World Vision Schweiz und Liechtenstein
Vierte Syrien-Geber-Konferenz - Kinderehen nehmen dramatisch zu
Ein Dokument
Am Montag beginnt die Vierte Syrien-Geber-Konferenz in Brüssel.
Eine Studie von World Vision zeigt eine dramatische Zunahme an Kinderehen und Zwangsverheiratung.
Kinder werden von der Schule ausgeschlossen und sehen ihre Zukunft zerstört.
Aus Anlass der Syrien-Geberkonferenz, die kommende Woche beginnt, macht die internationale Kinderhilfsorganisation World Vision darauf aufmerksam, dass die Zahl von Kinderehen in Syrien alarmierend zugenommen hat. Viele Kinder sehen ihre Zukunft als verloren an, u.a. auch weil sie durch Zwangsverheiratung jeglicher Bildungschancen beraubt werden.
Für den Bericht "Gestohlene Zukunft: Krieg und Kinderheirat in Nordwest-Syrien" wurden zwischen Januar und April dieses Jahres 626 Kinder, Familien und Fachpersonen zu Kinderheirat befragt.
Unter anderem kam man zu folgenden Ergebnissen:
- Nach Ansicht von fast 100% der befragten Mädchen und 94% der befragten Jungen wurden Kinderheiraten seit Beginn des Konfliktes in Syrien öfter arrangiert.
- Mehr als die Hälfte der befragten Frauen und Mädchen gaben an, dass Gründe für erzwungene Frühverheiratungen die Angst vor sexueller Ausbeutung, Missbrauch und Entführung seien.
- Von Männern wurde angeführt, dass die verstärkte Nutzung von sozialen Medien Kinderheiraten begünstigen würden.
- 70% der Mädchen und Frauen gaben an, dass Kinderbräute einem erhöhten Risiko häuslicher Gewalt ausgesetzt sind.
Kinderheiraten gab es in Syrien bereits vor dem Ausbruch des Krieges. Laut Auskunft der Befragten haben sie jedoch aufgrund von Konflikten, Vertreibung, Armut sowie sozialem und kulturellem Druck erheblich zugenommen. Im Nordwesten Syriens leben schätzungsweise 2,8 Millionen Menschen in grosser Armut, bei einer Gesamtbevölkerung von 4 Millionen. Kinder sind einer Reihe von Bedrohungen ausgesetzt, Zwangsheirat ist eine davon. Viele Eltern sind zutiefst verzweifelt und wissen nicht mehr, wie sie ihre Kinder ernähren sollen.
Kinderschutz als moralische Verpflichtung
"Der Schutz der Kinder ist ein wichtiges Anliegen innerhalb Syriens. Mit dem Fortdauern des Konflikts nimmt die Verletzlichkeit von Kindern, insbesondere von Mädchen, exponentiell zu. Es ist eine Schande, dass im 10. Jahr nach Ausbruch des Konflikts immer noch kein Ende in Sicht ist. Die internationale Gemeinschaft ist auch in Kriegen moralisch verpflichtet, die Rechte der Kinder zu wahren", sagt Eleanor Monbiot, die Regionalverantwortliche von World Vision für den Nahen Osten und Osteuropa. "Die Corona-Pandemie hat viele Familien in noch grössere Verzweiflung getrieben und führt zu einem dramatischen Anstieg von Kinderheiraten."
Nutzung von Sozialen Medien als Driver
Der Bericht der Kinderhilfsorganisation stellt weiter fest, dass auch die zunehmende Nutzung der sozialen Medien dazu führt, dass Eltern es vorziehen, ihre Kinder früh zu verheiraten, da sie Angst um die Familienehre haben, wenn ihr Nachwuchs vermeintlich unangemessene Beziehungen zum anderen Geschlecht im Internet aufbaut. "Viele insbesondere junge Vertriebene verbringen viel Zeit in den Sozialen Medien und versuchen so, der Realität zu entfliehen. Einige Eltern haben das Gefühl, dass sie nur begrenzt in der Lage sind, die Aktivitäten ihrer Kinder mit dem anderen Geschlecht zu überwachen", erklärt Monbiot.
In der Regel wollen Eltern ihre Kinder schützen und denken, dass besser für sie gesorgt ist, wenn sie die Mädchen und Buben früh verheiraten. "Viele Befragte gaben an, dass Angst oder Ausbeutung und Missbrauch sowie der Wunsch, wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten, die wichtigsten Triebfedern für eine Kinderheirat seien", so Monbiot. "Die Realität sieht jedoch so aus, dass Kinderheirat wenig Schutz vor Missbrauch bietet und mit erheblichen physischen und psychischen Schäden, zunehmender häuslicher Gewalt, frühem Rückzug aus dem Bildungswesen und weiterem Abrutschen in die Armut einhergeht."
Syrien-Geberkonferenz zur Zukunft
Die Staats- und Regierungschefs der Welt treffen sich virtuell nächste Woche zur Vierten Brüsseler Konferenz über die Zukunft Syriens. Daniela Buzducea, internationale Leiterin für Anwaltschaft und externes Engagement bei World Vision betont: "Wir hoffen, dass es im 10. Jahr nach Beginn des Krieges endlich gelingt, einen dauerhaften und landesweiten Waffenstillstand auszuhandeln und dass dringend benötigte Hilfsgüter zur Bewältigung der Krise bereitgestellt werden."
Kinderheiraten dürften zudem nicht als zwangsläufige Verhaltensweisen in Konflikten betrachtet werden. "Die zwangsweise Verheiratung von Mädchen und Jungen wird getrieben durch Verzweiflung. Die internationale Gemeinschaft hat im Schutz der Kinder auf ganzer Linie versagt und wir hoffen, dass die Konferenz in Brüssel endlich einen Wandel herbeiführt und syrische Kinder und Jugendliche wieder eine Zukunft haben", so Buzducea.
Interviewmöglichkeit:
Unsere Kolleginnen und Kollegen in Amman von der "Syria Response" stehen für Interviews auf Englisch zur Verfügung. Ebenso unser CEO von World Vision Schweiz, Christoph von Toggenburg.
Mehr Informationen über die Not- und Katastrophenhilfe von World Vision Schweiz finden Sie in dieser Broschüre:
Medienstelle World Vision Schweiz: Alexander Koch, Mediensprecher Alexander.Koch@worldvision.ch, T 044 / 510 14 28 M 079 / 439 18 54