Discours Suisse - Fremdsprachenunterricht in der Primarschule - Die Tessiner ziehen die Landessprachen dem Englisch vor
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Von Gemma d'Urso
Bellinzona (sda/ots) Wie schon seit über zwanzig Jahren Usus, wird das Tessin auch künftig mit dem Französischunterricht in der 3. Primarschulklasse beginnen. Der Kanton ist aber skeptisch, was die Einführung einer zweiten Fremdsprache ab der 5. Klasse betrifft.
Ein entsprechender Vorschlag, mit dem die Mitglieder der Erziehungsdirektorenkonferenz der Kantone (EDK) am 25. März an die Öffentlichkeit traten, gefällt den Tessiner Behörden nicht wirklich.
"Der Kanton Tessin wird den Unterricht der Landessprachen auch in Zukunft höher gewichten als Englisch", sagt Diego Erba, der Chef des Tessiner Schulamtes. "Als Angehörige einer sprachlichen Minderheit haben wir andere Empfindungen und Bedürfnisse als die Kantone in der übrigen Schweiz."
Kritische Haltung zum EDK-Vorschlag
Die Tessiner sind skeptisch, was die Pläne der EDK betrifft. Erba: "Der Unterricht von zwei Fremdsprachen in der Primarschule scheint uns übertrieben. Vergessen wir nicht, dass rund ein Fünftel unserer Schüler eine andere Muttersprache als Italienisch haben."
Gabriele Gendotti, der Tessiner Erziehungsdirektor, ist der selben Meinung: "Der Vorschlag der EDK, ab 2012 auf der Stufe der Fünftklässler eine zweite Fremdsprache einzuführen, scheint mir masslos. Diese Option berücksichtigt weder unsere Programme noch die kulturelle Realität des Tessins, eines Peripheriekantons, der Wert darauf legt, ein gut integrierter Teil des Landes zu sein."
Italianità in Gefahr
Gendotti räumt ein, dass die EDK für das Tessin und Graubünden Ausnahmen vorgesehen hat. "Für uns Tessiner ist es wichtig, dass wir mit einem Romand französisch und mit einem Deutschschweizer Deutsch sprechen können. Manchmal höre ich bei Sitzungen, dass sich ein Zürcher mit einem Genfer auf Englisch unterhält. Das finde ich traurig."
Sowohl Gendotti als auch Erba sind der Ansicht, dass die Zukunft ihrer Muttersprache in der Schweiz bedroht ist. Ausser Graubünden, wo Italienisch eine von drei Amtssprachen ist und deshalb in der Grundschule unterrichtet wird, hatte bisher lediglich der Kanton Uri Frühitalienisch auf dem Stundenplan. Doch dort wird das Fach Italienisch ab 2005 durch Frühenglisch ersetzt.
"Italienisch wurde schon immer stiefmütterlich behandelt", meint Erba, "diese Haltung wird sich in Zukunft noch verschlimmern." Gendotti sagt: "In der Schweiz wird Italienisch vernachlässigt. Wir Tessiner unternehmen zwar alles, um unsere Muttersprache zu verteidigen und aufzuwerten. Aber die föderalistische Struktur in der Bildungspolitik hilft uns bei der Verteidigung unserer Position nicht."
Nationale Solidarität bleibt ein Wert
Stellt der Vorschlag der EDK eine Gefahr für die nationale Kohäsion dar? "Nein, das glaube ich nicht", antwortet Gendotti, "denn unser nationaler Zusammenhalt beruht auf einer sehr langen gemeinsamen Tradition und Kultur."
"Was den Fremdsprachenunterricht in der Schweiz betrifft, fehlt die Kohäsion ein wenig. Eine Fremdsprache lernen soll nicht nur dazu dienen, einen Kaffee bestellen oder eine Zeitung lesen zu können, sondern soll helfen, andere Kulturen, Realitäten und Lebensweisen kennen zu lernen und zu verstehen. Diese Werte müssen wir verteidigen; aber ich glaube, dass es die nationale Solidarität in der Schweiz noch gibt", sagte Gendotti weiter.
Französisch und Deutsch halten Positionen
Seit Beginn der 80-er Jahre werden die Tessiner Schüler ab der dritten Primarklasse in Französisch unterrichtet. Bis zur 5. Klasse begnügen sie sich vor allem mit einer mündlichen Annäherung an diese Sprache. Je nach Stufe beträgt der Unterricht zwei bis vier Stunden pro Woche.
Deutsch wird als zweite Fremdsprache ab der 2. Klasse der Mittelstufe eingeführt. Ab der 3. Klasse mutiert dann Französisch zu einem Wahlfach, während Deutsch bis zum Ende der Schulzeit obligatorisch bleibt.
Englisch kommt im Tessin erst im vorletzten Schuljahr auf den Stundenplan. Zu diesem Zeitpunkt können die Schüler auch Französisch durch Latein ersetzen, sofern sie dies wollen.
Notiz: Die vorliegende Meldung erscheint im Rahmen der zweiten Ausgabe des Projektes Discours Suisse. Hinter diesem Projekt, das zur Verständigung zwischen den Sprachregionen beitragen will, stehen das Forum Helveticum, das Netzwerk Müllerhaus und die sda. Nähere Informationen sind im Internet unter www.discours-suisse.ch zu finden. Die Email-Adresse lautet info@discours-suisse.ch
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