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"Eines der letzten medizinischen Tabus" - Internationaler Tag der Frau
Genf (ots)
Am Internationalen Tag der Frau macht eine internationale Gruppe von dreizehn Selbsthilfeorganisationen in Genf auf ein verstecktes Leiden aufmerksam, unter dem weltweit rund jede siebte Frau leidet: die Belastungsinkontinenz. Die WHO nennt sie eines der "letzten medizinischen Tabus". Auch bei nur sehr geringer Belastung der Blase wie z.B. bei körperlicher Aktivität, können Betroffene ihren Urin nicht mehr zurückhalten. Obwohl eine angemessene Behandlung möglich wäre, suchen viele keine Hilfe, weil sie sich schämen, über ihr Problem zu sprechen.
Was für die meisten einfach ein kleiner Husten ist, war für Carol lange Zeit "ein Albtraum". Immer musste sie fürchten, ihren Urin nicht halten zu können und dadurch in eine peinliche Lage zu geraten. Während 24 Jahren litt die 51jährige Mutter von drei Kindern unter diesem äusserst unangenehmen Problem - einer Erkrankung mit dem medizinischen Namen Belastungsharninkontinenz. Aus Angst vor beschämenden Situationen lebte Carol immer zurückgezogener, mied Tanzanlässe und sportliche Betätigungen. Situationen, in denen sie beispielsweise durch Niesen oder Lachen einen erhöhten Druck auf die Blase befürchtete, ging sie aus dem Weg. Von dieser Angst war zunehmend ihr gesamtes Privatleben überschattet.
Am 8. März, dem Internationalen Tag der Frau, trat Carol dann an die Öffentlichkeit und erzählte von ihrem Leiden. Anlass war eine Zusammenkunft von dreizehn unabhängigen Patientenvereinigungen aus elf verschiedenen Ländern in Genf. Ziel des Treffens war es, auf das tabuisierte Thema der Belastungsinkontinenz aufmerksam zu machen. Die internationale Initiative präsentierte ein gemeinsames Positionspapier mit dem Titel "Breaking down the Last Medical Taboo - Speaking Up for the Silent Majority". Das Papier macht die Belastungsinkontinenz zum Thema und informiert. Betroffene Frauen werden ermutigt, über das Thema zu reden und Hilfe zu suchen.
Harninkontinenz ist ein weit verbreitetes Problem. Dies betont auch die Weltgesundheitsorganisation WHO und spricht von "einem der letzten medizinischen Tabus". Die Belastungsinkontinenz ist die häufigste Form dieses Leidens. "Eine von sieben Frauen ist von dieser Form der Harninkontinenz betroffen", so Professor Bernhard Schüssler, Chefarzt Neue Frauenklinik am Kantonsspital Luzern. Weltweit sind dies mehr als 200 Millionen Frauen. "Viele von ihnen suchen keine Hilfe, weil sie sich schämen über ihr Leiden zu sprechen - weder zu Ärzten, noch zu Freuden und auch nicht im engen Familienkreis", führte Schüssler in Genf weiter aus. Er wies noch auf einen weiteren Missstand hin: "Zu häufig ist es auch Ärzten peinlich auf die Fragen der Patientinnen einzugehen." In der Folge würden die Betroffenen das Thema nicht mehr ansprechen und so weiter tabuisieren.
Carol nahm ihren Mut zusammen und sprach ihr Problem an, als sie nach der Geburt ihres ersten Kindes an Belastungsinkontinenz litt. Eine Physiotherapeutin zeigte ihr dann Übungen, wie sie ihren Beckenboden trainieren konnte. Doch das Problem verschwand nicht. Im Gegenteil: Nachdem sie drei Jahre später Zwillinge erhielt, verstärkte sich ihr Leiden. Carol nahm es als naturgegeben hin, als Teil des Kinderkriegens und Älterwerdens. Zu Unrecht, wie Schüssler am internationalen Treffen in Genf betonte: "Belastungsinkontinenz ist heute immer noch mit Mythen und Irrmeinungen belastet", so der Gynäkologe. So gibt es genetische Faktoren und anatomische Voraussetzungen, die das Risiko erhöhen. Zusätzlich verstärkend wirken etwa Fettleibigkeit, Verdauungsstörungen oder das Rauchen. Werden durch Ereignisse wie eine Geburt Muskeln oder Nerven im Beckenbereich beschädigt, wird Belastungsinkontinenz ausgelöst. Meist weil die Harnröhre überbeweglich oder ihr Verschlussmechanismus geschwächt ist. Schon bei geringem Druck auf die Harnblase, verursacht zum Beispiel durch Lachen, Niesen, Husten oder Sport, können Betroffene dann den Urin nicht mehr zurückhalten.
Doch muss dieser Zustand nicht einfach hingenommen werden. Üblicherweise trainieren Patientinnen - so wie Carol - mit einfachen Übungen ihre Beckenboden-Muskulatur. Dies kann das Problem entschärfen - auf lange Sicht fehlt jedoch vielen die Disziplin, die Übungen immer wieder zu machen. Normalerweise wird bei Harninkontinenz zum Skalpell gegriffen. Aber in naher Zukunft wird auch in der Schweiz ein Medikament (Wirkstoff: Duloxetin) zur Verfügung stehen, welches in vielen europäischen Ländern bereits zugelassen ist. Es beeinflusst die Steuerung der Harnleitermuskulatur günstig und führt zu einer stärkeren Kontraktilität des Verschlussmechanismus. Ausserdem haben Studien gezeigt, dass so auch teilweise von Operationen ganz abgesehen werden kann.
Das Genfer Treffen von Anfang März war für die dreizehn Patientengruppen ein wichtiger Schritt bei der Umsetzung eines Fünf-Punkte-Plans, den sie vor einem Jahr beschlossen hatten. Darin setzt sich die internationale Initiative zum Ziel, die Stigmatisierung der Frauen mit Belastungsinkontinenz zu bekämpfen. Den Betroffenen soll klar gemacht werden, wie wichtig es ist, sich professionelle Hilfe zu holen. Die Patientengruppen wollen ausserdem den Zugang zu medizinischer Information, Betreuung und Behandlung verbessern - alles mit der Absicht, die Lebensqualität der Betroffenen wiederherzustellen.
Ein Privileg, in dessen Genuss Carol bereits gekommen ist. Sie war ziemlich überrascht, als sie eines Abends in einer Fernsehsendung vernahm, dass ihre Erkrankung behandelt werden kann. Bislang dachte sie immer, dass nichts dagegen gemacht werden kann. Sie liess sich von ihrem Arzt beraten und hat dank einer angemessenen Behandlung ihre Erkrankung nun im Griff. "Belastungsinkontinenz ist eine der unangenehmsten und peinlichsten Krankheiten, mit der ich und viele andere Frauen leben mussten", sagt Carol. Sie ist überzeugt, dass das Treffen in Genf der Beginn eines positiven Wandels ist, der den betroffenen Frauen Mut macht, endlich über ihre Situation zu sprechen.
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