World Vision Schweiz und Liechtenstein
Erster offizieller Besuch in autonomem Gebiet seit über 100 Jahren Erdbeben in Pakistan: ODC und World Vision verteilten Hilfsgüter an Stammesbewohner in der unabhängigen Region Kala Dhaka
(ots)Erster offizieller Zutritt seit 1888: World Vision und ODC (Organization for Development Coordination) brachten vergangene Woche ihre erste Hilfslieferung für 100'000 Menschen in die autonome Region Kala Dhaka. Nach dem verheerenden Erdbeben vom 8. Oktober hatten Stammesführer Monate später um Unterstützung gebeten.
Unglaublich aber wahr: Über 100000 Menschen der Region Kala Dhaka (zwischen den Distrikten Battagram und Oghi) lebten während über 100 Jahren in absoluter Autonomie. Aussenstehenden war der Zutritt in dieses rund 1'600 Quadratkilometer grosse Gebiet bislang untersagt. Nach dem Erdbeben vom 8. Oktober hatten Stammesführer um internationale Hilfe gebeten. Nach wochenlangen Verhandlungen hatten das einheimische Hilfswerk ODC und World Vision das Vertrauen gewonnen.
Stundenlange Fahrt ins autonome Gebiet
So führten die beiden Hilfswerke letzte Woche die erste Hilfslieferung mit 42 Tonnen Material für vorerst rund 2'000 Menschen durch: Sieben Lastwagen transportierten Decken, Jacken, Duvets sowie Bauwerkzeuge von Mansehra ins autonome Gebiet nach Kotkhay. Auf Grund der engen Strassen dauerte die 60 Kilometer lange Fahrt knapp acht Stunden, erinnert sich World Vision-Journalist Andy Goss, der beim Hilfstransport dabei war.
Und der erste offizielle Zutritt von Aussenstehenden seit 1888 war eine herzliche Begegnung. Unter Aufsicht von World Vision verteilten ODC-Mitarbeiter die Hilfsgüter an Hunderte von anwesenden Stammbewohner. Mit grosser Dankbarkeit nahmen sie die Hilfe an, so Goss weiter.
Doch während das im Indus Tal gelegene Kotkhay für Fahrzeuge noch zugänglich ist, sind viele vom Erdbeben zerstörte Dörfer in Kala Dhaka nur zu Fuss erreichbar. Dazu Andy Goss: Nach einem zweistündigen Fussmarsch erreichten wir das völlig zerstörte Dorf Peer Kheel. Dort konnten wir vor allem Medikamente verteilen. Die rund 750 Dorfbewohner hausen in Unterschlüpfen, die aus Trümmern notdürftig erstellt wurden. Nach dem Erdbeben hatten sie monatelang von den Vorräten gezehrt.
Hilfsgüter für knapp 46'000 Menschen
Wie Andy Goss erklärt, planen ODC und World Vision für die kommenden Monate weitere Hilfstransporte in die autonome Region Kala Dhaka. Zudem werden diese Woche Gespräche mit dem UNO- Welternährungsprogramm WFP geführt. Es geht um die Versorgung von Tausenden von Not leidenden Menschen. Da ist rasche und koordinierte Hilfe nötig, betont er und fügt an, dass der Transport in die abgelegenen Dörfer eine grosse Herausforderung sein wird, weil dafür ein Fussmarsch von teils sechs bis sieben Stunden bewältigt werden muss.
Nach Absprache mit den Stammesfürsten wird ODC Hilfsgüter von World Vision an die beiden Stämme Hassanzias (Süden) und Akazai (im Zentrum von Kala Dhaka) verteilen. Insgesamt kommen die Hilfslieferungen 5'799 Haushaltungen oder 45'592 Überlebenden zu Gute. ODC will auch die anderen Überlebenden im Norden des autonomen Gebiets erreichen. Je nach Verlauf der Verteilung wird World Vision auch diese zusätzlich geplante Hilfslieferung unterstützen.
Viele Dörfer sind auf aktuellen Karten gar nicht vorhanden Goss bestätigt, dass sich die Helfer für den Transportweg von letzter Woche auf die Dokumente von Colonel Wylly abstützten. Der Armeeoffizier hatte den letzten offiziellen Besuch in der Kala Dhaka Region im Jahre 1888 schriftlich festgehalten. Doch warum wurden keine aktuellen Karten verwendet? Die Dokumentation von Colonel Wylly ist mit Abstand das Genaueste, was über Kala Dhaka existiert. Auf aktuellen Karten sind viele der abgelegenen Dörfer falsch oder gar nicht eingezeichnet.
Die bewaffneten Menschen waren sehr herzlich
World Vision-Journalist Andy Goss hatte den ersten Hilfstransport begleitet. Im Interview schildert er seine Eindrücke bei der Begegnung mit den vergessenen Menschen der Region Kala Dhaka.
Andy Goss, welchen Eindruck haben Sie vom Hilfstransport generell erhalten?
Auf dem Weg nach Kotkhay war ich völlig beeindruckt von der Schönheit der Landschaft am Fusse des Himalayas. Doch noch faszinierender wird es, wenn man die Grenze ins autonome Gebiet überschritten hat. Man gelangt in eine Welt, die praktisch unberührt ist.
Und wie erlebten Sie die Begegnung mit den Hilfsempfängern in Kotkhay?
Zunächst war auffallend, wie stark die Leute bewaffnet waren. Sie trugen Waffen wie die Engländer einen Regenschirm. Doch die Menschen waren äusserst dankbar für die Hilfe. Und während mich jemand umarmte, wurde aus Freude in die Luft geschossen. Dennoch fühlte ich mich nicht unwohl.
Woher haben diese Leute denn die Waffen, wenn seit 1888 offiziell kein Kontakt zur Aussenwelt besteht?
Einige Männer aus Kala Dhaka verlassen immer wieder ihre autonome Region, um Arbeit zu suchen. So gelangen auch Waffen aus der Aussenwelt nach Kala Dhaka. Denn zwischen den drei Stämmen in der Region kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Umgekehrt ist es für Aussenstehende lebensgefährlich, nach Kala Dhaka vorzudringen. Auch die Regierungen haben seit der Unabhängigkeit Pakistans 1947 die Autonomie des Gebietes respektiert. Man wusste also von den Stämmen, doch seit 1888 ist offiziell niemand mehr ins Gebiet vorgedrungen.
Sie sind noch zu Fuss von Kotkhay nach Peer Kheel hinaufgestiegen. Wie erlebten Sie die Begegnungen dort?
Es brach mir fast das Herz. Die Menschen waren für die Medikamente und das Verbandsmaterial sehr dankbar. Andrerseits sah ich viele abgemagerte Kinder. Auf dem Weg zurück nach Kotkhay musste ich weinen. Es ist daher dringend, dass die Menschen in diesen abgelegenen Dörfern möglichst rasch zusätzliche Unterstützung erhalten.
Kontakt:
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