Keine Angst vor den Kleinen, Kommentar zum EU-Parlament von Detlef Fechtner
Frankfurt (ots)
Wenn man manchen Europaabgeordneten hört, könnte man den Eindruck gewinnen, das Bundesverfassungsgericht habe Europas Parlamentarismus funktionsuntüchtig gemacht - und damit die ganze EU gelähmt. Das ist natürlich Unfug.
Die Karlsruher Richter haben entschieden, die Drei-Prozent-Klausel für die Europawahl in Deutschland zu kippen. Natürlich lässt sich darüber streiten. Die Abwägung zwischen dem Grundsatz, dass die Stimme jedes Wahlberechtigten den gleichen Zählwert hat, und der Notwendigkeit stabiler Mehrheiten ist gar nicht so einfach. Quatsch ist es aber, daraus abzuleiten, das EU-Parlament sei handlungsunfähig, sobald in seinem Plenarsaal auch Piraten, Tierschützer und freie Wähler Platz nehmen. Es geht vermutlich um sieben der 751 Sitze, also um weniger als 1% der Stimmen. Daran, mit Verlaub, hängt nicht die Funktionsfähigkeit parlamentarischer Demokratie.
Auch ist es ein Missverständnis, zu folgern, dass mit dem Urteil "radikale Kräfte" befördert werden. Zwar ist denkbar, dass ein Sitz von der SPD an die NPD fällt. Aber ebenso, dass ein Sitz der AfD an die Piraten wandert - und die sind ja nicht unbedingt europapolitisch radikaler. Wenn überhaupt, so kommt eine Bedrohung der Funktionsfähigkeit des EU-Parlaments als europäischer Gesetzgeber nicht durch deutsche Promille-Parteien, sondern die sich abzeichnenden Erfolge von Europakritikern anderer EU-Staaten. Deren Einzug kann man übrigens nicht mit einer Drei-Prozent-Klausel, sondern allenfalls mit einer Dreißig-Prozent-Klausel verhindern. Ukip in Großbritannien, Front National in Frankreich, Partij voor de Vrijheid in den Niederlanden, FPÖ in Österreich - und andere mehr. Diese Euro-Gegner haben Aussicht auf insgesamt ein Fünftel oder gar ein Viertel der Stimmen. Das ist viel. Aber nicht genug, um das EU-Parlament zu blockieren.
Insofern muss sich die Finanzbranche darauf einstellen, dass die EU-Gesetzgebungsmaschine bald wieder in Schwung kommen wird - und Mifid III, CRD V oder Ucits VI nur eine Frage der Zeit sind. Für das EU-Parlament wird der Spruch aus Karlsruhe ein Anreiz sein, seine Arbeitsorganisation zu überdenken. Bisher agieren die Fraktionen dort viel lockerer als in nationalen Parlamenten. Die Notwendigkeit, in einer fragmentierteren Versammlung effizient zu bleiben, könnte eine Straffung der Verfahren, etwa bei Änderungsanträgen, bedeuten. Davon wiederum würden sogar jene profitieren, die von EU-Regulierung betroffen sind - also auch Banken, Börsen und Versicherungen.
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