Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse
SNF: Sprachkenntnisse der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz
Bern (ots)
Das Englische gilt als nützlichste Fremdsprache
Die schweizerische Bevölkerung steht bezüglich Fremdsprachenkenntnisse in Europa an dritter Stelle. Die in der deutschen und in der italienischen Schweiz lebenden Personen beherrschen im Schnitt 2,2 Fremdsprachen, die in der Romandie lebenden Personen 1,7. Das Englische hat für die Schweizer und Schweizerinnen nicht die Funktion einer "Lingua franca", die ihm oft zugeschrieben wird. Zu diesen Ergebnissen kommt eine im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms "Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz" (NFP 56) erstellte Studie.
Schweizerinnen und Schweizer brüsten sich gerne damit, zu den polyglottesten Völkern Europas zu zählen. Das tun sie tatsächlich, doch sie stehen nicht ganz an der Spitze. Punkto Fremdsprachenkenntnisse rangiert die hiesige erwachsene Bevölkerung, die im Schnitt 2,0 Fremdsprachen spricht, hinter Luxemburg (3,0) und den Niederlanden (2,2) an dritter Stelle. Der Durchschnittswert der Europäischen Union (EU) lag vor der Osterweiterung bei 1,14 Sprachen.
Die durch Nachuntersuchungen erhärteten Werte hat der Berner Sprachwissenschaftler Iwar Werlen im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz» (NFP 56) ermittelt. Werlen und sein Team haben sich einer repräsentativen Methode bedient, die in den letzten Jahren in der EU angewendet wurde. Sie befragten für ihre Studie «Sprachkompetenzen der erwachsenen Bevölkerung in der Schweiz» 600 Personen in der deutschen, 400 in der französischen und 200 in der italienischen Schweiz zu ihren Kenntnissen und Wertschätzungen der eigenen und fremder Sprachen.
Zufriedenheit vor Interkulturalität Demnach sprechen in der deutschen und italienischen Schweiz lebende Personen im Schnitt 2,2 Fremdsprachen, nämlich vorwiegend Französisch und Englisch, während die in der Romandie lebende Bevölkerung sich in 1,7 Fremdsprachen verständigen kann. Bemerkenswert ist die Motivation, die für das Erlernen einer Sprache genannt wird: Zuoberst steht die eigene Zufriedenheit (von 53% der Befragten angegeben). Gefolgt wird sie von der Motivation der grösseren Verständigungsmöglichkeiten in den Ferien im Ausland (50%), des besseren Verständnisses von Menschen aus anderen Kulturen (39%), des Kennenlernens von Menschen aus anderen Ländern (34%) sowie der Berufsarbeit (35%).
Am häufigsten werden als Fremdsprachen, die man spricht, das Französische und das Deutsche genannt. Das Englische steht an keiner der drei Sprachregionen an der Spitze. In der deutschen Schweiz rangiert das Französische - von 71% der Befragten genannt - vor dem Englischen (67%), in der Westschweiz liegen Hoch- und Schweizerdeutsch (47%) vor dem Englischen (43%), in der italienischen Schweiz führt das Französische (74%) vor dem Deutschen (65%) und dem Englischen (42%). Das Englische hat also nicht die Funktion einer «Lingua franca» inne, die ihm oft zugeschrieben wird.
Fragt man hingegen nach der nützlichsten Fremdsprache, steht das Englische an erster Stelle: Es wird von 86% der Befragten genannt. Wiederum fallen die Unterschiede zwischen den Landesteilen ins Auge: In der Deutschschweiz bezeichnen 92% der Befragten, in der Westschweiz 88% und in der italienischen Schweiz 77% Englisch als die nützlichste Fremdsprache. Die oft propagierte Solidarität der lateinbasierten Sprachgegenden («Helvetia latina») kommt nicht zum Tragen: Schweizerdeutsch Sprechende erachten das Französische zu 46% als nützlich, Italienischsprachige zu 30%, und von den Französischsprachigen bezeichnen nur gerade 9% das Italienische als eine nützliche Sprache.
Bedrohtes Italienisch Als prestigeträchtigste Sprache gilt der Schweizer Bevölkerung das Englische - vor dem Französischen, dem Deutschen und dem Spanischen. Auffallend ist die sprachregional unterschiedliche Einschätzung der Muttersprache: Während in der Romandie 55% der Befragten das Französische als prestigeträchtige Sprache nennen, sind die Werte in der deutschen Schweiz (Hochdeutsch 17%, Schweizerdeutsch 4%) und in der italienischen Schweiz (Italienisch 6%) sehr niedrig. Das deutet auf eine geringe Sprachloyalität hin. Iwar Werlen hält denn auch fest, dass der Status des Italienischen Anlass zur Sorge gibt: die Zahl seiner Sprecherinnen und Sprecher nimmt ab, es spielt nur eine geringe Rolle als Fremdsprache und es gilt als wenig nützlich und prestigeträchtig - und das auch im eigenen Sprachgebiet.
Hingegen scheint sich die von der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) 1975 erlassene Empfehlung, die Mehrsprachigkeit in der Schweiz durch die Einführung einer zweiten Landessprache als erster Fremdsprache in der Primarschule zu festigen, bewährt zu haben: Prägend für das Erlernen der ersten Fremdsprache ist nach Angabe der Mehrheit der Befragten die Schule.
Nationales Forschungsprogramm «Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz» (NFP 56) Die traditionelle Viersprachigkeit der Schweiz ist längst zur Vielsprachigkeit geworden. Dies wirft für Schule und Gesellschaft Probleme auf. Andererseits aber eröffnet das sprachliche Kapital der Schweiz grosse Chancen, da die internationalen Verflechtungen Sprachenkenntnisse nötiger denn je machen. Die Vielfalt der Sprachen stellt heute neue Fragen an Schule, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und auch an jedes einzelne Individuum. Das vom Bundesrat in Auftrag gegebene NFP 56 erforscht und entwickelt seit 2006 die Grundlagen zur Erhaltung, Förderung und Nutzung der Sprachenvielfalt in der Schweiz. http://www.nfp56.ch
Mehr zur Untersuchung: http://www.linguadult.ch
Der Text dieser Medienmitteilung steht auf der Website des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung: http://www.snf.ch > Medien > Medienmitteilungen
Kontakt:
Prof. Dr. Iwar Werlen
Universität Bern
Institut für Sprachwissenschaft
Länggassstrasse 49
CH-3000 Bern 9
Tel. +41 (0) 31 631 80 05
Fax +41 (0) 31 631 36 03
E-Mail: iwar.werlen@isw.unibe.ch