Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse
SNF: Wissenschaftliche Erkenntnisse und politische Empfehlungen des NFP 52
Bern (ots)
Den Kindern zu ihren Rechten verhelfen und ihre Anliegen ernst nehmen
Kinder und Jugendliche wachsen in der Schweiz unter unterschiedlich günstigen Bedingungen auf, und Erwachsene trauen den nachfolgenden Generationen oft wenig zu. Benachteiligt werden besonders die Kinder schlecht ausgebildeter, ausländischer und finanziell schwacher Eltern. Politik und Erwachsene sind daher aufgefordert, die Anliegen von Jugendlichen vermehrt ernst zu nehmen, deren oft unterschätzte und ungenutzte Potenziale zu fördern und die Ungleichheit ihrer Chancen zu beheben. Dies sind die wichtigsten Erkenntnisse und Empfehlungen des Nationalen Forschungsprogramms «Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel» (NFP 52).
Kinder und Jugendliche sind die Zukunft eines Landes. Wenn sie in ihrer ersten Lebenszeit benachteiligt werden, überschattet dies ihre ganze Biographie. Wachsen sie hingegen unter günstigen Bedingungen auf, steigen die Chancen, dass sie ihre Potenziale ausschöpfen und sich entfalten können. Ausgehend von der Tatsache, dass die Lebensbedingungen in den letzten Jahren generell schwieriger geworden sind, erforscht das Nationale Forschungsprogramm «Kindheit, Jugend und Generationenbeziehungen im gesellschaftlichen Wandel» (NFP 52) seit 2003 die Lebensverhältnisse und Bedürfnisse von Jugendlichen und ihren Familien in der Schweiz, um Erkenntnisse für eine generationenübergreifende Jugend- und Sozialpolitik zu gewinnen.
Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl Die zwei wichtigsten Erkenntnisse des NFP 52 lauten: Erstens trauen Erwachsene Kindern und Jugendlichen oft wenig zu. Wie die Soziologin Marlis Buchmann im Rahmen einer repräsentativen Langzeitstudie des Schweizerischen Kinder- und Jugendsurveys Cocon belegt, besitzt die Mehrheit der Heranwachsenden entgegen der vorherrschenden Meinung ein hohes Mass an Mitgefühl und eine grosse Bereitschaft, in ihrem Leben Verantwortung zu übernehmen. Doch diese Fähigkeiten werden von den Erwachsenen nicht genügend genutzt. Die Juristin Andrea Büchler und die Psychologin Heidi Simoni weisen nach, dass im Scheidungsverfahren der Kantone Zürich und beider Basel nur ein Drittel der betroffenen Kinder zur Anhörung vor Gericht geladen und nur ein Zehntel tatsächlich angehört wird, nach Auskunft mancher untersuchten Kinder erst noch mangelhaft. Die Regelung des Sorgerechts erfolgt teilweise zu stark aus dem Blickwinkel der Eltern und berücksichtigt die Interessen des Kindes zu wenig. Die Wissenschaftlerinnen empfehlen deshalb, die Gesetzgebung dahingehend zu revidieren, dass die elterliche Sorge nach der Scheidung beiden Elternteilen belassen wird.
Zweitens wachsen Kinder in der Schweiz nach wie vor unter unterschiedlich günstigen Bedingungen auf. Den Kindern schlecht ausgebildeter, ausländischer und finanziell schwacher Eltern Jugendliche aus dem ehemaligen Jugoslawien bilden eine besondere Risikogruppe ist oft die Zukunft auf ein besseres Leben verbaut. Das widerspricht dem Prinzip der Chancengleichheit und der UNO- Konvention über die Rechte des Kindes. Die Ökonomin Regina Riphahn zeigt auf, dass das elterliche Bildungsniveau die Berufskarriere der Kinder stark beeinflusst. Kinder von wenig gebildeten Eltern haben schlechtere Chancen auf einen höheren Bildungsabschluss als Kinder von Eltern mit hohem Bildungsgrad. Je später die Weichen für den höheren Bildungsweg gestellt werden, desto geringer ist das Ausmass der «Bildungsvererbung» durch die Eltern. Eine Anpassung der kantonalen Schulsysteme und Stipendienwesen könnte diese Benachteiligung korrigieren. Ebenfalls deutlich benachteiligt wachsen Kinder von Migranten und Migrantinnen auf. So ist ihre Abhängigkeit vom finanziellen Status des Elternhauses im Schnitt rund 30 Prozent höher als bei den Schweizer Altersgenossen. Besonders ausgeprägt ist diese Abhängigkeit bei Südeuropäern und Südeuropäerinnen.
Benachteiligte Bedürftige In der reichen Schweiz sind Kinder aus prekären Verhältnissen generell benachteiligt. Der geringe Bildungsstand und der tiefe sozioökonomische Status der Eltern sind die massgeblichsten Gründe für Kinderarmut. Der Ökonom Yves Flückiger hat verschiedene Messinstrumente untersucht, mit denen Behörden und Wissenschaft die Armut bestimmen und die Höhe der Unterstützungsleistungen festlegen. Seine Ergebnisse zeigen, dass gegenwärtig die Armut von kleinen Familien mit ein bis zwei Kindern unterschätzt wird. Es ist also nicht sicher, ob die bedürftigsten Kinder unterstützt werden. Flückiger empfiehlt, dass die Konferenz für Sozialhilfe (Skos) die geläufigen Äquivalenzskalen überprüft und den tatsächlichen Verhältnissen anpasst.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter empfehlen Politik und Gesellschaft grundsätzlich, die unterschätzten und ungenutzten Fähigkeiten von Kindern und Jugendlichen stärker zu berücksichtigen und diese sowie ihre Familien besser zu unterstützten, damit sie sich zu selbstständigen und verantwortungsbewussten Mitgliedern von Staat und Gesellschaft entwickeln können.
Auskunft zum NFP 52 allgemein: Prof. Pasqualina Perrig-Chiello Präsidentin der Leitungsgruppe NFP 52 Institut für Psychologie Universität Bern Muesmattstrasse 45 CH-3000 Bern Tel.: +41 (0)31 631 40 35 oder +41 (0)61 331 75 19 E-Mail: pasqualina.perrigchiello@psy.unibe.ch
Auskunft zu den erwähnten Forschungen: Prof. Marlis Buchmann Jacobs Center for Productive Youth Development Universität Zürich Culmannstrasse 1 CH-8006 Zürich Tel.: +41 (0)44 634 40 02 E-Mail: buchmann@soziologie.unizh.ch
Prof. Andrea Büchler Lehrstuhl für Privat- und Wirtschaftsrecht Universität Zürich Rämistrasse 74 CH-8001 Zürich Tel.: +41 (0)44 634 48 43 E-Mail: andrea.buechler@rwi.unizh.ch
Prof. Regina Riphahn Department of Economics Universität Erlangen Lange Gasse 20 D-90403 Nürnberg Tel.: ++49 (0)911 5302 268 E-Mail: Regina.Riphahn@wiso.uni-erlangen.de
Prof. Yves Flückiger Département dEconomie Politique, Faculté des sciences économiques et sociales Université de Genève Bd. du Pont dArve 40 CH-1211 Genève 4 Tel.: +41 (0)22 379 82 63 E-Mail: yves.flueckiger@ecopo.unige.ch
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Der Text dieser Medienmitteilung sowie die anderen Unterlagen zur Medienkonferenz stehen ab dem 26.6.2007, 11.00 Uhr auf der Website des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: http://www.snf.ch > D > Medien > Medienkonferenzen