Media Service: Basler Zeitung, Ausgabe vom 16.8.06. Interview mit Hans Wyss, Direktor des Bundesamtes für Veterinärwesen, über das Tiertransitverbot. Er will es aufheben - und wieder einführen.
Basel (ots)
Hans Wyss, niemand scheint über die Öffnung der Grenzen für internationale Tiertransporte begeistert zu sein. Lässt sie sich noch verhindern?
Hans Wyss: Die EU geht davon aus, dass das Transitverbot wegfallen wird, aber das Thema ist explizit mit der EU noch nicht verhandelt. Für uns ist klar: Wir werden alles daran setzen, das Verbot aufrechtzuerhalten. Ich verstehe die Empörung der Leute absolut, denn es gibt keinen vernünftigen Grund, warum man Tiere zur Schlachtung über so weite Distanzen transportieren muss. Warum haben Sie das Verbot in der neuen Tiertransport-Verordnung bereits gestrichen? Damit geben Sie doch zum vornherein ein Pfand aus der Hand, bevor die Frage verhandelt worden ist?
Das Verbot war bisher stets tierseuchenpolizeilich begründet. Die Schweiz hatte bisher höhere Standards bei der Seuchenprophylaxe, weshalb wir diese Beschränkung aufrechterhalten konnten. Schlachttiere durften bisher nicht auf der Strasse, sondern nur mit dem Zug in und durch die Schweiz transportiert werden, was wirtschaftlich aber nicht interessant war und deshalb auch nicht gemacht wurde. Nun haben sich die Standards angeglichen, und die Schweiz und die EU haben sich auf eine Äquivalenzerklärung geeinigt: Das bedeutet, dass die Tierseuchenbestimmungen gleichwertig sind und Tiere und Tierprodukte an den Grenzen nicht mehr speziell veterinärmedizinisch kontrolliert werden. Seuchenschutz kann somit kein Grund mehr sein, Tiertransporte aus der EU zu verbieten. Sondern?
Wir werden gegenüber der EU das Thema Tierschutz einbringen. Denn darum geht es ja eigentlich: Um tierschützerische Bedenken gegenüber solchen Schlachttiertransporten. Tierschutz ist wie Umweltschutz oder Gesundheit bis heute kein stichhaltiges Argument bei handelspolitischen Verhandlungen. Solche Schutzanliegen gelten vielmehr als verkappte Handelshemmnisse. Das Thema Tierschutz war bisher tatsächlich nie Gegenstand bei den Verhandlungen mit der EU, zumindest nicht im Bereich der Tiertransporte. Jetzt werden wir es einbringen, denn bei uns sind die Anforderungen, aber auch die Erwartungen der Gesellschaft an den Tierschutz anders, oft höher als die durchschnittlichen Standards in Europa.
Die EU wird doch ein Transportverbot aus Tierschutzgründen kaum akzeptieren.
Das wird Gegenstand der Verhandlungen mit der EU sein. Die Schweiz hat auch schon Dinge erreicht, die man zu Beginn nicht für möglich hielt.
Am Problem der internationalen Schlachttiertransporte ändert ein Schweizer Transitverbot nichts Wesentliches.
Das stimmt, die Laster fahren einfach um die Schweiz herum, was für die Tiere eine Verlängerung der Transportzeiten bedeutet. Das zentrale Anliegen muss also sein, solche langen Transporte von Schlachttieren grundsätzlich zu verhindern. Technisch ist man heute problemlos in der Lage, Tiere in relativer Nähe zu ihrem Produktionsort zu schlachten und ihr Fleisch mit Kühllastwagen zu transportieren.
Wenn die Schweiz das Transportverbot aufheben muss: Wie könnte man den Ansprüchen des Tierschutzes gerecht werden? Auch in der Schweiz wehren sich die Transporteure vor strengen Vorschriften.
Wir haben in der Schweiz neu die Fahrtbeschränkung auf sechs Stunden, und es gibt die Pflicht für das Personal zu spezieller Ausbildung. Wie weit diese Anforderungen aber gegenüber den EU-Saaten durchsetzbar sind, und inwieweit man ihre Einhaltung kontrollieren kann, ist schwierig zu sagen. Aber wie gesagt, grundsätzlich haben wir das Verbot zum Ziel. Das ist klar und kontrollierbar. Wann beginnen die Verhandlungen mit der EU?
In den kommenden Wochen.
Haben Sie Signale aus Brüssel erhalten, dass eine Weiterführung des Verbots unter neuem Titel möglich wäre?
Keine, die sich klar interpretieren liessen.
In der Bevölkerung macht sich Empörung breit, Ihrem Bundesamt und den kantonalen Veterinäramtern geht die Sache ebenfalls gegen den Strich. Welche wirtschaftlichen Vorteile verspricht man sich denn?
Grundsätzlich geht es darum, dass die Schweiz im Lebensmittelbereich künftig gleichwertige Bestimmungen hat wie die EU. Damit verbessern sich die Chancen der Schweizer Produzenten im europäischen Markt mit seinen 450 Millionen Konsumenten. Bisher war es nur Betrieben mit einer speziellen EU-Zulassung möglich, mit entsprechenden Auflagen und Zeugnissen in die EU zu importieren. Ab Januar 07 wäre dies für alle Fleisch- und Fleischwaren-Produzenten möglich. Das ist eine grosse Chance und entspricht dem Ziel von Bundesrat und Parlament, den Handel mit der EU zu liberalisieren.