World Vision Schweiz und Liechtenstein
Hoffnung für missbrauchte Mädchen in der Auffangsstation von World Vision
(ots)Weit über 25 000 Kinder werden in Kambodscha täglich sexuell ausgebeutet. Bei den kriminellen Freiern handelt es sich häufig um Touristen. Das internationale Hilfswerk World Vision setzt sich dafür ein, dass die Mädchen ein Leben in Würde führen können. Zudem leistet es einen wichtigen Beitrag, die Sextouristen zu belangen.
Phnom Penh/Kambodscha. Die drei Vietnamesinnen sind gerade mal sechs Jahre alt. Ihre Kleider sind schmutzig und zum Teil zerrissen. Scheinbar vergnügt hüpfen sie herum im Innenhof eines Trauma- Beratungszentrums, das von World Vision Schweiz unterstützt wird. Unter dem Arm haben sie ein abgegriffenes Kinderbuch geklemmt. Zwischendurch schauen sie sich die Bilder an. Äusserlich lassen sich die drei Mädchen nichts anmerken. Dabei haben sie bereits in ihrem zarten Alter Schreckliches durchgemacht. Von rücksichtslosen Freiern wurden sie sexuell ausgebeutet. Als im März dieses Jahres das Bordell aufflog, wurden die Mädchen von der Polizei zur Auffangsstation gebracht, berichtet Isabella Gallo. Die Mitarbeiterin von World Vision Schweiz besuchte das Trauma- Beratungszentrum in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh am 3. November und sprach dort mit dem zuständigen Psychologen Somchan Sovandara und der Betreuerin Kim Samuon. Die Eindrücke, die sie mitnahm, sind eine Mischung zwischen Trauer und Empörung: Es tat unglaublich weh, zu erfahren, was diese Mädchen alles durchmachen mussten. Sie haben doch auch ein Anrecht auf ihre Kindheit.
Gedemütigt und ausgebeutet
Die drei Vietnamesinnen gehören zu einer Gruppe von 35 Mädchen im Alter von 6 bis 17 Jahren, die derzeit in der Auffangsstation von World Vision Kambodscha untergebracht sind. Zuhause wurden sie gedemütigt, geschlagen oder unter falschem Vorwand an ein Bordell verkauft. Viele von ihnen wurden sogar vergewaltigt. Oft kommt es auch vor, dass die Mädchen von den Freiern mit Elektroschocks behandelt wurden, wenn sie nicht spuren wollten, erfuhr Isabella Gallo. Die psychischen Folgen sind gravierend: Die meisten Mädchen wurden in ihrer Vergangenheit dermassen traumatisiert, dass sie grösste Mühe haben, darüber zu sprechen. Viele drücken ihre Gefühle durch Zeichnungen aus. Oft schrecken sie nachts auf, verkriechen sich in eine Ecke und schreien. Tagsüber sind viele aggressiv. Schliesslich sind auch Suizidversuche keine Seltenheit: Leider kommt es vor, dass sich die Mädchen von der 5-Meter hohen Veranda hinunterstürzen oder versuchen, sich in der Toilette zu erhängen. An solchen Tagen ist die therapeutische Arbeit für die Betreuer eine besondere Belastung.
Über 25 000 sexuell ausgebeutete Kinder
Dass sich die Kinderprostitution in Kambodscha in den vergangenen Jahren derart verbreiten konnte, ist eine Folge der Armut und der sozialen Ungerechtigkeit, die durch 20 Jahre Bürgerkrieg verschärft wurden. Joseph Mettimano, Berater für Kinderschutz von World Vision, geht davon aus, dass ein Drittel der rund 80 000 Prostituierten in Kambodscha Kinder unter 18 Jahren sind. Mit anderen Worten: Weit über 25 000 Kinder werden sexuell missbraucht und ausgebeutet, Tendenz steigend. Rund 52 Prozent der betroffenen Kinder leiden zudem an Krankheiten, die durch sexuellen Kontakt übertragen wurden. 18 Prozent sind HIV-positiv, so Mettimano weiter. Doch wen wunderts, wenn viele dieser Kinder mit bis zu 30 Männern Geschlechtsverkehr pro Tag haben?
Viele Touristen
Für dieses Elend sind auch Touristen aus den westlichen Industrieländern verantwortlich. Zusammen mit der Kambodschanischen Regierung führte World Vision vor zwei Jahren eine Erhebung durch. Laut dieser stammen 38 Prozent der Pädophilen in den Städten Phnom Penh, Siem Reap und Sihanouk Ville aus dem Westen. Häufig gehören diese Pädophilen der mittleren und oberen Schicht an. Wie die Autoren Nuon Rithy Niron, Yit Viriya und Laurence Gray in ihrer Publikation Kindersex-Tourismus in Kambodscha festhalten, suchen die Sex-Touristen die Kinder vorwiegend in Hotels, Restaurants sowie in Discos und Karaoke-Bars auf. Ein Kind aus Phnom Penh berichtet: Manchmal forderten mich die Motorrad-Taxifahrer auf, mit ihnen zu Restaurants oder Hotels zu gehen. Ich wollte jeweils wissen, warum sie mich von der Strasse abholen. Die Taxifahrer erklärten, dass Touristen sie beauftragt hatten, junge Kinder zu ihrem Aufenthaltsort zu bringen.
World Vision kämpft für die ausgebeuteten Kinder
Das Schockierende ist, dass gewisse Touristen sich gar in der Rolle des Wohltäters sehen. Einige Sex-Touristen behaupten, was sie anrichten sei aus dem kulturellen Standpunkt betrachtet in Ordnung. Schliesslich geben sie dem Kind und dessen Familie dafür Geld. Diese Annahmen sind absolut falsch, betont Joseph Mettimano, Berater für Kinderschutz von World Vision. Denn auch in Kambodscha ist die Kinderprostitution illegal. Zusammen mit dem Tourismus-Ministerium Kambodschas geht World Vision gegen die Kinderprostitution in diesem Land vor. Angestellte des Ministeriums sowie Reiseleiter von Kambodscha werden instruiert, wie sie potentielle Sex-Touristen auf das Problem ansprechen sollen und wie sie Sextourismus bekämpfen können. Durch diese Zusammenarbeit kamen zudem Partnerschaften mit diversen einheimischen Hotels zusammen. Diese Hotels verbieten nun den Zutritt von Ausländern zusammen mit einheimischen Kindern, meldet Mettimano ein Erfolgserlebnis. Doch es gibt noch viel zu tun: Deshalb hat World Vision ein Programm zur Verhinderung von Sextourismus erarbeitet.
Leben in Würde
Erfolge gibt es auch in der Auffangsstation von World Vision in Phnom Penh zu vermelden. Das schlichte, aber saubere Zentrum bietet pro Jahr rund 100 sexuell ausgebeuteten Mädchen eine schützende und aufbauende Umgebung. Dafür setzen sich Samuon und Sovandara in Einzel- und Gruppentherapien (Gespräch. Malen Spiele) ganzheitlich für die Kinder ein. Sie erhalten medizinische Versorgung, vor allem bei Geschlechtskrankheiten und HIV/Aids, und psychologische Beratung. Ausserdem können sie eine berufliche Ausbildung machen. Sie lernen Englisch, Kochen, Coiffeuse oder auch Weben und Stricken. Diese Tätigkeiten können sie später anwenden, wenn sie nach dem Aufenthalt im Zentrum wieder in ihre Familie oder Pflegefamilie integriert und von den Verantwortlichen des Neavea Thmey Zentrums nachbetreut werden. Andere wiederum heiraten oder machen sich selbständig. Zwischen 1998 bis 2002 verliessen 245 Mädchen das Zentrum nach erfolgreicher Therapie. Dies entspricht dem Ziel der Auffangsstation. Ziel ist es, dass diese Mädchen nach dem Aufenthalt ein Leben in Würde führen können. Es wird keine zurück auf die Strasse gesetzt, betont World Vision-Mitarbeiterin Isabella Gallo.
Niron: Den Pädophilen drohen 20 Jahre Gefängnis
Die Zahl der Sex-Touristen in Kambodscha steigt von Jahr zu Jahr. Tiefe Kosten, leichter Zugang sowie Bestechung der Strafbehörden sind die Hauptgründe dafür. Doch die Sextouristen wähnen sich in trügerischer Sicherheit. Gemeinsam mit der kambodschanischen Regierung setzt sich World Vision für die Sicherheit der Kinder ein. Das Schweizer Hilfswerk sprach mit Rithy Niron, Experte für das Tourismus-Projekt Sicherheit für Kinder in Kambodscha.
Herr Niron, wer sind die Sextouristen in Kambodscha? Nebst Leuten aus dem Westen suchen auch Asiaten und im konkreten Fall Kambodschaner häufig die Kinderbordelle auf.
Mit welchen Ministerien arbeiten Sie im Kampf gegen den Kinder-Sex- Tourismus zusammen? Allen voran mit dem Tourismus-Ministerium, aber auch mit dem Innen- und Arbeitsministerium. In sechs Städten Kambodschas hat das Arbeitsministerium bis heute Büros gegen Menschenhandel eingerichtet, von wo aus dieses aktiv wird.
Können Sie das Partnerschaftsprojekt Sicherheit für Kinder mit dem Tourismus-Ministerium etwas erläutern? Eines unserer grossen Ziele ist es, in allen 24 Tourismuszentren des Landes Kommissionen für die Sicherheit von Kindern zu bilden. Bis heute sind 13 solcher Kommissionen entstanden. Sie sind für die Koordination und Durchsetzung des Projektes Sicherheit für Kinder in ihrer Region zuständig. Sie verfolgen und überwachen den Sextourismus sehr genau.
Wie werden die Mitarbeiter der Touristenbranche in dieses Projekt miteinbezogen? Das Personal im Tourismusbereich wird ausgebildet, wie es die Touristen auf das Problem des sexuellen Kindsmissbrauchs sensibilisieren kann. Im Projekt lernt es auch gefährdete Kindergruppen zu unterrichten, damit sexuelle Übergriffen besser verhindert werden können. Für diesen Unterricht haben wir ein Handbuch zusammengestellt. Ferner wurden 4500 Kleber in drei Sprachen produziert. Diese warnen die Sextouristen. Dazu kommen 13 000 Broschüren, durch welche Touristen ebenfalls vom Kindersex abgehalten werden sollen.
Wen haben Sie bis heute mit dieser Ausbildung erreicht? Innerhalb von zwei Jahren konnten in Workshops 432 Tourismusexperten und 1035 Kinder geschult werden. Dazu kommen 127 Lehrer sowie 133 Bürgermeister. Diese Workshops fanden in den drei Hauptzentren Kambodschas statt, also in Phnom Penh, Siahanouk Ville und Siamreap.
Erreichen Sie auch die Leute auf dem Land? Ja, dort weisen wir die Kinder und ihre Eltern vor allem durch Videovorführungen auf die Gefahren des Kinderhandels hin.
Mit ihrem Projekt wollen Sie wohl auch Kinderhändler erreichen. Auch darauf zielt unsere Arbeit ab. Dies ist jedoch ein schwieriges Unterfangen.
Was für eine Strafe droht bei Kindsmissbrauch? Je nach Grad des Verschuldens müssen die Betroffenen mit einer Freiheitsstrafe von 10 bis 15 Jahren rechnen. Falls das Opfer unter 15 Jahren ist, ist gar eine Gefängnisstrafe von 15 bis 20 Jahren vorgesehen.
Was würden Sie persönlich einem potentiellen Touristen, der in Kambodscha Sex mit den Kindern sucht, mitteilen? Ich würde ihnen sagen, dass bei einem Vergehen die Polizei sie verfolgt und ins Gefängnis steckt. Mein Wunsch ist es, dass Touristen unser Land aus kulturellem Interesse besuchen und so auch die Gelegenheit haben, den gefährdeten Kindern zu helfen.
Wegen Kinderpornographie drei Jahre im Gefängnis
Der ehemalige Lehrer John Keeler (58) aus Manchester war die erste Person aus dem Westen, die in Kambodscha wegen Kindsmissbrauch verurteilt wurde. Keeler produzierte Videoaufnahmen von vier Mädchen zwischen acht und zehn Jahren, die sich in einem öffentlichen Park räkelten. Dafür wurde er im August 2000 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Festnahme behauptete Keeler, dass er 3450 Pfund Bestechungsgelder bezahlte, damit er nicht ins Gefängnis müsse. Es half nichts: Der Engländer musste für drei Jahre hinter Gitter. Danach wurde er von Kambodscha ausgeschafft.
Bildlegenden
-Rithy Niron, World Vision-Experte für das Tourismus- Projekt Sicherheit für Kinder. -Mädchen im Trauma-Beratungszentrum beim Kochen, rechts von ihnen eine Betreuerin. -Besuch von Mu Sochua, Kambodschanische Ministerin für Frauen- und Veteranenangelegenheiten. Sochua schaut im Trauma-Beratungszentrum den webenden Mädchen bei der Arbeit zu.
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