Sellafield, THORP und British Nuclear Fuels (BNFL) in der öffentlichen Diskussion - Kritik und Entgegnung (Langfassung)
Düsseldorf (ots)
Vorbemerkung:
British Nuclear Fuels plc (BNFL) ist eine britische Staatsgesellschaft und betreibt u.a. zahlreiche nukleare Anlagen am Standort Sellafield, West Cumbria, Vereinigtes Königreich. Unter ihnen ist auch die Anlage THORP, in der allein die Wiederaufarbeitung - auch der deutschen und schweizerischen Brennelemente - erfolgt.
Das heisst: THORP ist nicht gleich Sellafield und Wiederaufarbeitung steht nicht für die gesamten BNFL-Aktivitäten. Dies ist insbesondere für die Beurteilung der Wiederaufarbeitung wichtig: Sie allein ist nur für ca. 15 % der gesamten Strahlenexposition, die von Sellafield ausgeht, verantwortlich.
Was bedeutet das für den Menschen? In einem Maximalfall - z.B. für eine Person, die in unmittelbarer Nähe von Sellafield lebt und sich dort in starkem Masse von lokalen Meeresfrüchten ernährt - beträgt die Strahlenexposition durch THORP ca. 0,025 Millisievert pro Jahr (Sievert sind die internationale Einheit für die Messung menschlicher Strahlenbelastung). Wie ist dieser Wert einzuschätzen? Hierzu ein Vergleich: Die natürliche mittlere Strahlenbelastung beträgt rund 2,4 Millisievert pro Jahr. Diesem Wert ist jede Person aus der Bevölkerung ausgesetzt. Die Belastung durch THORP entspricht also nur ca. einem Hundertstel dieser durchschnittlichen natürlichen Strahlenbelastung - und das im Maximalfall. Ein weiterer Vergleich: Sie entspricht etwa der Menge, der ein Reisender aufgrund der kosmischen Strahlung auf einem Ferienflug nach Mallorca ausgesetzt ist.
Zur Gesamtbelastung durch Sellafield: Anlagen am Standort Sellafield sind seit mehr als 50 Jahren in Betrieb. Ehemals diente der Standort dem Vereinigten Königreich zur Produktion nuklearer Waffen. Obwohl heute rein zivil genutzt, müssen in Sellafield deshalb umfangreiche militärische Altlasten abgearbeitet werden. Diese Sanierung erfolgt seit Jahren mit Milliardenaufwand im Auftrag der britischen Regierung. BNFL ist hierbei nur der Auftragnehmer.
Durch sämtliche Anlagen von Sellafield erfolgt im Maximalfall eine Strahlenexposition von ca. 0,150 Millisievert pro Jahr. Oder: ca. 6 % der mittleren natürlichen Strahlenbelastung in Deutschland. Wie gesagt, dies schliesst die Sanierung der militärischen Altlasten ein, die von BNFL für die britische Regierung auch in Zukunft intensiv weiterverfolgt wird.
Behauptungen / Stellungnahmen der BNFL
Behauptung: BNFL / Sellafield verseucht die Irische See.
Die Irische See zählt wegen Sellafield seit langem zu den am intensivsten untersuchten Seegebieten der Welt. Dies betrifft sowohl die regelmässige Kontrolle der Verzehrgewohnheiten der lokalen Bevölkerung als auch die Vielzahl der in den Meeresorganismen gemessenen Radionukliden (radioaktive Teilchen).
Ausschlaggebend für die menschliche Strahlenbelastung - sei es durch flüssige radioaktive Ableitungen, Abluft oder direkte Strahlung - sind nicht die Emissionen (d.h. abgegebene Mengen), sondern die vom Menschen empfangenen Mengen bzw. die Immissionen.
Es ist deshalb falsch, hierfür nur die Einleitungen von Sellafield in die Irische See heranzuziehen. Für den Menschen ist einzig und allein relevant, welche Strahlung von einer Person empfangen wird. Diese beträgt für sämtliche Anlagen von Sellafield im Maximalfall ca. 0,150 Millisievert pro Jahr und für die Wiederaufarbeitungsanlage THORP lediglich ca. 0,025 Millisievert pro Jahr. Wie bereits gesagt: THORP entspricht lediglich ca. 1 % der natürlichen Strahlenbelastung in Deutschland - und dies nur für den Maximalfall.
Was heisst dies für den Verzehr von Seefisch, Krebstieren und Muscheln aus der Nordsee? Modellrechnungen der Bundesforschungsanstalt für Fischerei, Institut für Fischereiökologie, Hamburg, aus dem Februar 2000 haben ergeben, dass die Aufnahme radioaktiver Elemente durch Fischverzehr aus der Nordsee von 1992 bis 1998 abgenommen hat: in der zentralen Nordsee - dem Gebiet mit der höheren Exposition - von etwa 0,00013 auf 0,00008 Millisievert pro Jahr. Die Bundesanstalt: "Die 0,00008 Millisievert (pro Jahr) sind also weniger als 0,004% der mittleren natürlichen Strahlenexposition. Dies ist ein sehr kleiner Wert und gibt zu keinerlei Bedenken hinsichtlich des Verzehrs von Fisch und anderen Meerestieren aus der Nordsee Anlass" (Forschungs-Report 2/2000).
Behauptung: Ableitungen (Emissionen) aus Sellafield verursachen Blutkrebs in der unmittelbaren Nachbarschaft.
Es gibt nicht einen einzigen fundierten und schlüssigen wissenschaftlichen Nachweis, der Sellafield für Leukämiefälle verantwortlich macht.
Tatsächlich aber ist in Seascale, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Sellafield, eine historisch erhöhte Rate von Kinderleukämie festgestellt worden. Diese Erkenntnisse sind seit mehr als 10 Jahren Gegenstand vieler Studien und wissenschaftlicher Veröffentlichungen.
Eine ursächliche Verbindung mit Sellafield ist nie nachgewiesen worden und wird auch in den wissenschaftlichen Hypothesen nicht vertreten. Denn man hat u.a. herausgefunden, dass es in Ortschaften, die viel weiter von Sellafield entfernt liegen als Seascale, höhere Raten von Kinderleukämie gibt.
Die Mehrheit der Wissenschaftler neigt inzwischen zu der Theorie, dass die Häufung von Kinderleukämie in Seascale auf eine Virusinfektion zurückzuführen ist. Dabei nimmt das Infektionsrisiko der Kinder durch ein Phänomen zu, das die Wissenschaftler "Bevölkerungsvermischung" nennen. Dies bedeutet, dass ehemals isolierte Kommunen durch starke Zuwanderung von Menschen aus anderen geographischen Regionen einem erhöhten Virusinfektionsrisiko ausgesetzt sind. Im Falle von Seascale treffen diese Annahmen zu, da der Bau neuer Anlagen in Sellafield in der Tat zu einer grossen Zuwanderung geführt hat.
Behauptung: BNFL hat erst einen Teil der Auflagen der britischen Aufsichtsbehörde für nukleare Anlagen aus dem Februar 2000 für den Standort Sellafield abgearbeitet. Sellafield ist deshalb nicht sicher.
Die britische Aufsichtsbehörde (Nuclear Installations Inspectorate, NII) hat niemals gesagt, dass Sellafield "nicht sicher" sei. Wäre dies der Fall, würde NII Sellafield sofort stilllegen, bis die Auflagen erfüllt und von NII akzeptiert wären.
BNFL ist voll im Zeitplan. Von den Empfehlungen des NII aus dem Februar 2000 sind hinsichtlich der MOX-Demontrationsanlage sämtliche 15 Empfehlungen und bezüglich der Lagerung hochradioaktiver Abfälle sämtliche 22 Empfehlungen zur vollen Zufriedenheit von NII abgearbeitet worden.
Hinsichtlich des Empfehlungskatalogs von NII aus dem Februar 2000 für die Betriebsführung und Organisation des Sellafield-Gesamtkomplexes sind bisher 5 von 28 Punkten abgearbeitet. Für die Umsetzung sämtlicher Punkte des Katalogs sind aus Sachzwängen von NII von Anfang an ca. zwei Jahre angesetzt worden.
Der Chief Inspector des NII, Laurence Williams, hat hierzu vor kurzem folgenden Kommentar abgegeben: "Overall, we are encouraged by the vigour and commitment that BNFL has given to addressing the issues raised by all three reports".
Behauptung: Im Januar 2001 wären bei BNFL ca. 2100 Tonnen flüssiger hochradioaktiver Abfälle beinahe explodiert. Es drohte ein zweites Tschernobyl.
Diese Anschuldigung war völlig falsch.
Zur Sache: In der Lagerhalle für flüssige hochradioaktive Abfälle in Sellafield wurde ein neues Ventilationssystem installiert, dessen Aufgabe die Vermeidung zu hoher Wasserstoffkonzentrationen ist. Denn bei einer hohen Konzentration und einem bestimmten Mischungsverhältnis des Wasserstoffs und des Luft-Sauerstoffs könnte theoretisch eine Explosion entstehen. Der Wasserstoff entsteht normalerweise in sehr geringen Mengen aus den flüssigen hochradioaktiven Abfällen.
Bei den Arbeiten an dem Ventilationssystem war ein akustisches Dauersignal (negativer Alarm) unterbrochen, - was eine eine steigende Wasserstoffkonzentration anzeigt. Das Personal - so der Vorwurf - habe für ca. 2,5 Stunden dieses nicht beachtet. Eine von BNFL unmittelbar eingeleitete detaillierte Untersuchung dieser Anschuldigungen hat ergeben, dass das Personal das Dauersignal in der Tat und zu Recht für ca. 2,5 Stunden zunächst nicht wieder anstellte, da keinerlei Explosionsgefahr bestand.
Dazu waren die Wasserstoffkonzentration und somit das Mischungsverhältnis mit dem Sauerstoff der Luft bei weitem zu gering. Nach wissenschaftlicher Meinung hätte es theoretisch zumindest mehrere Tage gedauert, bevor eine Explosion überhaupt physikalisch möglich gewesen wäre. Selbst für diesen Fall hätte es jedoch einer Zündungsquelle bedurft (die das Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch zur Explosion hätte bringen können), die nicht vorhanden war.
Diese Beurteilung wird von der britischen Aufsichtsbehörde NII geteilt.
Die falschen Beschuldigungen wurden durch britische Journalisten ausgelöst, die den Ausfall der Ventilation mit dem Ausfall der Kühlung der Abfalltanks (letzteres würde zu einer höheren Wasserstoffbildung führen) verwechselt hatten.
Behauptung: In einem vertraulichen Treffen haben BNFL-Kunden sich besorgt über BNFLs "Performance" geäussert.
Die von den deutschen und schweizerischen Energieversorgungsunternehmen (EVUs) mit BNFL abgeschlossenen langfristigen Wiederaufarbeitungsverträgen beinhalten ein Preiskonzept, wonach die EVUs BNFL die tatsächlich entstandenen Kosten zuzüglich eines Gewinnaufschlags vergüten. Es liegt in der Natur dieses Preiskonzeptes, dass die Kunden niedrigstmögliche Kosten anstreben und diese durch unabhängige Wirtschaftsprüfer kontrollieren lassen.
Auch bei dem vertraulichen Treffen (23. März 2001) war die Kostenminimierung u.a. wegen eines längeren Produktionsausfalls von THORP Verhandlungsgegenstand. Die tatsächliche Atmosphäre der Besprechung wurde in den Medien nicht richtig wiedergegeben.
Behauptung: BNFL hat radioaktives Wasser in einen Fluss geleitet.
Es handelte sich um nichtradioaktives Abwasser, das auch keine Chemikalien enthält und somit die Umwelt in extrem geringer Weise belastete. Dieses Wasser wird zur Kühlung von Sinteröfen der Mischoxid (MOX)-Demonstrationsanlage (MDF) verwendet und kommt deshalb niemals mit dem MOX-Brennstoff in Berührung. Die abgeleiteten Mengen sind sehr klein - typischerweise 30 bis 40 m_ je Tag.
Unmittelbar nachdem BNFL herausgefunden hatte, dass eine Erlaubnis für die Abwassereinleitung in der Tat nicht vorlag, wurde die Einleitung eingestellt und die britische Environmental Agency (EA) informiert. BNFL stellte sofort einen formellen Genehmigungsantrag.
Behauptung: BNFL ist wegen gefährlicher Lagerung radioaktiver Stoffe zur Zahlung von Bussgeldern verurteilt wurden.
BNFL wurde in der Tat vor kurzem vom zuständigen Gericht zur Zahlung von Bussgeldern verurteilt, die mit der Lagerung einer sehr kleinen Zahl sogenannter "versiegelter radioaktiver Quellen" zusammenhing. Diese Quellen sind sehr klein (etwas grösser als ein Zehn-Pfennig-Stück), senden geringe Radioaktivität aus und werden u.a. zur Eichung von Instrumenten verwendet. In Sellafield werden ca. 3700 dieser Quellen an ungefähr 180 unterschiedlichen Standorten gelagert. BNFL hat nunmehr das gesamte Lagerungs- und Handhabungssystem für diese Quellen modifiziert und stark verbessert.
Wichtig: Die von den Gerichten monierte bisherige Praxis der BNFL hat niemals zu einer Strahlenbelastung für Werksangehörige oder die Öffentlichkeit geführt.
Kontakt:
BNFL Deutschland: Tel. +49 211-30 122 130, Fax +49 211-30 122 230
BNFL, England: Tel. +44-1925-834075 oder -832450;
Fax +44-1925-2098