
weiblicher Selbstausdruck und das Darstellen erwünschter Identitäten
bzw. eines ideal self sein, sondern auch eine Form der Visualisierung
männlicher Phantasien in Gestalt eines weiblichen Avatars.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die von den Nutzern
realisierten Avatarkreationen, wenn man deren Ausgestaltungen
analysiert, deutlich hinter ihrem Möglichkeitspotenzial
zurückbleiben: Es zeigt sich, dass lediglich 2,4% der Nutzer/innen
Phantasiekreationen darstellen, die nicht direkt an menschlich-realen
Konstitutionen orientiert sind. So wird der Raum Second Life nicht
für das Ausleben phantastischer oder utopischer Selbstentwürfe
genutzt und jegliches utopische Potenzial muss Second Life deswegen
abgesprochen werden, wenn sich mit grosser Deutlichkeit zeigt, dass
sich hier die im realen Raum gültigen Schönheitsnormen und -ideale
reproduzieren und durch ihr einfaches Verwirklichungspotenzial im
Virtuellen in ihrer Gültigkeit sogar noch verstärkt werden.
Kasten: Second Life
Es handelt sich hierbei um eine dreidimensionale programmierte
virtuelle Umgebung, in welcher die Nutzer objekthafte
Stellvertreterfiguren - sogenannte Avatare, abgeleitet von dem
sanskritischen Wort avat ra (der Herabsteigende) - erschaffen können.
Mittels dieser Avatare können die Akteure in der virtuellen Umgebung
präsent sein und agieren, kommunizieren und die Umgebung explorieren.
Diese virtuellen Stellvertreter können von den Nutzern selbst kreiert
werden, indem der Körper (z. B. weiblich, männlich, tierisch,
phantastisch) und dessen detaillierte Merkmale frei gestaltet werden
können. Der Avatar fungiert dann seinerseits als dreidimensionale
Visualisierung und Verkörperung (embodiment) des Nutzers im
Cyberspace.
Anhänge http://www.lu.ch/download/sk/mm_photo/5336_mm_uni_avatar.jpg

Kontakt:

Dr. Sabina Misoch
Oberassistentin am Soziologischen Seminar an der Universität Luzern
E-Mail: sabina.misoch@unilu.ch
Internet: www.unilu.ch/deu/dr._sabina_misoch_78866.aspx

Judith Lauber-Hemmig
Leiterin Kommunikation Universität Luzern
Mobile: +41/79/755'27'75

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