Sepp D. Heckmann, Mitglied des Vorstandes Deutsche Messe AG, Hannover: Fünf vor zwölf für den Messestandort Deutschland
Hannover (ots)
- Überkapazitäten und Messezersplitterung verlangen konsequentes Umdenken - Leitmessen weisen den Weg
Drei Jahre nach der weltweiten Ernüchterung über die scheinbar grenzenlose wirtschaftliche Entwicklung kann sich auch das deutsche Messewesen nicht länger der Folgen entziehen. Mit grosser, ja zu grosser Verzögerung beginnt man heute von lieb gewordenen Vorstellungen Abstand zu nehmen. Die deutsche Messewirtschaft, die ihren Standort weltweit als Nr. 1 unter den Messeplätzen etabliert hat, muss umfassend und schnell umdenken.
Mit über 2,5 Mio. m2 Hallenfläche hat der Messeplatz Deutschland heute enorme Überkapazitäten, die sich nach dem an vielen Messestandorten geplanten Ausbau noch deutlich erhöhen werden. Der Ausstellungs- und Messe-Ausschuss der deutschen Wirtschaft (AUMA) registrierte in 2002 145 internationale Messen mit 166'000 Ausstellern und gut 9 Mio. Besuchern. Hinzu kommen noch 179 Veranstaltungen mit regionalem Einzugsgebiet, die noch einmal 56'000 Aussteller und 7,2 Mio. Besucher anzogen - eindrucksvolle Zahlen.
Doch einem erheblichen Flächenwachstum, 1998 bis 2002 allein um zehn Prozent, stehen im selben Zeitraum nahezu unveränderte Ausstellerzahlen gegenüber. Auch bei den vermieteten Ausstellungsflächen ist kein Wachstum zu verzeichnen. Die Zahl der Gesamtbesucher ist bei überregionalen Messen zudem leicht rückläufig und bei Veranstaltungen mit regionalem Einzugsgebiet ist sogar ein Rückgang um nahezu ein Viertel zu verzeichnen.
Bereits im dritten Jahr in Folge kommt es bei den Unternehmen zu sockelwirksamen Einsparungen, die sich u. a. darin zeigen, dass das Gesamtvolumen der Marketingausgaben in den letzten drei Jahren um 15,3 Prozent zurückgegangen ist. In den Unternehmen wird heute genau überlegt, in welche Marketingmassnahmen man investiert. Dabei steht auch auf dem Prüfstand, auf welchen Messen man sich präsentiert und wie viele Mitarbeiter als Besucher zu welchen Messen entsandt werden. Vieles spricht dafür, dass die unter dem Diktat des Sparens reduzierten Budgets auch dann nur selektiv und zielgerichtet wieder erhöht werden, wenn die Konjunktur wieder anzieht.
Die deutsche Messewirtschaft befindet sich in einer neuen Situation. Aus dem Anspruch, kundennahe, auf die spezifischen Bedürfnisse einer klar definierten Zielgruppe zurechtgeschnittene Messen anzubieten, ist in den letzten Jahren statt der gewollten Messevielfalt eine nicht gewollte Messezersplitterung geworden. Um die vorhandenen und geplanten Ausstellungsflächen zu füllen, wurden und werden scheinbar beliebig neue Veranstaltungen ins Leben gerufen - und allzu oft auch wieder begraben.
Die in der Realität enge Verzahnung der Arbeitsprozesse über die gesamte Wertschöpfungskette ist künstlich aufgebrochen und in einzelne Nischenmessen aufgesplittet worden. Der Gesamtzusammenhang, die ganzheitliche Darstellung, geht dadurch verloren.
Zersplitterung schwächt Messeplatz Deutschland
Grundsätzlich ist Wettbewerb im Messewesen wie in jeder anderen Branche notwendig und förderlich. Die Auseinandersetzung mit der Konkurrenz hat zur Qualität der Leitmessen in Deutschland beigetragen. Eine Zersplitterung des deutschen Messewesens aber führt in die falsche Richtung und schwächt den gesamten Messeplatz Deutschland. Es ist also keine Frage des Wettbewerbs. Es ist vielmehr und vor allem eine Frage der zukunftsfähigen Konzeption. Mit welchen Konzepten können Weltmärkte abgebildet und internationale Entscheider erreicht werden?
Der internationale Anwender braucht Problemlösungen, die das Zusammenwirken einer Prozesskette abbilden. Nur durch diesen Mehrwert können internationale Fachbesucher gewonnen werden. Für Nischenmessen, die es weltweit überall zu den verschiedensten Themenbereichen gibt, muss kein internationaler Entscheider eine lange Reise auf sich nehmen.
Noch ist die Messewirtschaft in Deutschland stark, aber die Zeit wird knapp. Die Kommunen und die öffentliche Hand, die bei vielen Messen eine Gesellschafterstellung haben, sind in den letzten Jahren selber unter starken finanziellen Druck geraten. Dennoch wurden und werden weiterhin allerorten vorhandene Messegelände zum Teil erheblich ausgebaut und neue geschaffen. Angesichts leerer öffentlicher Kassen, hochverschuldeter Kommunen und Bundesländer sowie vor dem Hintergrund gravierender sozialpolitischer Probleme ist dies sicher die falsche Richtung.
Leitmessen gehört die Zukunft
Was ist zu tun? Eine Zukunft werden jene Messen haben, die sowohl die Spezialisierung einer Fachmesse als auch die übergreifende Darstellung von Themen und eine hohe internationale Attraktivität miteinander verbinden. Internationale Entscheider brauchen Messen, die transparent und mit kundennahen Strukturen ganze Themenfelder, wie z. B. die Industrieautomation, die Automobilindustrie, oder das Verlags- und Buchwesen, horizontal im Zusammenhang präsentieren.
Nur solche Messen generieren die globale Anziehungskraft und den Zusatznutzen, die für Aussteller und Besucher eine Win/Win-Situation schaffen. Ein solcher beidseitiger Gewinn ist in Zeiten knapper werdender Mittel unverzichtbar. Sinnvoll ergänzt werden diese horizontalen Leitmessen durch vertikale Branchenmessen, die eine gesamte Branche weltweit abdecken, sowie durch regionale Fachmessen im direkten Umfeld grosser Abnehmerbranchen.
Die Effizienz der Messebeteiligung für Aussteller und Besucher muss erhöht, die Kosten-/Nutzen-Relation des Messeengagements nachhaltig gesichert und verbessert werden. Ressourcen bündeln, Programme schärfen, Messe-Marketing schlagkräftiger machen und den Wettbewerb neu ausrichten - die Perspektiven der deutschen Messewirtschaft müssen neu definiert werden. Geld in Nischenprodukte sowie den weiteren Ausbau oder gar Neubau von Standorten zu stecken, ist kein Regulativ.
Deutschland hat hier mit den Leitmessen gute Voraussetzungen. Sie produzieren als globale Marketingplattformen attraktiven Mehrwert. Nur wenn es gelingt, diese Stärken weiter auszubauen, werden wir unsere Spitzenposition in der Welt halten können. Dazu bedarf es einer Konzentration von Ressourcen, einer Konzentration des Angebotes und vor allem der Konzentration auf die Wünsche der Aussteller sowie auf die Anforderungen der internationalen Besucher. Das erfordert unkonventionelles Denken bis hin zur Revision schon verabschiedeter Strategien. Wir haben nicht den Luxus, zu warten.
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