Eidg.Materialprüf.- u. Forschungsanstalt
Adaptive Werkstoffe - (R)evolution der Technik?
Bern (ots)
Wissenschaftsapéro der Empa-Akademie
Wie lässt sich die Schalldämmung von sehr guten Fenstern noch verbessern? Wie kann der Energieverbrauch von Ventilatoren zusätzlich vermindert werden? Die Antwort könnte heissen: durch den Einsatz von adaptiven Werkstoffsystemen. Diese sind in der Lage, auf Änderungen der Umgebungsbedingungen während des Einsatzes selbständig zu reagieren und ihre Eigenschaften sinnvoll anzupassen. Die Empa baut auf diesem zukunftsträchtigen Gebiet ein Kompetenzzentrum auf, um die Umsetzung von Entwicklungen und Erkenntnissen in die Praxis zu fördern und der Industrie für entsprechende Forschung und anspruchsvolle Dienstleistungen zur Seite zu stehen. Im Rahmen des 6. «Wissenschaftsapéro» führten zwei Referenten der Empa sowie ein Gastreferent der Fraunhofer Gesellschaft in die Thematik ein und zeigten auf, was in dieser Richtung in Zukunft zu erwarten ist.
Jede(r) kennt die Situation: Ein Düsenjäger lärmt beim Überflug so ohrenbetäubend, dass jegliche Konversation verunmöglicht wird. Oder ein Presslufthammer beginnt plötzlich mit seinem Krach. Dass es theoretisch möglich ist, solchen Lärmquellen mit «Antischall» zu begegnen und sie zu neutralisieren, führte Empa-Wissenschafter Dr. Stanislaw Pietrzko anhand eines kleinen Experimentes den Teilnehmenden am 6. Wissenschaftsapéro der Empa vor. Dazu überlagerte er einen Summton aus einem Lautsprecher mit dessen «Antischall» aus einem anderen Lautsprecher. Und es klappte: der Ton war weg. Was im Experiment funktioniert, ist leider im täglichen Leben (noch) nicht möglich. Zu kompliziert sind die Reflexionen und Überlagerungen der Schallwellen schon in einem Raum, geschweige denn im Freien.
Das Prinzip der Lärmüberlagerung mit «Antilärm» lässt sich hingegen in geschlossenen Systemen wie z.B. an einem Fenster mit Doppelverglasung schon heute anwenden. Stanislaw Pietrzko arbeitet denn auch an einem «aktiven Fenster». Der von ihm entwickelte Prototyp misst die von aussen auf die Glasscheibe auftreffenden Schallwellen und erzeugt mit zwischen den Scheiben sich befindenden Lautsprechern den entsprechenden «Antilärm». So liessen sich die heute schon recht guten Dämmwerte bei Fenstern nochmals wesentlich verbessern, besonders bei den tiefen Frequenzen. Allerdings ist diese Entwicklung noch nicht marktreif. Problematisch sind unter anderem die Sensoren, mit denen die Schallwellen erfasst werden, aber auch die noch zu grossen Aktuatoren (in diesem Fall Lautsprecher), die den «Antilärm» erzeugen.
Der zweite Referent, Dieter Sporn vom Fraunhofer Institut Silikatforschung in Würzburg, machte die heute überall gebräuchliche Leichtbautechnik für die Schwingungsanfälligkeit ganzer Systeme verantwortlich. Schwingungen erzeugen einerseits Schäden durch Materialermüdung, sie äussern sich aber auch in Vibrationslärm. Bei beiden Problemen könnten adaptive Werkstoffsysteme Abhilfe schaffen. Nach dem Vorbild der Natur biete die Kopplung aus Sensorik (Nerven) mit einem Aktuator (Muskel), verbunden über einen adaptiven Regler (Gehirn), eine gute technische Lösung. Als technischen Ersatz von biologischen aktiven Sensoren und Aktuatoren schlägt Sporn für gewisse Anwendungsgebiete so genannte Piezokeramiken vor. Sporn entwickelt aus solchen im Labormassstab Sensoren und Aktuatoren, wie sie etwa auch im aktiven Fenster angewendet werden könnten. Prof. Urs Meier von der Empa stellte das im Aufbau begriffene Zentrum für adaptive Werkstoffsysteme vor. Die Absicht hinter dem Zentrum sei es, der Industrie im vorwettbewerblichen Bereich Erfolg versprechende Anwendungsmöglichkeiten für die Entwicklung verbesserter oder neuer Produkte zugänglich zu machen. Allerdings müsse sich die Empa dabei auf ihre eigentlichen Kompetenzen beschränken. Beispiele für bereits laufende Projekte sind etwa das aktive Dämpfen von Brückenseilen und das bereits erwähnte aktive Fenster. Denkbar seien jedoch noch mehr Anwendungsmöglichkeiten. So z.B. Rotorblätter von grossen Windkraftanlagen, die sich je nach Windfeld verändern, oder Brückenkabel, bei denen sich durch Mikroklappen die aerodynamischen Eigenschaften variieren lassen. Auf jeden Fall liessen sich - so Prof. Meier - auf dem Gebiet der adaptiven Werkstoffe bereits in den nächsten Jahren Erfolge erzielen.
Was ist der Wissenschaftsapéro?
An den regelmässig stattfindenden Wissenschaftsapéros greift die Empa-Akademie fachlich und gesellschaftlich relevante Themen auf. In drei bis vier halbstündigen Vorträgen präsentieren ReferentInnen aus Forschung, Politik und Wirtschaft Ergebnisse und Ansichten zu einem vorgegebenen, aktuellen Inhalt. Anschliessend stehen sie auch den nicht aus dem Fach stammenden Gästen entweder in der Diskussionsrunde oder beim Apéro Rede und Antwort.
Kontakt:
EMPA
Remy Nideröst
Tel. +41/1/823'45'98
Fax +41/1/823'40'31